Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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ergehen lassen. Und ich dachte, Sie wären für uns wertvoll, mit Ihrer Erfahrung. Doch nun muss ich mir überlegen, ob ich sie überhaupt noch dabei haben will.

      Er macht eine Pause, sieht die beiden an, wartet, ja erwartet, dass die beiden zu ihm aufsehen. Und sie tun es auch binnen weniger Augenblicke und bezeugen ihm Respekt schon allein deshalb, damit es ihn nicht vor aller Augen zerreißt. Selbst der Beamer bekommt ein schlechtes Gewissen und surrt leiser.

      - Warum sind Sie überhaupt hergekommen? Was bilden Sie sich ein!

      Er unterbricht erneut, blickt bewußt an den beiden vorbei aufs Bild am Ende des Konferenzraumes, wo Übervater Strauß das ganze mitverfolgt hat. Kopfschüttelnd will er zur Fensterfront hinüber, um absichtlich laut ein Fenster zu öffnen und, um sein Hinüberschreiten deutlich von anderen Hinüberschritten zu unterscheiden, will er den Stuhl, den er noch direkt hinter sich wähnt, von sich wegstoßen, um den Jungspunden zu zeigen, wo der Hammer hängt.

      Maier beobachtet seinen Chef, wie er nach hinten unten ins Leere greift und beinahe zu spät bemerkt, dass da kein Stuhl mehr sein kann. Der kauert noch ganz an der Wand und kann nicht als Stütze herhalten, worauf Stahl um ein Haar sein Gleichgewicht verliert.

      Davon unbeeindruckt, wie John Wayne von den Ausreden der Sprechstundenhilfe, ändert er seinen Plan, geht ein paar Schritte im Raum umher und kehrt dann wieder derart kontrolliert an den Tisch zurück, als wäre es nie anders geplant gewesen. Seine Hände kleben immer noch an den Hüften.

      Die jungen Kampfhähne bleiben erstaunlich ruhig und begleiten dessen Theatralik mit Aufmerksamkeit - sie sind noch immer überrascht vom plötzlichen Gefühlsausbruch eines sonst so ernsten Charakters wie Stahl. Doch kein Beben ohne Nachbeben, er würde sie am liebsten rausschmeißen, weil er mehr Professionalität erwartet hatte. Während John Wayne sich selber rausschmeißt und zum nächsten Augenarzt in die Stadt reiten will, kommt es ihm nochmal hoch.

      - Wir müssen hier zusammenarbeiten. ZU - SAM - MEN - AR - BEI - TEN !!

      Stahl schlägt bei SAM - MEN erneut auf den Tisch, diesmal nicht im Sitzen, sondern aus dem Stand heraus. Die Wucht des Aufpralls stellt den ersten Hieb weit in den Schatten, ist noch intensiver als vorhin, aber auch unkontrollierter. Als er seine Faust wieder vom Tisch abhebt - seine Energie für heute hat er vollständig im Tisch versenkt, wie John Wayne vorhin in der Sprechstundenhilfe, weshalb der seinen Plan, in die Stadt zu reiten, aufgegeben hat, weil er kurz vor Pasing wegen Müdigkeit vom Pferd gefallen war. Als Stahl also seine Faust wieder vom Tisch abhebt, lässt er sie fatalistisch und müde, wie 'Ach, macht doch, was ihr wollt', nach vorne wegschwingen, wodurch er sein volles Glas Wasser mit gerade so viel Kraft in Bewegung setzt, dass es fast den Kipppunkt erreicht, zum Stillstand kommt und dann doch, was physikalisch gar nicht möglich ist, nach vorne weiterbeschleunigt und auf dem Wirtschaftsminister niedergeht.

      Der komplette Inhalt ergießt sich auf dessen Seidenkrawatte, Hemd und natürlich, in einem großen Finale, auf dessen Schritt. Der Begossene sieht betroffen zur Bestandsaufnahme nach unten, wo es deutlich kühler wird, da der kleine See, der sich dort herausgebildet hat, nicht seiner Körpertemperatur entspricht.

      Stahl setzt nach-

      - Wir MÜSSEN !!

      Doppler ist ganz mit sich selbst beschäftigt, mit seiner Hose, seinem Pech und dem vielen Wasser. Und jetzt bricht es aus Dr. Schönleben heraus, er kann sich nicht mehr halten. Auch Kleingarten brüllt, lacht, ja, er fängt an zu wiehern und hält sich wieder den Bauch.

      Maier als Unbeteiligter hat schon die ganze Zeit Spaß, doch dieser Höhepunkt übertrifft seine Erwartungen und es erwischt ihn warm - es kribbelt um die Bauchspeicheldrüse und er muss herzlich mitlachen und hofft, dass der Wirtschaftsminister noch lange so erstarrt seiner 149 Euro teuren Seidenkrawatte nachtrauert, wie sein Chef seiner Autorität.

