überhaupt nicht mehr öffnen konnte. Völlig außer sich und in großer Panik geraten, riss er sich an seinen Lippen herum. Doch es war vergebens. Egal was er auch versuchte oder unternahm, ...sein Mund... er blieb verschlossen. Entsetzt und traurig blickte er hilfesuchend zu dem Zauberer.
Flehend erhob er die Hände und gab Zeichen, dass er wieder sprechen wollte. Doch Hamurabi blieb hart und zeigte keine Gnade: „So, mein Junge, ich hatte dich gewarnt. Man macht sich über ältere Menschen nicht lustig, wenn diese einem etwas Wichtiges zu sagen haben. Denk einmal darüber nach und dann kannst du wieder zu mir kommen. Einen schönen Tag wünsche ich dir noch.“
Der Zauberer klatschte zweimal fest in die Hände, daraufhin donnerte es laut und eine dicke Rauchwolke erschien aus dem Nichts und umhüllte ihn sanft. Als sich der Rauch verzogen hatte, kniete Joshua immer noch flehend auf dem Moos, ...doch ...Hamurabi war verschwunden.
Was sollte der Junge jetzt tun? Erneut liefen ihm Tränen über die Wangen. Diesmal jedoch nicht vor Freude. Sein Mund blieb weiterhin verschlossen, er konnte nichts dagegen tun. Ja, …selbst nach Hilfe konnte er noch nicht einmal mehr rufen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Weg nach Hause zu machen. Vielleicht konnte ihm dort irgend jemand helfen.
Am späten Nachmittag erreichte er die Zugbrücke. Die Wachen standen immer noch dort, jedoch viel müder als am Vormittag. Gelangweilt grüßten sie Josh, als er hastig an ihnen vorbei eilte. Doch dieser konnte den Gruß ja nicht erwidern, worüber sich die Wachen fürchterlich aufregten. „Was für ein unhöflicher Junge das doch ist! Kann noch nicht einmal grüßen“, beschwerten sie sich zeitgleich. Sie konnten ja nicht ahnen, dass der Junge gerade gar nicht in der Lage war zu sprechen.
Joshua war es egal, er war mit seinen Gedanken eh ganz woanders. Er hatte schreckliche Angst davor, dass er niemals mehr sprechen können würde. Und was war eigenlich mit essen? Dadurch, dass er den Mund nicht öffnen konnte, konnte er auch keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Er machte sich große Sorgen. Panisch lief er auf dem Burghof umher und zerrte an jeder Person, die er finden konnte. Ganz gleich um wen es sich auch handelte.
Der Hof wimmelte vor Leuten, doch keiner konnte mit dem aufgeregten Jungen etwas anfangen. Sie konnten seine Zeichen nicht deuten und letztendlich gab es immer die gleiche Antwort zu hören: „Wenn du uns nicht sagst, was du für ein Problem hast, dann können wir dir auch nicht helfen.“ Die Menschen verstanden einfach nicht, dass Joshua nicht sprechen konnte. Der Hofnarr äffte den kleinen Jungen sogar nach und belustigte den ganzen Hofstaat damit. Dies war genug für Joshua und er rannte verzweifelt die lange Treppe hinauf und den Flur entlang, wo es zum Zimmer von Ritter Alfons ging.
Ohne zu klopfen stürzte Josh zur Tür herein. Ritter Alfons erleichterte sich gerade vor dem Bett in seinen Nachttopf hinein. Vor lauter Schreck ließ er das Gefäß fallen: „Potzblitz, Junge, was fällt dir ein? Habe ich dir keine Manieren beigebracht, dass du nicht weißt, dass man anklopft, bevor man meine Gemächer betritt? Jetzt sieh dir nur an, welche Sauerei du damit angerichtet hast! Ich hoffe nur für dich, dass die Burg brennt oder wir wenigstens angegriffen werden. Anders kann ich dein Handeln nicht durchgehen lassen.“ Verärgert schaute Ritter Alfons zu seinem Knappen hinüber. Doch zu seiner Verwunderung blieb dieser völlig stumm in der Tür stehen. „Sag mal Bengel, willst du mich komplett verärgern? Es reicht wohl nicht, dass ich bis zu den Knöchel in meiner eigenen Pippi stehe? Sprich! Was ist geschehen?“
Joshua fuchtelte wie wild in seinem Gesicht herum und zeigte ständig auf seinen Mund. Es war schwer, dem Ritter nur mit den Händen zu zeigen, dass er nicht mehr sprechen konnte. Da Ritter Alfons zum Glück nicht der Dümmste war, erahnte und verstand er sogar die Gesten nach einiger Zeit, auch wenn er nicht genau wusste, was dies alles zu bedeuten hatte. „Ich glaube, jetzt weiß ich was du mir sagen willst!“, grummelte er vorsichtig, aber dennoch überzeugt in seinen wehenden Schnauzer hinein: „Du kannst nicht mehr reden, stimmts?“
Joshua nickte erleichtert und hob den Daumen zum Zeichen, das die Antwort richtig war. „Hast du dich heute Nachmittag erkältet? Bist du heiser?“, bohrte Ritter Alfons weiter nach. Der Junge schüttelte verzweifelt den Kopf.
