Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


Скачать книгу

zu gewinnen, avanciert zur wirtschaftlichen Überlebensfrage Europas. Der Kaukasus spielt dabei als Energiekorridor eine bedeutende Rolle.

      Ohne einen Politikwechsel wird der weltweite Primärenergieverbrauch bis 2030 um 40% steigen, der Hauptantrieb wird von den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens ausgehen, gefolgt vom Nahen Osten.

      Ohne einen Politikwechsel wird dieser Verbrauch auch in der fernen Zukunft zu 85% durch Öl, Erdgas und Kohle gedeckt werden, der Ölverbrauch wird um 25% steigen, der Erdgasverbrauch um ca. 40%.

      Der Treiber der Erdgasnachfrage wird der Stromverbrauch sein, der bis 2030 weltweit mit einer Jahresrate von voraussichtlich 2,5% steigen wird. Über 80% dieses Wachstums entfallen dabei auf Nicht-OECD-Länder: Der größte Kapazitätsausbau wird in China zu beobachten sein.

      Quellen:

      - World Energy Outlook 11/2009 der IEA (International Energy Agency, Paris)

      - The Economist 13/03/2010, 'An unconventional glut'

      1. Aufbruch nach Georgien

      1

      Bevor Maier an die Südgrenze Russlands geschickt wird, muss er einen Abstecher nach Brüssel machen, ins Basislager, wo er seit einem Monat seinen Mann stehen muss. Sein Arbeitsplatz befindet sich in der bayrischen Botschaft - das heißt, in der Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, so ihr offizieller Name.

      Maier ist Dolmetscher, und muss in Sekundenbruchteilen wissen, worum es geht und worauf ein Gespräch hinausläuft.

      Er kann es, weil er die Sprachenwelt liebt, was sehr wertvoll für seinen Arbeitgeber ist. Aber nur, wenn er sich dabei an die Richtlinien hält, was ihm einiges abverlangt. Denn seine zweite Welt ist eine sportliche, in der die Protagonisten doch eher zusammenarbeiten und sich während eines Radrennens keine Luftpumpen in die Speichen rammen. Und genau deshalb muss er manchmal über seine Kompetenzen hinausgehen, denkt er, und halt nicht ganz so übersetzen, wie es gemeint war.

      Genauso geschah es dann auf seinem ersten Auslandseinsatz vor 3 Wochen in Warschau, doch es kam raus, was ihn fast den Job gekostet hätte. Stahl, sein Chef, hat ihn darauf ins Achtung gestellt, vor allen anderen. Das sollte Maier eine Lehre sein.

      Seine berufliche Laufbahn startete direkt nach dem Masterstudium, in einer der Legebatterien über dem Saal des Brüsseler Europaparlaments, wo zwar weniger Plenarsitzungen als im offiziellen Europaparlament in Straßburg stattfinden, dort jedoch die wichtigen Ausschuss- und Fraktionssitzungen mit Nähe zur Kommission, zum Ministerrat, zum Austragungsort des EU-Gipfels, und seit erstem Dezember zu den Hauptbüros des EU-Ratspräsidenten und der EU-Außenministerin.

      Die Arbeit in der Zentrale kostete viel Kraft und war viel zu schlecht bezahlt - Simultanübersetzungen in komplexen Fachbereichen, kaum Einarbeitungszeiten, Fließbandarbeit verbunden mit ungeheurer Konzentrationsfähigkeit über Stunden hinweg wurden da von ihm abgefordert, dazu die vielen langweiligen Diskussionen, die die emotional Aufgeladenen um ein Vielfaches übertrafen, kurzum: Es war eine harte Schule, 5 Jahre lang.

      Aber er hat diese Zeit bestanden, ja überstanden - und viel gelernt über die Menschen. Reden wurden geführt von Politikern, deren unterschiedliche nationale Denkmuster die Kritik am Verhalten anderer nicht nur bunter machten, sondern, leider, wieder auch alte Ressentiments untereinander zuließen. Scheinbar längst überwunden sorgten diese von so manchem, vor allem nach Ausbruch der Finanzkrise, als wiederkehrender Tinnitus für einen häßlichen Grundton unter Franzosen, Briten, Griechen, Deutschen, ... da boten sich mit den Russen und Ukrainern auch mal andere Probleme, was zynisch gesagt, für eine willkommene Abwechslung sorgte. Und er durfte dafür mehrmals im Jahr nach Straßburg reisen, zu den Sitzungen des Europarats.

      Diese Ausflüge waren es auch, die seine Neugier auf die ehemalige Sowjetunion darauf, wie die einzelnen Staaten generell zum Westen stünden und wie sie heute konkret Handel und Wirtschaft mit der EU trieben, beflügelten. Und genau dieses Bedürfnis, seine heimliche Liebe, kann er nun hautnah ausleben. Seit genau einem Monat begleitet er bayrische Delegationen aus Industrie und Politik in den Osten - das vielleicht letzte bezahlte Abenteuer eines bayrischen Beamten.

