Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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wird wachsen, während die Nordseereserven immer weiter schrumpfen. Uns bleibt keine Wahl, wir müssen uns in Eurasien behaupten, auf diesem gigantischen Kontinent.

      Mit bebender Stimme beendet er seinen Appell, visiert sie alle an und landet am Ende wieder beim Doktor-

      - Durch dieses Fenster jetzt nicht hindurchzusteigen wäre gröbst fahrlässig. Und ich will mich nicht einmal rechtfertigen müssen, es nicht versucht zu haben. Herr Doktor, überzeugen Sie Ihre Vorstandskollegen, damit wir schnell handeln können - auf Geschwindigkeit kommt es jetzt an. Kann ich mich auf Sie verlassen?

      Maier kann leider nicht sehen, wie sehr Doppler den Doktor gerade anstarrt. Dessen Zustand ist an einem Punkt angelangt, an dem sich gut und gern die Vorstufe zur Manie ausmachen ließe und - tauschte man Anzug mit weißem Kittel - Doppler als durchgeknallter Psychodoc durchgehen würde. Der richtige Doktor, vom Rausch angesteckt, antwortet ihm, das war zu erwarten, wie ein Patient, der einfach nur raus will und ihm alles erzählen würde. Aber nicht, um ihm nach dem Mund zu reden, sondern: Weil für ihn noch nie was unmöglich war.

      - Sie können sich auf mich verlassen, Herr Wirtschaftsminister. Es ist für uns eine großartige Chance, zu wachsen, und ich glaube kaum, dass sich meine Vorstandskollegen dagegen wehren werden.

      Plötzlich aber greift er dem Magier am Oberarm...

      - Dennoch, ich brauche Gewissheit. Wir müssen darüber erst abstimmen lassen.

      ...und lässt ihn wieder los. Die Notbremse hat er noch schnell eingebaut.

      - Ich gebe Ihnen spätestens morgen Nachmittag Bescheid, wie stark meine Rückendeckung für dieses Projekt sein wird.

      - Sehr gut! Seeehr gut! Ich danke Ihnen, Herr Doktor Schönleben!

       10

      Jetzt nimmt er Kleingarten in sein Blickfeld, den härteren Brocken, der ihm natürlich zuvorkommt.

      - Hoit! I konn mia ned vorstell'n, dass mia sooo willkommen sein werd'n und alle nua auf uns wart'n!

      Kleingarten ist gelungenes Kontrastprogramm zu Dopplers Feingeist. Dieser eine Satz ließ das zart durchdachte Gebilde des Ministers, das so schön im Raum umherschwebte, so schön in sich geschlossen, innerhalb von wenigen Millisekunden jäh zerplatzen und sich mit gewöhnlicher Brüsseler Konferenzzimmerluft vermischen.

      Dass dem notorischen Neinsager gerade eben ein 'mia' herausgerutscht ist, verbucht Doppler als heimlichen Erfolg, ohne es sich anmerken zu lassen. Maier ist es nicht aufgefallen, zu groß ist seine Antipathie gegen ihn.

      - Erstens, hamm die Öl-Dinosauria wirkli' koa Geld auf da hoh'n Kant'n? Konn i mia ned vorstell'n!

      Und zwoat'ns, glauben's ned, dass Aserbaidschan es ned boid leid is', dass unserne 'westliche Schicksalsgemeinschaft', wie es vorhin so schön geheißen hat, im ÖKK des Sog'n hod, während die die letzt'n Reserv'n aus deram eig'nen Bod'n holen?

      Der Wirtschaftsminister lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und versucht, seine Aura wiederzubeleben - mit leisen Tönen und einseitigem Monolog.

      - Aserbaidschan wird es pragmatisch sehen, Herr Kleingarten. Es ist dem Westen sehr zugeneigt, als Gegenmacht zu Russland. Und ein Blick auf deren Haushalt zeigt, dass sie in den letzten Jahren enorm viel Geld ausgegeben haben für ihr Militär. Auch sind nicht wenige Steuerzahler aus Bergkarabach ausgefallen, die nach ihrer Flucht immer noch ihre Existenz aufbauen müssen und wenig zahlungskräftig sind - eine große Bürde, und gar nicht zu sprechen von dem Fünftel Land, das ihnen seit dem Waffenstillstand mit Armenien nicht mehr zugängig ist.

      Ein guter Indikator sind auch die vielen Baustellen in Baku, die nur sehr langsam wieder Fahrt aufnehmen, wegen der viel geringeren Einnahmen aus Öl und Erdgas als vor dem Boom. So leicht wird es deren staatlichen Ölgesellschaft nicht fallen, die 8 Mrd. Dollar aufzubringen für Centrifugges Anteile, nicht einmal für die Hälfte wird es reichen.

