Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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insgesamt 8

      Lebenserwartung: ca. 40 Jahre

      Fließgeschwindigkeit: ca. 2 Meter pro Sekunde

      Kleingartens Gesichtsfarbe nähert sich Schweinsbraten 'medium', weil er Details nicht vertragen kann.

      - Zum Vergleich - Die Leitung mit ihren 50 Mio Tonnen jährlich liefert gut ein Prozent der Weltproduktion und könnte damit über 40% des Verbrauchs von Deutschland abdecken.

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      Maier schaltet weiter zum Slide des wichtigsten Erdgas-Konsortiums im Kaukasus.

      - Baku hat auch Erdgas zu bieten! Das Konsortium zur Ausbeutung dieses Bodenschatzes ist folgendermaßen aufgeteilt:

      Besitzverhältnisse Erdgas-Konsortium:

      25,5% - VP (Großbritannien)

      25,5% - Statusoil (Norwegen)

      10% - SACCOR (Aserbaidschan)

      10% - PromPagi (Russland/Italien)

      10% - Entier (Frankreich)

      10% - SOOI (Iran)

      9% - TüPetro (Türkei)

      100%

      Für die Erdgasleitung wählt er Rosa, was mittlerweile Kleingartens Gesichtsfarbe entspricht.

      - Die entsprechende Leitung, die 2006 eingeweiht wurde, die South Caucasus Pipeline, oder BTE, startet ebenfalls in Baku, verläuft parallel zur Ölleitung und liegt ebenfalls unterirdisch. Sie geht nicht ans Mittelmeer, sondern endet in Erzurum - das Erdgas wird von dort in das türkische Erdgasnetz eingespeist. Hauptabnehmer ist momentan die Türkei, daneben Griechenland und auch Georgien, das als Transitland immerhin 5% kostenlos für sich beanspruchen darf, sozusagen als Maut.

      Die Leitung hat eine Kapazität von 17 bis 20 Mrd. Kubikmeter pro Jahr, was annähernd einem Prozent der Weltproduktion entspricht und einem Fünftel dessen, was Deutschland verbraucht.

      Kleingarten stöhnt.

      - Und noch eine wichtige Bemerkung: Öl- und Erdgaskonsortium sind zwar getrennte Organisationen, aber eng miteinander verzahnt. Es sind ja fast immer dieselben Mitspieler, was die Nutzung desselben Korridors für Öl- und Erdgas erklärt, ebenso die damalige Übertragung der technischen Verantwortung auf dasselbe Projektteam für den Bau beider Pipelines.

      Nach all den Details und Zahlen wird Kleingarten ungehalten. Er kennt die Größenordnungen und will endlich wissen, warum er hier ist. Stahl bemerkt es ebenfalls-

      - Herr Maier, ich denke, es ist Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen.

      - Herr Stahl, lassen Sie mich bitte die Rohre noch zu Ende einzeichnen, damit wir ganz sicher auf dem gleichen Stand sind!

      Maier hat das eben in einem sehr bestimmenden Ton gesagt und ist genervt, dass nach nicht einmal fünf Minuten bereits die Eitelkeit eines einzelnen den Kurs bestimmen soll. Doppler und Dr. Schönleben sind alles andere als genervt über die Einleitung.

      - Aber nur die wichtigsten, motzt Kleingarten laut.

      - Es sind alle wichtig!

      Der regt mich auf! Jetzt keinen Fehler machen, Maier, keine Schwäche zeigen. Einfach stur weiter, sonst bist' für immer der Depp.

      Mit Absicht verlangsamt Maier nun sein Tempo. Seine Gestik wirkt bedacht, auch spricht er langsamer und zeichnet - fast gemächlich - nach und nach die übrigen 17 Ölleitungen ein.

      Maier legt danach eine kurze Pause ein, um was zu trinken, und scheut dabei bewusst den Blickkontakt mit dem Unruheherd - darauf würde er nur warten, er, der seit Minuten hoch errötet seine eingerollte Zeitschrift in die Handfläche hineinklackt wie ein Baseballer seinen Schläger.

      So ein Arsch.

      Maier liegt ein 'Sind Ihnen die Farben zu langweilig?' auf den Lippen, was er aber nicht bringen kann. Er muss ruhig bleiben, die Sache jetzt durchziehen und stur mit den Erdgasleitungen weitermachen.

      Zumindest nicht 'Segeln heute', sondern der Spiegel.

