Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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      - Danke für die Einführung, Herr Stahl.

      Auch wenn es Maier mittlerweile gewohnt ist, Menschen von seiner Kompetenz zu überzeugen, die doppelt so alt sind wie er - seine Hände zittern leicht beim Kleben, er hat Lampenfieber, denn die Herren sind gleich da. Geballt hochkarätig, und auch noch aus der Heimat - da darf erst recht nichts schiefgehen. Die Erwartungen an den Außen-, bzw. Horchposten in Brüssel sind unglaublich hoch.

      Stahl geht zum Telefon und ruft den Empfang an, während Maier zufrieden mit seiner Klebearbeit die beiden Karten zu einer großen Rolle zusammenrollt.

      - Wenn Dr. Schönleben und der Herr Wirtschaftsminister da sind, schicken Sie sie bitte in den Obersten. Sie kennen sich bereits hier ... wie, bitte? Sie sind schon auf dem Weg? Gut. Geben Sie mir aber Bescheid, wenn Herr Kleingarten da ist. Ich werde ihn persönlich abholen.

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      Stahl legt kopfschüttelnd auf, weil er solche Überraschungen nicht mag. Er will informiert werden, wenn jemand kommt, das ist ja wohl das Mindeste, als Hausherr. Und ihm bleibt nicht einmal Zeit, sich darüber zu ärgern. Noch während er den Hörer auflegt, treten die beiden Männer auch schon in den Saal.

      - Wir sind in der gleichen Maschine gesessen. Grüß' Sie, Herr Stahl!

      - Guten Abend, Herr Wirtschaftsminister, Herr Dr. Schönleben. Ich freue mich, dass Sie beide hier sind. Ich will Ihnen gleich meinen Dolmetscher für Osteuropa, Herrn Maier, vorstellen.

      Nach einem kurzen Hin und Her der Hände klingelt das Telefon, Kleingarten ist eingetroffen. Stahl eilt nach unten, bevor der auch noch auf die Idee kommt, sich nicht abholen zu lassen, während die drei am vorderen Tischende Platz nehmen, an der bayrischen Tafelrunde. Die beiden Fluggäste setzen sich Maier gegenüber hin und führen ihre Unterhaltung fort, was ihm Gelegenheit gibt, die beiden eingehend zu mustern.

      Dr. Schönleben trägt einen dunklen Maßanzug, dazu keine Krawatte, den obersten Hemdknopf lässig geöffnet - eigentlich wie sonst auch, wenn man ihn in den Medien sieht. Er strahlt und hat blitzweiße Zähne, kurzum: Er macht eine sehr gute Figur und scheint zufrieden mit sich und der Welt.

      Daneben Doppler, zwischen normal und guttenbergeitel, mit Maßanzug und Schlips durchgestylt, würde er, selbst wenn er dürfte, den oberen Knopf niemals auflassen. Zu sehr ist er in seiner konservativen Rolle gefangen, was ihm als Staatsdiener bisher nicht geschadet hat. Sein Kopfhaar ist voll, wurde jedoch seit seinem 50. Geburtstag deutlich heller und heimgesucht von der grauen Diva, innerhalb nur eines Jahres, was seiner Jugendlichkeit allerdings nicht schadet. Er macht einen sehr aufgeweckten, wachen Eindruck, aber niemals vorpreschend, sondern erst einmal abwartend, weshalb er sehr ruhig wirkt, wieder im Gegensatz zum Doktor, den wiederum eine Unruhe umgibt, die Maier als ständige Aufbruchsstimmung deuten will.

      Als ob er das gehört hätte, hält der Sunnyboy für einen Moment inne. Er und der Minister haben ihr Gespräch beendet und fangen ihrerseits an, ihr Gegenüber zu mustern.

      Okay, jetzt bin ich an der Reihe. Ein gutes Zeichen, schon nach einer Minute.

      Wie sehr diese kurzen Augenblicke des sich Beschnupperns zu vollen Sekunden werden, zu einem Männlichkeitsritual gar, wird sich gleich zeigen - wenn es überhaupt dazu kommt. Denn beide haben von Anfang an einen sehr lockeren Eindruck gemacht, sie scheinen sich sehr gut zu verstehen.

      Und tatsächlich, sie binden Maier direkt in ihre Unterhaltung von eben ein.

      - Hatten Sie auch in der Touristenklasse eingecheckt?

      Maier ist überrascht darüber, dass sie nicht mindestens Business geflogen sind, sehr überrascht sogar. Und obwohl er das sympathisch von beiden findet, will er sich das nicht anmerken lassen, im Gegenteil-

      - Nein, in der Ersten.

