Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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Mitglieder von ÖKK und Erdgas-Konsortium müssen sich also auch noch intern durchsetzen gegen Russland und den Iran, damit die turkmenischen Bodenschätze dann auch wirklich in Richtung Westen gehen.

      Beide Konsortien werden auch neue Leitungen bauen müssen: Denn weder die bestehende Öl-, noch die Erdgasleitung würde von ihren Durchmessern her für den großen Fund aus Turkmenistan ausreichen. Sogar zwei neue Röhren für Öl, und zwei für Erdgas müssten gebaut werden.

      Maier macht nochmal eine Pause, und nur der einsetzende Regen ist zu hören, der immer lauter wird. Es platzt aus den Bäuchen der Milkakühe heraus wie kleine Aliens, die wenig später gegen die Fenster prallen. Der Aufschlag der Tierchen hallt blechern durch den großen Raum, in die große Leere hinein - schuld sind die Bodenfliesen und die spartanische Möblierung, die sich Stahl genau so gewünscht hatte. Keine Vorhänge, kein Teppich, nicht einmal die Stühle sind bepolstert, nichts. Und keine Adjektive. Draußen auf dem Korridor ist jetzt auch Funkstille, es ist 16.35. Schon Feierabend bei den Kollegen?

      - Machen Sie ruhig weiter.

      Wer weist hier eigentlich wen ein?

      - Auch wenn unsere Ausgangslage nicht die beste ist, so ist es doch eine große Chance für Bayern, mitzustreiten im großen Gerangel um die Bodenschätze dieser Region. Mitzustreiten im großen Spiel.

      Er muss grinsen, denn Bayern ist bisher fast immer gescheitert, wenn es darum ging, nach Größe zu streben. Und die Welt von damals war noch um einiges überschaubarer. Warum sollte es ausgerechnet diesmal anders sein? Und ausgerechnet bei einer Neuauflage des Great Games?

      - Die Ahorn AG hat nicht nur international Erfahrung im Öl - und Erdgastransport, sondern auch eine gefüllte Kasse - immer noch eine Ausnahme in der jetzigen Situation. Und sie hat gerade ein großes Projekt mit Norwegen in der Nordsee beendet und wieder eine Menge Facharbeiter, Ingenieure und Maschinen frei - praktisch könnten sie sofort Mitglied im ÖKK werden und für Centrifugge einspringen.

      Auch für den Hauptgewinn Turkmenistan kann es reichen: Sie wären nämlich auch kreditwürdig für den Kauf eines Anteils am neu entstehenden Konsortium, und sie hätten die Kapazität, die zwei neuen Öl- und Erdgaspipelines in deren Auftrag durch Georgien zu bauen, vorausgesetzt natürlich, TurkmenGaschi, die staatliche Mineralölgesellschaft Turkmenistans, entscheidet sich für eine Kooperation mit dem Westen. Die haben natürlich das letzte Wort.

      Dass Stahl so wenig sagt, verbucht Maier nun schlicht als Erfolg und unterbricht seinen Fluss nicht mehr, setzt zum Endspurt an.

      - Bayern ist für die Amerikaner alles andere als das geringste Übel bei der Partnerwahl, sondern sogar von Nutzen. Für sie besitzen Großbritannien und Norwegen bereits zu große Anteile und sollten unter keinen Umständen die absolute Mehrheit erlangen. Und die Türkei, genau wie Aserbaidschan, wäre von den USA nicht so leicht beeinflussbar wie Bayern - wir wären ja neu in der Region.

      Ganz draußen wären die Amerikaner natürlich nicht - sie bleiben beteiligt an Großbritanniens und Norwegens Mineralölgesellschaften, es ist ja alles ineinander verzahnt. Außerdem verfügt der amerikanische Staat mit seiner Holding USSOil noch über 5% der Anteile am ÖKK. Sie wird aber größte Schwierigkeiten haben, mitzupokern und Centrifugges Anteile zu erstehen, weil es durch den Kongress erst genehmigt werden müsste. Kein leichtes Unterfangen bei der gigantischen Staatsverschuldung, der momentanen Knappheit der Mittel und der schon angesprochenen hohen politischen Brisanz in dieser Region. Eine Entscheidung würde sich also hinziehen und wäre nicht sehr wahrscheinlich.

      Snickers sind aus, Maier.

      Das soll ich Dir glauben, Du Geschichtenerzähler? Und was ist mit Twix?