      Das Klacken Kleingartens macht auch die anderen Teilnehmer nervös, vor allem den Doktor, der dem Treiben zunächst noch eine Weile zusieht.

      - Jetzt zum Erdgas!

      Nicht deeskalierend wirkt, dass Maier die Leitungen zum Teil zwei Mal einzeichnen muss - auf der unteren Karte, dann auch auf der oberen, der Übersichtskarte: Die nächsten 25 Röhren ziehen sich länger hin als gedacht.

      In Kleingarten gärt es nun über, sein Klacken wird aggressiv, was der Doktor, den Maiers Leitungen sehr interessieren, sich nicht länger gefallen lassen will. Er ergreift das Wort.

      - Hatten Sie zu viel Kaffee, Herr Kleingarten?

      Nicht zur Beruhigung der Lage beitragend zeigt es dennoch kurzfristig Wirkung, was Maier Gelegenheit gibt, die letzten drei Leitungen aufzumalen. Kleingarten umfasst die Zeitschrift immer stärker mit seiner linken Hand und drückt sie zusammen, ohne den Doktor dabei anzusehen.

      - Meine Herren, zum Schluss muss ich etwas zur letzten, zur sogenannten Nabucco-Erdgaspipeline sagen.

      Kleingarten Überdruckventil greift, als er Maiers Stift wieder aufpoppen hört - er legt seine Rolle demonstrativ unsanft auf den Tisch, worauf die anderen drei am Tisch reagieren müssen. Sie bremsen ihn kollektiv ein, in einer konzertierten Aktion, mit einem verständnislosen, beim Doktor gar bösartigen Blick.

      - Der Bau dieser Pipeline ist schon seit Jahren von deutschen, österreichischen, ungarischen, rumänischen, bulgarischen und türkischen Energieversorgern geplant und würde von den jeweiligen Regierungen mitgetragen, um zum einen mehr Unabhängigkeit von Erdgasimporten aus oder durch Russland hindurch zu erlangen, und zum anderen, um mit eigener Pipeline in petto als Mitspieler um die zentralasiatischen Rohstoffe ernst genommen zu werden.

      Das Projekt ist in seiner Planungsphase weit fortgeschritten, erstes Erdgas soll bereits Ende 2014 nach Europa strömen, sprich: der erste Spatenstich wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Doch eine quälende Frage wird bleiben: Wo soll das Erdgas langfristig und zuverlässig, und genauso wichtig: in ausreichender Menge überhaupt herkommen?

      Das Erdgas der politisch stabilsten Quelle - Aserbaidschan - wird bereits zu einem Teil von der Türkei, Griechenland und Georgien verbraucht. Hinzu kommt, dass seit Januar auch Russland und Iran diese Felder anzapfen, womit dort nicht mehr viel für Nabucco übrigbleiben wird, und mit Russland und Iran kommen wir gleich zum nächsten Problem: dem Problem der Konkurrenz.

      Die Russen haben natürlich gemerkt, dass sie mit Nabucco umgangen werden sollen, und wollen mit South Stream gleich eine zweites Übel lösen: Ihre Abhängigkeit von der Ukraine als Transitland nach Westen.

      Maier fährt seinen Zeigefinger entlang der South Stream durchs Schwarze Meer, dann über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich.

      - South Stream soll nur wenig später, 2015, in Betrieb gehen, und, wie Nabucco, in Baumgarten enden. Und es kommt noch schlimmer: Die Russen, die seit Januar Bakus Erdgas anzapfen, werden verdächtigt, den Aserbaidschanern absichtlich höhere Preise als etwa den Turkmenen zu bezahlen, nur um so überhaupt ins Geschäft gekommen zu sein und damit dem Nabucco-Konsortium das Erdgas wegkaufen zu können.

      - Solche Bazis! kommt es vom Doktor.

      - Da haben Sie Recht, Herr Doktor, die Angelegenheit ist hochpolitsch, kommentiert sein Nebenmann, und weiter-

      - Mit Nord Stream, der Ostseepipeline, für die sich Altkanzler Schröder einsetzt, im Gegensatz zu Nabucco, für die sich Ex-Außenminister Fischer stark macht, wollen die Russen ihre Vormachtstellung weiter ausbauen, und damit nicht nur die Ukraine, sondern auch Polen umgehen, denen sie dann einfach den Gashahn abdrehen