Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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Ostseeröhre Erdgas nach Deutschland bringen. Nord Stream, genau wie South Stream, sind Konkurrenzveranstaltungen zu Nabucco, aber leider nicht die einzigen - da ist noch der Iran, der mit einer eigenen, der Persian Pipeline, ebenfalls am europäischen Markt teilnehmen will. Doch wird Iran, solange die Sanktionen anhalten, mit seiner Leitung nicht weiter als in die Türkei kommen. Und mit den Sanktionen fällt dieser, immerhin im Besitz der zweitgrößten Erdgasreserven der Welt, auch als Lieferant aus, was die Sache für Fischers Truppe nicht einfacher macht. Genau vor zwei Wochen wurde er nun offiziell von der Liste der Länder gestrichen, die Nabucco einmal befüllen sollen. An seine Stelle ist nun ein halbwegs stabiler Irak gerückt, die Nummer elf der Welt, mit zehn Mal weniger Erdgasreserven als der Iran.

      Maier verlängert Nabucco von Erzurum aus in den Irak.

      - Mit irakischem Erdgas also würde Fischers Leitung noch nicht voll genug.

      Zentralasien, sprich Turkmenistan, die Nummer vier, zu gewinnen, ist daher für die Rentabilität von Nabucco Grundvoraussetzung. Und da gibt es gute Nachrichten, nicht nur für Nabucco, sondern auch für uns, womit ich die Ist-Situation beschließen will ...

      Stahl ist Maier dankbar, das Tempo herausgenommen und konsequent seine Arbeit zu Ende gebracht zu haben. Wenn sein Mitarbeiter sich nicht durchsetzen kann, wie stünde er selbst dann da?

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      - Danke, Herr Maier, ich übernehme ab jetzt - und lasse die Katze aus dem Sack.

      Während Maier umständlich versucht, sich lässig am Lehrerpult anzulehnen, bringt Stahl den Anwesenden die neue Situation nahe, wie Maier vorher ihm:

       Gewaltiges Öl- und Erdgasvorkommen unweit der Küste Turkmenistans entdeckt.

       Amerikaner bitten die Bayern, im ÖKK für Centrifugge einzuspringen, die kurz vor der Insolvenz steht und dringend Geld braucht.

      Dann macht er, leicht begeistert, die Vorteile deutlich, die sich daraus ergeben können:

       Versorgungssicherheit Bayerns mit Öl aus Aserbaidschan

       Gleichzeitiges Verdienen am Verkauf des Öls

       Gleichzeitiges Verdienen an Betrieb und Wartung des Pipelinestücks in Georgien

      - Das ÖKK-Geschäft allein ist bereits rentabel, selbst wenn wir nicht an die turkmenischen Rohstoffe gelangen. Und falls doch, ergeben sich für diesen Fall weitere Vorteile. Ich zähle auf:

       Versorgungssicherheit Bayerns mit Öl und Erdgas aus Turkmenistan

       Gleichzeitiges Verdienen am Verkauf von Öl und Erdgas

       Lukrativer Großauftrag durch Neubau von bis zu drei Pipelines durch den Kaukasus

      In beiden Fällen würden wir uns von Russlands Stellung als Drehscheibe emanzipieren.

      Stahl wechselt übergangslos, und immer noch leicht beschwingt, zu den Hürden, die er Ihnen nicht unterschlagen will...

       Mehrheitliche Zustimmung des ÖKK notwendig.

       Die vier großen Parteien des Konsortiums: Großbritannien, Norwegen, Aserbaidschan und die Türkei könnten den Anteil von Centrifugge unter sich aufteilen wollen.

       Georgien hat Vetorecht, wenn der Pipelinebetreiber seines Landes wechselt.

       Berliner Beon und PromGaz haben sehr großen Vorsprung in Turkmenistan.

       China und Indien werden ebenfalls um Turkmenistan kämpfen.

       Nachbarn Kasachstan und Iran wollen Streckenführung nach Westen verhindern.

      ...und setzt, bei diesen vielen Hürden wieder ernst geworden, zum Schluss-Plädoyer an:

      - Die Amerikaner bieten uns ihre volle Unterstützung an, eine einmalige Chance! Sie sind unsere Dooropener fürs ÖKK, unserem Sprungbrett nach Turkmenistan. Und wir sind für sie die Idealbesetzung, da wir uns erstens in die westliche Schicksalsgemeinschaft harmonisch einfügen würden, zweitens liquide sind und drittens sofort einsatzbereit: Für den Pipeline-Betreiber in Georgien muss schnellstens Ersatz gefunden werden. Jeder Tag Stillstand hätte einen Umsatzverlust von 77 Millionen Dollar zur Folge. Jeder Tag! Und-

      Genau wie vor einer guten Stunde Maier wird diesmal Stahl unterbrochen, mit einer berechtigten Frage von Kleingarten.

