Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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unten zu glotzen, um die Gesichtszüge und Grimassen zu erkennen, die beim Übersetzen helfen, der Nuancen wegen, und der oft bissigen Ironie in den Worten ... er sah die Redner aber kaum, wenn sie am anderen Ende des Plenarsaals auf ihrem Platz standen und ins zu tief eingestellte Mikro sprachen, nicht selten auch fluchten, flüsterten, nuschelten, lispelten und zuweilen auch ganz deutlich redeten.

      Da freute er sich, das heißt, nicht er, sondern sein Körper, wenn er nach der Arbeit an irgend etwas sein Zuviel an Kraft entladen konnte, sonst wäre er innerlich explodiert. Ideal war da das Laufband, was aber nicht so ungefährlich ist, wie es scheint - vor allem, wenn Du als Mann im Studio nicht anders kannst, als an den oft atemberaubenden Körperformen vieler Studiokolleginnen haftenzubleiben, die gerade rechts vom Spinning kommen und alle direkt vor Dir Richtung Dusche gehen. Den Kopf also, ihnen folgend, nach links drehend, bewegen sich Deine Beine dabei wie von Geisterhand nach rechts. Minimal zwar, aber ein Fehltritt auf den Rahmen des Laufbandes genügt, um das Gleichgewicht zu verlieren und den Abflug nach hinten anzutreten - im schlimmsten Fall ist hinter Dir die Wand. Auch gut, beinahe ein Klassiker, wenn Du vorher noch die Geschwindigkeit erhöht hast, um mehr Eindruck zu schinden.

      Das Band hält zwar sofort an, wenn es kein Gewicht mehr spürt, und Du bist auch schnell wieder oben auf, schaltest es ein und tust so, als ob nichts passiert wäre - in der Hoffnung, keiner hat es gesehen. Leider eine große Illusion. Denn den Knall hört jeder, nur Du nicht. Und Du hast auch überhaupt keine Schmerzen, so aufgepumpt mit Adrenalin.

      Spätestens nach 3 Minuten aber stellst Du das Band ab, das reicht zum Gesichtwahren, um dann möglichst unauffällig die Bestandsaufnahme in einer möglichst unauffälligen Ecke vorzunehmen. Beim Blick auf die blauen Flecken kommen auch schon die Schmerzen, aber erst nach dem Hinschauen. Um sicherzugehen, dass es auch wirklich weh tut, nochmal mit beiden Daumen draufgedückt - das tut ja wirklich weh!

      Stahl öffnet den Konferenzraum. Er drückt die beiden Flügeltüren gleichzeitig auf, die mit dem genau richtigen Schwung links und rechts in den Stoppern einrasten - sie springen nicht wieder zurück. Er geht auf die lange Fensterfront zu, entlang welcher vier große Gauben nebeneinander eindrucksvoll die mittlerweile hell erleuchteten Stahl- und Glaspaläste der Parlamentsbauten der Europäischen Union zeigen, die nun in der Dunkelheit einige Meter höher erscheinen als bei Tage. Maier sieht durch die Front nach oben.

      Das hier muss von oben wie eine Luxusgarage aussehen.

      Eher wie ein kleiner Bauernhof, ein Immenhof - es ist ein Areal aus Hauptgebäude und zwei Nebenbauten, nur ohne Ponys. Stahl macht die Oberfenster auf, damit es durchzieht. Maier hilft ihm dabei und wird leicht nass durch den prasselnden Regen, der vom Wind nach innen gedrückt wird.

      - Gute Idee, das macht frisch.

      Ich brauch' gleich volle Konzentration.

      Maier bleibt nicht im Regen stehen, tritt vom Fenster weg und lässt seine Augen neugierig durch den sehr repräsentativen Raum wandern. Beim Umschauen stechen ihm, beinahe versteckt in der Ecke, links neben den Flügeltüren, ein gutes Dutzend weißer Rollen ins Auge - es sind Landkarten.

      Da sind ja Landkarten!

      Es kommen ihm schöne Erinnerungen an den Erdkundeunterricht in den Sinn, nicht nur der neu erlernten Länder und Weltmeere wegen, sondern vor allem, weil der so oft ausgefallen ist.

      - Herr Stahl, Sie erlauben, dass ich kurz die Karten durchsehe. Eine Karte von Zentralasien könnte für die Besprechung sehr nützlich sein, als Übersicht, parallel zum Beamer.

      - Sicher, Herr Maier. Wenn Sie sie nicht finden, das Kartenlager ist nebenan.

      Er geht die Rollen eine nach der anderen durch und flüstert die außen angbrachten Namen leise vor sich hin.

      - Deutschland ... Nordafrika ... Mittelamerika ... Südostasien ... Bayern 1806 ... Bayern 1815 ... Bayern heute (1985) ...