Langsam begann Joshua das Gewand und die Statur von Hamurabi mit seinen Händen in der Luft darzustellen. Ritter Alfons von Dickhusen schien ratlos. Doch nur bis zu dem Zeitpunkt, als Joshua die Mütze und den riesigen Bommel des Zauberers, auf seinem eigenen Kopf malerisch nach formte. Dem Ritter ging augenblicklich ein Licht auf und er lachte drauf los: „Ja, ja! Jetzt habe ich es verstanden, mein Junge!“ Joshua wirkte erleichtert und blickte fragend seinen Herren an.
„Bist du etwa einem alten Mann begegnet und warst nicht höflich zu ihm?“, wollte Alfons sofort wissen und grinste dabei. Dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken.
„Tja, das passiert jedem, der es sich mit dem großen Hamurabi verscherzt!“, fuhr der Ritter fröhlich fort:„Sei beruhigt, du bist nicht der Erste, dem dies zustößt. Mir hat er einmal zwei geschlagene Tage lang das Sprechen weggezaubert. Ich musste mich erst bei ihm entschuldigen, damit er mich zurück verwandelte. Das solltest du besser auch tun.“ Ritter Alfons schlug Josh aufmunternd auf die Schultern. Dieser blickte zwar erleichtert, aber immer noch fragend zu seinem Herren auf. „Ach, du weißt sicherlich gar nicht, wo er wohnt, wie?“, stellte Alfons amüsiert fest: „Na, komm mal mit zum Fenster, ich zeige es dir!“
Der alte, mächtige Ritter, obwohl nur mit Unterhosen bekleidet, nahm Joshua an die Hand und ging mit ihm zum Fenster. Mit einem Ruck schob er den Vorhang beiseite. Von hier aus konnte man das halbe Königreich überblicken. „Siehst du den kleinen, blau schimmernden Wald dort hinten in der Ferne?“ Der Junge nickte übereifrig. „Dort steht ein kleines, komisches Haus. Dir wird es gleich ins Auge springen, zumindest wenn du es finden solltest. Dort lebt der alte Hamurabi. Lass dir auf den Weg dorthin noch einmal alles gut durch den Kopf gehen. Er wird eine ordentliche Entschuldigung von dir erwarten! Los, mach dich auf den Weg, sonst ist es Nacht, wenn du ankommst. Und sei auf Überraschungen gefasst!“, lachte der Ritter vergnügt. Er wusste nur zu gut, wovon er sprach und was den Jungen erwartete.
Joshua verbeugte sich dankbar vor seinem Ritter und schüttelte ihm zum Abschied die Hand. Dieser wiederum klopfte seinem Knappen auf die Schultern und schickte ihn los.
„Aber lass dir von ihm keine Flausen in den Kopf setzen, hörst du?“, schrie der alte Ritter Joshua noch warnend hinterher, doch es war zu spät. Der Junge war längst die Treppe hinunter gerannt und schon dabei, die Brücke zu überqueren. Erneut beschwerten sich die Wachen darüber, dass der Junge nicht grüßte. Joshua machte sich auf den Weg. Er war fest entschlossen, seine Stimme zurückzubekommen.
3. Der schwere Weg zur Entschuldigung
Der Weg war beschwerlich und weit, und Joshua orientierte sich an der untergehenden Sonne. Er folgte ihr über Berge und Täler. Nach einigen Stunden erreichte er endlich sein Ziel. Es dämmerte schon leicht und der Wald war dem Jungen unheimlich. Sonderbare Farben sprühten daraus hervor. Man konnte es fast mit einer Silvesterrakete vergleichen, die am Nachthimmel explodierte, nur, dass es im Wald irgendwie merkwürdiger funkelte.
Auf einen schmalen Weg, der auf ein Tor aus Sträuchern zulief, betrat der Junge den unheimlichen Wald. Vorsichtig schlich er voran. Leicht gebückt ging er vorwärts. Joshua fürchtete sich ein wenig, denn hier war nichts, wie es sein sollte. Man möchte meinen, umso tiefer man in einen Wald hineingeht, desto dunkler sollte es werden. Aber so war es hier nicht, ...ganz im Gegenteil. Es wurde immer heller. Dies erschien noch ungewöhnlicher anhand der Tatsache, dass die Sonne am Himmel fast verschwunden war.
Josh ging langsam weiter, drehte sich dabei jedoch ständig im Kreis. Von überall her hörte er die seltsamsten Geräusche. Er fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Der Junge lief eifrig voran und folgte dem schmalen, steinigen Weg der vor ihm lag, aber an einem Haus kam er dabei nicht vorbei. Vor Wut hätte er schreien können, aber...das konnte er ja nicht. Sein Mund war immer noch verschlossen.
Völlig verzweifelt sank Joshua zu Boden. Was sollte er jetzt nur tun? Eine dicke Träne rann an seiner Wange entlang und tropfte auf die