      Die Situation lässt die beiden Alten nun auch nicht mehr kalt, sie machen mit. Erst Doppler, dann Stahl, der sich nach wenigen Augenblicken für den Unfall entschuldigt. Der Graben scheint erst einmal überwunden, die Kleingarten-Schönleben Front hat sich soeben aufgelöst, das Ritual ist beendet. Beide konnten ihr Gesicht wahren, ohne einen Millimeter nachzugeben. Die Arbeit kann jetzt beginnen, was ihr Wirtschaftsminister sofort ausnutzen will und sich zu Wort meldet, mit kühlem Schritt und klarem Kopf.

       9

      - Herr Stahl hat Recht, wir müssen hier zusammenarbeiten!

      Doppler legt, wie Stahl vorhin, eine Pause ein, eine kurze rhetorische, um dann herauszubeschleunigen, dass es einen in den Sitz presst. Seine Überenergie nach langem Stillhalten und sich Zurücknehmen wird am Gefühlsausbruch deutlich, der an seinen Fäusten am besten zu beobachten ist. Die ballt er zusammen, als wolle er, um Geld zu sparen, die Reste seiner Bleistift-Kohlemine zu Diamanten recyclen, für zwei neue Ohrringe, und streckt sie, weil noch Energie übrig ist, halb über den Konferenztisch nach vorne und wieder zurück wie zwei Bizepshanteln.

      - Wir müssen an einem Strang ziehen. Es geht um die Zukunft, um unsere Energieversorgung und entsetzlich viele Arbeitsplätze für unser Land. Und wir müssen den großen Wurf wagen! ÖKK alleine reicht nicht! Bakus Öl wird nicht ewig sprudeln, nach gut 20 Jahren wird Schluss sein. Wir müssen nach Turkmenistan, für ein zweites Ölstandbein und Erdgassicherheit. Meine Herren-

      Dopplers Fingerkuppen bohren sich weiter brutal ins eigene Fleisch, die sich, wenn sie so weiter machen, sich selbst von der Blutzufuhr abschneiden werden.

      Was kommt nach Diamant?

      - Ich brauche Ihre Kompetenz - Sie sind beide nicht durch Zufall dort, wo sie jetzt stehen.

      Die Fingernägel haben beide Lebenslinien durchtrennt - zu seinem Glück irgendwo bei 53 Jahren, das juckt ihn nicht mehr. Trotzdem ist nun genug, er öffnet seine Hände und wirbelt sie durch die Luft.

      Erst Steinmetz, jetzt Italiener.

      Die schnelle Gestik verleiht ihm Lebendiges, ein Gefühl von Unmittelbarkeit und Nähe, ja von Zuversicht. Auch der Klang seiner Stimme und der Einsatz seiner Betonungen glückt gekonnt, als hätte er heimlich vorm Spiegel geübt. Doch es ist Begeisterung, welche ihn trägt, ihn fliegen lässt und so eine Stimmung produziert, als könnten sie es wirklich schaffen.

      Der Wirtschaftsminister will sich die beiden nun einzeln vornehmen, dreht sich mit dem Stuhl nach rechts, ganz zu Dr. Schönleben, und beginnt absichtlich leise mit seinem nächsten Akt.

      - Herr Dr. Schönleben, Ihre Ahorn AG ist die Idealbesetzung, um die Lücke zu schließen, die Centrifugge hinterlassen wird. Nicht nur ihr Ruf in dieser Branche ist hervorragend, sie ist obendrein noch liquide und könnte aus dem Stand heraus ein Fünftel der Anteile sofort bezahlen, was nicht nur Centrifugge den Allerwertesten retten würde.

      Das ÖKK besteht, das weiß jedes Kind, aus milliardenschweren Unternehmen, aber locker aus der Hüfte kann es Centrifugge nicht ersetzen. Es muss als Gesellschaft noch die immensen Baukosten der Pipeline abstottern, und das wie üblich aus den aktuellen Einnahmen heraus, was schwierig wird bei niedrigem Ölpreis. Wie Sie wissen, ist der wegen der Wirtschaftskrise, die auf die Finanzkrise folgte, monatelang weit unter 60 Dollar je Barrel gerutscht, weshalb Zusatzkredite aufgenommen werden mussten. Und die Krise heute ist noch nicht überstanden.

      In dieser Lage wäre ein längerer Ausfall von Centrifugges Abschnitt in Georgien eine Katastrophe, denn die Gläubiger wollen laufend Geld sehen, sie dürfen nicht verprellt werden. Man will auch in Zukunft noch neue Kredite aufnehmen, für andere Projekte.

      Bis die Röhre abbezahlt ist, kann sich das ÖKK keinen großen Fehler leisten. Und wird sich über ihre Ahorn AG als stabilen, nicht insolvenzgefährdeten Partner freuen, der nach dem Einstieg auch noch Fleisch für weitere Investitionen hat, für den Poker um Turkmenistan.

      Der Wirtschaftsminister ist gegen Ende noch leiser geworden und blickt den Doktor beschwörend an.

      - Es hat sich ein Fenster geöffnet für uns, ja für Deutschland und Europa! Die Union hat einige