      Da ist schon mal eine!

      - Southwest Asia.

      Maier macht sie kurz auf, um sicherzugehen, und ja-

      - Die Karte ist schon mal ideal, Herr Stahl, jetzt brauchen wir nur noch eine Übersichtskarte, am besten eine von der ...

      Maier hofft, eine Karte jenes Imperiums zu finden, von dem Putin sagt, dessen Zusammenbruch sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen.

      - Perfekt! Da ist Nummer zwei: Sowjetunion (1939-1989). Ich hänge sie gleich an den Ständer, die andere klebe ich direkt darunter.

      Während er sie wieder zusammenrollt, um sie so leichter am Ständer anzubringen-

      - Gut, Herr Maier, in der Zwischenzeit weise ich Sie in unsere Gesprächspartner ein. Bisher zwei Mal hatte ich mit jedem zu tun, jedoch nie mit beiden gleichzeitig. Wirtschaftsminister Doppler kennen Sie ja aus den Nachrichten: Er ist 56 Jahre alt und macht einen sehr bodenständigen, ich hätte beinahe gesagt, erzkonservativen Eindruck. Unterschätzen Sie das aber nicht, er ist herumgekommen in der Welt. Seine zunächst vorsichtige Art erscheint vielen zu passiv, ja ängstlich. Er wird oft nicht ernst genommen, vor allem auf Bundesebene.

      Tja, das Grundproblem.

      - Wenn er aber eine Rede in rhetorischer Manier eines Cicero hinlegt, und das in absolutem Business-Englisch, ebben die Zweifel schnell ab. Aber leider erst dann.

      Maier kann dem nur zustimmen und ihm fällt gar nicht auf, dass Stahl gerade eben Emotion zeigte. Er ist zu beschäftigt mit dem Versuch, die Querstange des Kartenständers langsam nach oben zu schieben: Es quietscht, und die Rolle, die eingeklemmt zwischen seinen Beinen lagert, beginnt, hinter ihm nach unten zu rutschen, wodurch es vorne natürlich nach oben geht.

      - Der Vorstandschef der Ahorn AG, Dr. Schönleben, ist ein Münchner Kindl. Er ist Jahrgang '66 und in der High-Society aufgewachsen. Der Vater ist lange Jahre Diplomat in Madrid gewesen, die Mutter bis heute Teilhaberin einer Privatbank. Was sein Antrieb ist, weiß ich nicht genau - vielleicht ist es der Spaß an sich. Ich glaube nicht unbedingt, dass er die Welt verbessern will, ich hatte sogar den Eindruck, er scheint geradezu süchtig nach Spaß zu sein.

      Stahl macht eine Pause, wirkt nachdenklich.

      - Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen?

      - Ja, aber er ist dabei kein Dampfplauderer, Herr Maier. Und er hat sich nie auf seinem leichten Start ins Leben ausgeruht, ist sogar noch ehrgeiziger als sein Vater.

      Er legt eine zweite Pause ein, dreht sich zur Fensterfront und entscheidet, dass es genug an frischer Luft ist. Während er die Scheiben schließt, hat Maier Gelegenheit, die Öse der Rolle mit voller Aufmerksamkeit, aber immer noch umständlich, in den Haken des Ständers zu fummeln - was vorher wesentlich leichter gewesen wäre, vor dem Hochschieben.

      - Verbandspräsident Kleingarten ist nur ein Jahr älter als Dr. Schönleben, aber, wie ich vermute, grundverschieden. Er wird genauso sein, wie man sich einen Verbandspräsidenten vorstellt: Ein Funktionär, der von seiner Wichtigkeit sehr überzeugt ist - ohne ihn darf nichts laufen. Um an diesen Posten zu gelangen, muss man sich durch endlose Schichten von Vereinsmeiern schneiden, die in allen Verbänden sitzen und alle Recht haben wollen, oft gar nicht der Sache wegen. Man muss selber Vereinsmeier sein, sonst gibt man vorher auf.

      - Sind Sie selbst in einem Verein, Herr Stahl?

      - Nein. Nie gewesen.

      - Und Ihr Parteibuch?

      - Also, Herr Maier! Erwarten Sie etwa, dass ich darauf eingehe?

      Maier hakt nicht ein, nur die Karte, die endlich da ist, wo er sie hinwill.

      - Kleingartens Kontakte sind für uns Gold wert - seine kurzen Wege garantieren uns eine hohe Geschwindigkeit, an Informationen zu gelangen, vor allem an Insiderwissen. Er darf bei der Konferenz nicht fehlen. Ich bin froh, dass er so kurzfristig kommen kann.

      So, die Karte ist drin und ich glaub', auch richtig herum. Den