Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


Скачать книгу

null berechenbaren turkmenischen Gaszentrale - glauben's wirklich, dass der amerikanische Einfluss ausreichen werd? In diesen Zeiten?

      - Was bringt uns feiges Abwarten?

      Der Doktor ist drauf. Frontalangriff!

      Dr. Schönleben grinst Kleingarten nach seiner Attacke an, der das natürlich nicht auf sich sitzen lässt.

      - Herr Dokta Schönlebm, san's a rechta Träuma, ge!

      Des war's komplett mit Hochdeutsch. Aus.

      Er lacht derb in Richtung des 'Doktas', visiert ihn direkt an und schlägt schon in Siegerpose seinen Spiegel in die linke Hand.

      - Haben's scho amoi mit de Turkmenen zammagarbat? Wissen's, i konn Eana do a paar Gschicht'n erzählen von bayrischen Mittelständlern, die dort druntn nach kurza Zeit wieder aufgeb'n hamm. Und wissen's, warum?

      Dr. Schönleben lacht ähnlich derb zurück, was die Stimmung am Tisch, die seit Kleingartens Eintreffen ohnehin schon angespannt war, an Schärfe zunehmen lässt. Sie zu diesem Zeitpunkt als gereizt zu beschreiben, wäre allerdings gelogen. Vergiftet trifft es besser und der Showdown steht unmittelbar bevor.

      Die beiden könnten aus Maiers Sicht unterschiedlicher nicht sein - rechts Dr. Schönleben, der, wie Kleingarten glaubt, immer Glück gehabt hat im Leben und nie kämpfen musste. Links Kleingarten, der sich von Anfang an hochgebuckelt hat in den harten Banden der Verbände, und es nun jedem unter die Nase reibt, ja, zum bitteren Vorwurf macht, wie schwer er es hatte, wie wiederum Dr. Schönleben ihn sich vorstellt.

      Was die beiden jedoch nicht wissen - sie verbindet mehr, als sie es je zugeben würden: Ihre enorme Abgeklärtheit in Grenzsituationen und der krampfhafte Ehrgeiz, nicht verlieren zu können, nicht ums Verrecken. Die beiden werden in Kürze einen Schlichter brauchen.

      - Also schießen Sie schon los, Herr Kleingarten.

      Dr. Schönleben atmet genervt aus.

      - I hob gwusst, dass Sie des interressiert!

      Kleingarten lacht wieder, lacht ihn geringschätzend aus und beachtet ihn nicht weiter, wendet sich hin zum Wirtschaftsminister, zu Stahl, und versucht, sich nach diesem emotionalem Zwischenspiel wieder im Hochdeutschen.

      - Die Turkmenen sind kein sesshaftes, kein sehr zuverlässiges Volk. Zusagen sind nicht unbedingt bindend, was daran liegen mag, dass sie in ihrem Innern Nomaden blieben san - gewohnt, von heut' auf morgen zu lebm. Zu überlebm. So schnell ändert sich so a Volksseel'n ned. Nicht einmal Zarenherrschaft und dann die Sowjets hamm daran was ändern können. Und wenn Sie heut' mit die Verantwortlichen dort einen Deal abschließ'n, ohne vor Ort Druck machen zum können, dass sie ihn auch einhalten, dann werdn's zu deren Spielball. Mit andern Worten - sie san z'kloa, um zum Beispiel mit Sanktionen auf die Einhaltung der Verträge pochen zum kenna.

      Klack, der Spiegel schlägt wieder zu.

      - Auch alle westlichen Energieries'n zamma g'numma würd'n ned ausreich'n bei dene. Und die Amis werd'n boid aus Afghanistan obziagn, dann komma von do aus a koan Druck mehr ausüb'n.

      - Haben wir ein Glück, dass wir mit Ihnen einen Geostrategen Güteklasse 1 an Bord haben! Ohne Sie würden wir glatt in unser Verderben laufen, kommt es vom Doktor.

      - Sie lassen sich gar nix sag'n, richtig?

      - Muss ich das?

      - Sie soit'n!!

      Die beiden sehen sich wieder in die Augen. Keiner rückt auch nur einen Millimeter aus dem Blickfeld des anderen ab.

      Es ist sehr still geworden, bis auf den Beamer, der unbeeindruckt den Raum aussurrt - so sehr, dass man ihn gar nicht mehr wahrnimmt, als gehörte er schon irgendwie dazu. Maier fragt sich, wer von beiden zuerst aufgibt und sich als Erster dem Blick des anderen entzieht. Es erinnert ihn an eine ähnliche Situation, in der ein Blickduell fast 2 Minuten gedauert hatte. 2 Minuten! Der absolute Rekord bisher. Er wurde vor 3 Jahren in einem Ausschuss aufgestellt, zwischen einem Russen und einem Ukrainer, bei dem Maier für die deutsche Seite gedolmetscht hatte.