      - Zeit hat das Konsortium aber nicht, es muss voll handlungsfähig sein und braucht seine verlässlichen Geldgeber, eine gefüllte Kriegskasse, um geschlossen auftreten zu können bei einem Neuerwerb - geschlossen insofern, als es sich beim ÖKK um überwiegend westliche Konzerne handelt und die Rohstoffe nach Westen gehen sollten, ja müssen, damit unserer Wirtschaft nicht in 10, 20 Jahren die Grundlage entzogen wird. China und Indien warten nicht auf uns. Sie würden - verständlicherweise - alles Öl und Erdgas für sich selbst beanspruchen wollen und die Rohstoffe gingen in die andere Richtung.

      Doch nicht nur deswegen braucht das ÖKK eine schnelle Lösung: Der Druck rührt auch daher, dass Betrieb und Wartung des georgischen Pipelineabschnitts ausgerechnet bei Centrifugge liegt oder lag. Hier muss also eiligst eine Lösung gefunden werden, wer für die Technik garantieren kann. Jeder Tag Stillstand hätte einen Umsatzverlust von 77 Millionen Dollar zur Folge. Jeder Tag! Und ...

      - Gut, Herr Maier, Sie können aufhören, vielen Dank. Ich merke, Sie sind vorbereitet.

      Maier ist sprachlos. So viel Lob hatte er nicht erwartet, und natürlich sieht ihm Stahl das sofort an.

      - Denken Sie aber nicht daran, sich jetzt bequem einzurichten. Was Sie sich in Warschau geleistet haben, da haben Sie eine Grenze überschritten.

      Keine Regung, nichts.

      Stahl verzieht tatsächlich keine Miene, nicht einmal beim Rügen. Prompt ernster wird sein Ton-

      - Die Welt ändert sich täglich und ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich stets auf dem Laufenden halten, Herr Maier.

      Maier nickt gelassen und kann tief durchschnaufen. Das anfangs dicke Eis, das nach seinem Schnitzer in Polen noch dicker geworden war, ist endlich endlich gebrochen. Seine Hände lösen sich erst jetzt von den Oberschenkeln und die Bauchmuskeln geben nach.

       4

      - In einer Viertelstunde treffen wir uns mit Bayerns Wirtschaftsminister Alfons Doppler und dem Vorstandsvorsitzenden der Ahorn AG, Dr. Heinrich Schönleben, im großen Konferenzzimmer. Gehen wir schon einmal hinauf - dort will ich meine Erfahrungen, die ich mit unseren Gesprächspartnern bisher gemacht habe, mit Ihnen teilen.

      Er öffnet seine Bürotür und lässt Maier den Vortritt.

      - Auch der Verbandspräsident der bayrischen Wirtschaftsverbände, Ludwig Kleingarten, hat auf meine Anfrage hin noch kurzfristig zugesagt. Er wird auch für mich neu sein.

      - Vielen Dank, dass Sie mir so viel Vertrauen schenken.

      Stahl schließt sein Büro ab und auf Maier auf.

      - Sie können sich gleich noch einmal beweisen. Der Kaukasus und die gesamte Region scheint ja ihr Steckenpferd zu sein. Leiten Sie doch die Konferenz ein und klären die Anwesenden über die Ausgangslage auf. Es ist eine Präsentation vorbereitet, die Sie den Herren vorführen können. Ich werde dann später übernehmen.

      - Gut.

      Steht das eigentlich in meinem Arbeitsvertrag?

      Sie gehen wieder an den Bildern vorbei. Adenauer, Erhard. Und jetzt taucht endlich Kohl auf. Maier sieht ihm beim Vorbeigehen noch nach, fasziniert davon, wie er auch in 2D eine Aura ausstrahlt, für die manche 4D oder Geruchsfernsehen bräuchten. Am Gewicht allein kann es doch nicht liegen? Gemessen am Durchmesser, nicht des Rahmens, sondern des Kopfes, wird er nur von Strauß geschlagen, dessen Haupt, genau wie seines, das ganze Bild bestimmt. Zumindest überm Hals hat sich der Schweinsbraten gegen die Königsberger Klopse durchgesetzt.

      Der große Konferenzraum befindet sich im letzten Stockwerk. Maier bleibt dicht hinter Stahl, der immer zwei Stufen auf einmal nimmt. Es sieht so aus, als wolle er ihn, den Jungen, abhängen, oder verhindern, dass er ihn überholt, was auf den schmalen Stufen bei der Geschwindigkeit ohne Unfall nicht möglich wäre. Er ist ziemlich durchtrainiert, so wie er mit seinen 62 Jahren die Treppe nach oben hastet und dabei ganz normal weiteratmet - kein Pfeifen, kein Röcheln, nichts.

      So schnell wird er mich nicht los.

      Maier ist auch gut in Form. Reiner Spaß am Sport war es aber nicht, und ich will, während sie nach oben laufen, kurz erzählen, wie es dazu kam. Auslöser war die statische Tätigkeit in der Übersetzungskabine, die darin bestand, den ganzen Tag das Hirn