      Und glauben Sie mir, die Ölgesellschaften des ÖKK haben in den letzten Jahren enorm viel investiert und über ihre Verhältnisse gelebt, buchstäblich auf Pump. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein einzelner Mitspieler genügend Reserven hätte, sich die 20% alleine zu sichern und dann noch um Turkmenistan zu kämpfen. An neue günstige Kredite zu kommen, ist im Moment immer noch kein leichtes Unterfangen für Konzerne, die hohe Schuldenstände haben, außer es bürgte, wie beim Fast-Bankrott der Banken im November Null Acht, der Steuerzahler. Aber so schnell wäre das nicht durchzubekommen bei der Bevölkerung, nicht in der Ölindustrie, nicht bei deren Beliebtheit und 'Transparenz'.

      Zugegeben, der Freistaat ist auch angeschlagen durch die Fast-Pleite seiner Landesbank, jedoch aufgrund seiner Wirtschaftskraft noch massiv kreditwürdig und somit in der Lage, günstig an Kapital zu kommen.

      Was also bliebe ist, dass sich die vier großen Mitglieder des ÖKK den Anteil unter sich aufteilten, nur birgt dieses Szenario viel Streitpotenzial - und es könnte sehr viel Zeit kosten.

      Er dreht sich kurz zum Doktor.

      - Ich glaube fest, dass die Ahorn AG und unser Freistaat die Idealpartner für das ÖKK darstellen, die Übernahme der Anteile ginge absolut zeitnah über die Bühne.

      Als hingen irgendwo Mikrophone, drosselt er nochmal die Lautstärke und schenkt erneut Kleingarten seine ganze Präsenz. Dessen Spiegel liegt seit einigen Minuten ruhig auf dem Tisch.

      - Herr Kleingarten, wir brauchen Ihre Verbindungen, um für uns zu spionieren. Auch wenn ich das eben nicht so direkt gesagt habe: Sie verstehen, wie ich es meine: Bitte finden Sie heraus, wo die Berliner Beon steht, vor allem, was sie gemeinsam mit den Russen in Aschgabat ausgemacht haben.

      Mit seiner rechten Hand beginnt er aufzuzählen-

       Erstens, wie viele Anteile wollen Beon/PromGaz an der Öl- und Erdgasquelle besitzen?

       Zweitens, wie lange wäre die Vertragslaufzeit?

       Drittens, gibt es einen Festpreis für die Abnahme des turkmenischen Anteils der Bodenschätze? Turkmenistan besitzt ja kein eigenes Vertriebsnetz, ihr Anteil muss durch andere vertrieben werden. Wie hoch ist dieser Preis für Öl und Erdgas? Oder sind die Preise variabel nach Weltmarktlage?

       Viertens, inwieweit darf TurkmenGaschi bestimmen, wieviel gefördert werden darf?

       Fünftens, wann müssten Beon und PromGaz für ihre Anteile an den Quellen bezahlen? Noch bevor das erste Öl und Erdgas den Endkunden erreicht haben wird? Ich meine, gibt es eine Anzahlung?

      Die rechte Hand reicht nicht mehr aus.

       Sechstens, beteiligt sich TurkmenGaschi überhaupt an den Erschließungskosten und den Pipelinebauten?

       Und siebtens, was macht der Nachbar Kasachstan? Verhalten sie sich neutral oder wollen sie selber mitspielen?

      Aserbaidschan hat bisher nur einen Teilerfolg erringen können, die Kasachen davon zu überzeugen, einen Teil ihres Öls auch über das ÖKK zu verkaufen, also an Russland und China vorbei.

      Der redet einfach weiter.

      Kleingarten sieht den Wirtschaftsminister verwundert an, macht aber keine Anstalten, ihn zu unterbrechen. Hat es Doppler geschafft?

      - Das kasachische Öl kommt heute mit Tankern über das Kaspische Meer nach Baku und wird dort in die Pipeline gepumpt. Es sind aber im Schnitt nur 100000 Barrel pro Tag, also kein richtiges zweites Standbein für den Fall, dass das aserbaidschanische Öl 2030, Johannes Heesters wäre dann 126, komplett aufgebraucht sein wird. Die 100000 Barrel entsprechen nur 3% des kasachischen Gesamtexports, der große Rest geht überwiegend nach Russland und seit letztem Jahr massiv nach China durch die fertige Pipeline.

      Kasachstan wird schwer mehr an das ÖKK liefern können, denn sie müssen sich an ihre Lieferverträge halten, die meistens langfristig ausgelegt sind, was einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig es ist, beim Rennen um Turkmenistan