      Das Männerritual bahnt sich weiter seinen Weg über den Konferenztisch, durch den Raum hindurch, der die Stille seit mittlerweile beachtlichen 30 Sekunden in sich aufgesaugt hat. In einem Saloon vor hundert Jahren wäre an dieser Stelle der Schlussstrich schon lange gezogen worden, und Revolver könnten sie sogar dabei haben bei der praktisch nicht vorhandenen Kontrolle unten beim Empfang.

      Der Wirtschaftsminister spielt mit seinem Bleistift, sein weiß-kariertes Blatt ohne Rand ist immer noch leer. Er schwankt zwischen weiter aufrecht sitzen, abwartend in den Sessel sinken und blickt nach vorne zu Maier.

      Was schaut der mich so an? Soll ich etwa was sagen? Soll er doch!

      Maier steht halt wie ein Lehrer da, immer noch neben dem Beamer auf das Pult gelehnt - mit Zeigestab in der Hand, der wie eine Rute aussieht, mit der man früher zu laute Kinder verprügelt hatte. Sein Blick geht hinüber zu Stahl.

      Eigentlich muss Stahl jetzt was sagen.

      40 Sekunden, doch er sagt nichts, sitzt steif, ja beinahe scheintot und blass wie im Wartezimmer ausharrende Augenarztpatienten am Land. Was geht in Jakob Julius Stahl vor? Ist es Taktik?

      Jay Jay passt eigentlich gar nicht zu ihm, wie er hier intern genannt wird. Es ist eher ein Zeichen dafür, ein Wink seiner Kollegen, dass sie ihn halt lieber als Jay Jay erleben würden statt dem viel ernsterem Jot Jot - seine bessere Laune quasi herbeijayend. Doch im Augenblick ist Stahl so weit entfernt von Lässigkeit wie die Berliner Vertretung vom EU-Parlament hier in Brüssel.

      Dr. Schönlebens anfängliches Grinsen ist einer stählernen Miene gewichen, es liegt Verbitterung in der Luft, auch Ärger, Wut. Hat Kleingarten den falschen Nerv beim Doktor erwischt? Maier zählt immer noch mit.

      ..... 45 ..... 46 ..... 47 .....

      Die Minute wird nicht mehr geknackt werden, denn einer macht Anstalten - es ist Dr. Schönleben. Dieser greift jetzt an, mit konzentrierter Stimme, hart und präzise, wodurch sie eine ordentliche Lautstärke erreicht.

      - Ich sollte? Sie sagen mir, ich sollte?

      Er schüttelt den Kopf.

      - Wissen Sie, Herr Kleingarten, ich gebe nichts auf ihr Schwarz-Weiß, auf Ihre geschmacklosen Vorurteile oder auf Geschichten anderer. Auf Geschichten von Verlierern.

      Das hat gesessen.

      Jesse James hätte schon lange abgedrückt. Der Gegenangriff kommt aber noch, und er kommt verbal - Kleingarten lässt keine weitere Sekunde mehr verstreichen.

      - Es wundert mi imma wieder, wie oana wia Sie nach oben foin hod kenna.

      Kleingarten lacht dreckig, fasst sich an den prallen Bauch und hält sich dabei an seiner Krawatte fest, schiebt sie anschließend nach links und nach rechts, wie zum Reinigen einer Glaskugel, synchron zum gleichmäßigen OMMM - SURRR - OMMM - SURRR des Beamers.

      Kleingarten beobachtet den Doktor genau, wie der nun darauf reagieren wird. Der Wirtschaftsminister hingegen sieht nochmal hinüber zu Stahl und will endlich eingreifen, da kommt der ihm aber noch zuvor. Und auch Dr. Schönleben kommt er zuvor, der gerade ausholen will zum großen Finale. Der Stahl-Riese erwacht, ihm reicht's. Ihm, der hier fast 20 Jahre älter ist als die beiden Kontrahenten - das hat er nicht nötig.

      Er wuchtet seine Faust auf den Konferenztisch und springt aus seinem Stuhl, der zwei Meter fünfzig nach hinten wegfliegt, und das derart parallel, dass er nicht einmal umfällt. Er wird sehr laut.

      - Reißen Sie sich zusammen!

      Stahl stemmt seine Hände in seine Hüften wie ein alternder John Wayne, dem das Warten beim Augenarzt nach fünf Minuten bereits zu viel wird und sich, noch Mumm in den Knochen, vor der hilflosen Sprechstundenhilfe aufbaut.

      -