      - Herr Stahl, ...

      Angriffslustig beugt er sich nach vorne und greift nach der Illustrierten, rollt sie zusammen, als wolle er mit ihr zum Marsch blasen, und nimmt sich noch die Zeit, wieder nach hinten in seine bequeme Ausgangsstellung zu rutschen.

      - ... angenommen, es wäre also in der Tat möglich, dass Bayern die Anteile am ÖKK erhalten täte. Wie wollen's denn das andere Ding in Turkmenistan zu diesem Zeitpunkt noch umdrehen? Wie ich das sehe, haben die Berliner die Nas'n vorn. Und wie wollen's dann TurkmenGaschi dazu bringen, plötzlich die Lager zum Wechseln, und auch noch mit Eana zammzumarbeiten? Haben's Ansprechpartner? Wen kennen Sie dort drunten eigentlich?

      Er fokussiert Stahl direkt an und hält die Verbindung drei Sekunden lang aufrecht, bevor er sich dem Wirtschaftsminister zuwendet.

      Ok, den Doktor lässt er links liegen, der ist ihm wohl zu sunnyboy. Und mich - mich mag er sowieso nicht mehr, aber des is mir Wurscht.

      Kleingarten schwenkt wieder zurück zu Stahl, und, weil dieser noch schweigt, fühlt sich Maier in der Verantwortung, die Pause zu beenden und die Strategie des Wirtschaftsausschusses zu erklären. Kleingarten bekommt das mit und schlägt reflexartig mit seiner Zeitschrift in die linke Hand, doch Stahl ist es, der seinen Schützling nicht zu Wort kommen lässt.

      - Herr Kleingarten, ich verstehe Ihre Zweifel - sie sind berechtigt. Doch hören Sie sich zunächst unsere Strategie an, die ich Ihnen allen jetzt vorstellen will.

      Kleingarten richtet sich kurz auf, sinkt aber wieder in seinen Lederstuhl ein. Der Wirtschaftsminister und Dr. Schönleben sitzen beide aufrecht und berühren ihre Rückenlehnen nur leicht, Ersterer sitzt gar mit Block und Bleistift da. Sie warten auf Stahls Worte.

      - Meine Herren, mir ist klar, dass sie alle als Macher nur ungern auf jemanden angewiesen sind. Ich meine angewiesen auf jemanden, der Ihnen nicht untersteht.

      Stahl macht eine kurze Pause, um sich der Aufmerksamkeit aller zu versichern.

      - Sie ahnen bereits, ich spreche von der amerikanischen Seite. Sie war es, die die Möglichkeit überhaupt erst an uns herangetragen hat, in Zentralasien eine wichtige Rolle zu spielen. Sie reichen uns die Hand - zwar nicht freiwillig, sondern aus einer Notlage heraus. Und wir stellen als verlässlicher Partner mit Finanzkraft und technischer Kompetenz eine Idealbesetzung dar.

      Mir ist durchaus bewusst, dass sich die amerikanische Hilfe in einem halben Jahr wieder in Luft auflösen kann, aber im Augenblick können wir von ihnen profitieren, von ihren Verbindungen in dieser Region. Und wenn wir da einmal drin sind, können wir unser eigenes Netzwerk aufbauen, als Sicherheit, und um uns von ihnen zu emanzipieren.

      Ich weiß, unsere Ausgangslage ist bestimmt nicht die beste - wir werden uns sehr beeilen müssen, und auch auf die nötige Portion Glück wird es ankommen. Trotz allem aber ist es eine sehr sehr große Chance und wir haben nicht viel zu verlieren, können jedoch viel gewinnen. Auch, weil die wenigsten mit uns rechnen.

      Stahls Augen leuchten überzeugt, er ist seiner sicher. Und er hat wieder derart vorgelegt und mit seiner Präsenz eine Situation erschaffen, der man sich schwer entziehen kann, geschweige denn widersprechen. Auch die beiden Aufrechten scheinen Feuer gefangen zu haben, doch Kleingarten lässt das kalt-

      - Gut, Herr Stahl. Also no amoi angenommen, Sie schaffen den Sprung ins ÖKK - was ich immer noch ned glauben kann, weil Norwegen und die Englända bestimmt ned begeistert sein werd'n von neuen Mitspielern. Und das, obwohl es ja - wie es vorhin so schön geheißen hat - eine westliche Schicksalsgemeinschaft