       2

      Es beginnt am Montag, den 6. September 2010, im Münchener Hauptbahnhof. Die Uhren zeigen 7 Uhr 23 und Maier springt in die letzte Türe seines ICE, die bereits zu piepen beginnt. Ihm ist heiß geworden nach dem Sprint von der U2 zu Gleis 14, das ging beinahe schief. Und wäre die Katastrophe gewesen. Die Konferenz in Brüssel heute Nachmittag ist hochkarätig, mit bayrischem Wirtschaftminister und einem Vorstandsvorsitzenden, und seinem Chef natürlich.

      Noch aus der Puste werden ihm gleich alle auf seine rote Birne starren, und das ausgerechnet in diesem Abteil, in der ersten Klasse, wo so viele Schnösel sitzen, doch da muss er jetzt durch. Sein Herzschlag ist gleich wieder bei 60, doch die Adern an der Schläfe brauchen immer ein bisschen länger. Sie sehen gefährlich aus - als platzten sie gleich wie Weißwürste, wo man wieder mal nicht aufgepasst hat, weil Telefon oder Tür oder noch schnell Bier aus dem Keller holen. Oder aus lauter Ungeduld, weil die Dinger einfach nicht richtig warm werden und alle schon warten: Am Schluss nochmal zu hoch aufgedreht, wieder alles falschgemacht.

      Drei Türen weiter erreicht Maier endlich sein Abteil, vier Stunden später Köln, wo er umsteigen muss - der Zug rollt schon über die Rheinbrücke. Maier geht es gut, er genießt die Aussicht auf den Dom, wenigstens kurz, denn nur knapp zwei Stunden später wird er bereits in Brüssel sein. Die Unterlagen, die ihm das Sekretariat gestern noch durchgefaxt hatte, hat er so gut wie durch, und bis auf den Jahrhundertfund in Turkmenistan war, wie er denkt, wenig Neues.

      War wenig Neues.

      15 Uhr 2, Ankuft im Gare Centrale - Centraal Station, es regnet in Brüssel. Maier hat noch Zeit bis drei Viertel vier und geht zu Fuß, die 30 Minuten an der frischen Luft werden seinen Kopf freimachen. Parc Leopold - Leopold Park, da muss er hin, zum Regierungsviertel der EU. Auf dem Weg dahin kommt er vorbei am Palast der schönen Künste, dann weiter durch den Parc de Bruxelles, an dessen Rand der Königspalast steht, gleich daneben der Palast der Akademien, danach Richtung Osten die Rue Belliard - Belliard Straat entlang, wieder eine großzügige helle Strasse.

      Wie lange das noch gut geht hier?

      Maier will nicht auf den häufigen Niederschlag hinaus. Es sind ja eigentlich zwei Staaten, weshalb fast alles doppelt und zweisprachig ausgewiesen wird. Im Norden leben die Flamen, deren Sprache quasi niederländisch ist, im Süden die zum Großteil französischsprachigen Wallonen. Wallonien ist heute die wirtschaftlich schwächere Region, da sie sich zu lange auf ihrer Kohle- und Eisenindustrie ausgeruht hatte - nicht wenige im Norden hätten wohl wenig dagegen, alleine weiterzumachen. Deren eigene Kultur, Sprache und wirtschaftliche Eigenständigkeit tragen nicht dazu bei, die Bereitschaft für Transferzahlungen gen Süden zu erhöhen.

      Getrennte Wege gehen, wie einst die Tschechei und die Slowakei, ist als Notlösung immer im Raum, nur wer kriegt dann den König? Und wer die Nationalelf? Und wer die Hauptstadt? Und wem von beiden soll sich der kleine Streifen Land im Osten des Landes anschließen, wo deutsch gesprochen wird?

      Maier muss einen Schritt zulegen, es ist schon halb vier durch. Nach einigen Blöcken moderner Bürogebäude biegt er rechts hinein in die Rue Wiertz - Wiertz Straat. Einen Bau aus Stahl und Glas weiter ist er auch schon da, und er staunt.

      Nur schlichtes Messing: 'Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, Rue Wiertz 77'.

      Doch dahinter, fast versteckt hinter viel Grün und einigen Bäumen, da ist sie: Die bayrische Zentrale in Brüssel, ein richtiges kleines Schloss. Es sieht zwar noch ziemlich neu aus, weil insgesamt zu gut renoviert, aber trotzdem sehr schmuck - vor allem inmitten all der Glas- und Stahlpaläste im Quartier Léopold - Léopoldswijk.

      Maier klingelt und sieht sich immer noch beeindruckt im Viertel um: Das versteckte Juwel grenzt tatsächlich an den Paul-Henri Spaak Bau, das Gebäude des Europaparlaments.

      Unglaublich,