      Die beiden sind im Nu still geworden, das Lächeln von Doppler hat sogar auf fassungslos umgeschalten. Maier fährt fort.

      - Wegen der größeren Arbeitsfläche, aber in Wirklichkeit, ...

      Maier beugt sich theatralisch nach vorne und wird derart leise, als wären sie nicht mehr unter sich und Stahl würde jeden Moment hereinkommen.

      - ... weil man die Beine hochlegen kann. Ich bin froh, dass wir Dolmetscher diese Klasse endlich nutzen dürfen.

      Doppler richtet sich schon auf, als wollte er was sagen, Maier will aber noch nicht auflösen.

      - Auch ist das Essen besser. Und der Wein! Der Saint-Émilion rechtfertigt beinahe alleine die astronomisch höheren Kosten der Reise. Und man wird satt.

      - Das ist mir neu, dass Beamte Ihrer Besoldungsstufe erster Klasse fliegen dürfen!

      - Wieso fliegen? Ich bin mit dem ICE angereist.

      Dr. Schönleben lacht laut auf, und auch dem Wirtschaftsminister entweicht die Anspannung, der sich nun wieder zurücklehnen kann - ihm kommt sogar ein kleines Schmunzeln aus. Er ist erleichtert darüber, dass seine Weltordnung wieder den Normen entspricht.

      - Entschuldigen Sie, aber das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

      - Geht voll in Ordnung, Herr Maier. Haben Sie gut hingekriegt!

      Dr. Schönleben nickt ihm immer noch erheitert zu, als die Tür aufgeht und die erwarteten Herren hereintreten. Abrupt findet die Ausgelassenheit ihr Ende, die Stimmung dreht sich um, und der Raum kühlt gute fünf Grad herunter. Maier macht Kleingarten als Schuldigen aus, der mit ernster Miene auf die Männer zugeht.

      Sie stehen auf, damit sie Stahl mit dem Neuankömmling bekannt machen kann - erst mit dem Wirtschaftsminister, dann mit Dr. Schönleben, dann mit Maier.

      Immer schön die Rangfolge einhalten.

      Kleingarten, mit gut einem Meter siebzig einen halben Kopf kleiner als die anderen, ist opulent. Seine Krawatte bildet wenig unterhalb des Windsorknotens bereits einen Viertelkreis um seinen Bauch, wirkt dadurch zu kurz. Nicht zu kurz kommt sein Haar, das in voller Pracht ins Auge sticht wie seine riesigen Finger, Wursthänden gleich, die Maier Mühe bereiten, beim Händeschütteln mitzuhalten, wie den anderen vor ihm auch. Und auch wenn Kleingarten nach dem Treppensteigen noch schwer und kurz atmet, mit ihm würde sich Maier nicht anlegen wollen.

      Der muss ein Kraftwerk drunter haben.

      Und er macht den Eindruck, als müssten sie froh sein, dass er hier ist. Es wird sich gleich zeigen, wie 'gut' er mit den anderen können wird - unser Held freut sich schon auf den kommenden Schlagabtausch. Das ist das Schöne am Dolmetschen, er muss niemandem was beweisen, kann vielmehr stets positiv überraschen. Understatement. Und das Beste: Viel Zeit zum Beobachten, aus allernächster Nähe, klasse! Ständig entdeckt er eine neue Eitelkeit, eine neue Facette meist männlichen Egos, und sobald eine attraktive Frau im Spiel ist, wird es erst richtig interessant.

      Ein Platz in der ersten Reihe also, und noch dazu gut bezahlt. Maier ist zufrieden, auch ohne Flüge in der ersten Klasse - das würde ihn auch wundern, als Beamter seiner Besoldungsstufe.

       6

      Stahl geht zum Tischende und bietet Kleingarten den Platz links neben sich an. Der setzt sich hin, grunzt kurz und schnauft weiterhin laut ein und aus. Ihnen gegenüber nehmen Dr. Schönleben und der Wirtschaftsminister ihre vorigen Plätze ein, während Maier erwartungsgemäß gleich stehenbleibt, da Stahl ihm in Kürze andeuten wird, doch mit der Einleitung zu beginnen. Ohne auf sein Zeichen zu warten, geht er auf den Kartenständer zu und will ihn näher zum Konferenztisch rücken. Er wird dabei beobachtet.

      War klar, dass es wieder quietschen muss.

      Stahlöse und Haken reiben wie ein frisch verliebtes Paar vergnügt ihre nackten Oberflächen aneinander. Die kompakte Rolle spielt dabei den Verstärker, schwingt abwechselnd nach links und rechts und trifft Maier in der Abwärtsbewegung um ein Haar am Kopf, als der sich auf den Weg zum Beamer machen will. Nach Betätigung des