Gerald Uhlig

Der charmante Nihilist


Скачать книгу

und so konnte unsere Sonne, der Planet Erde und das Leben darauf entstehen. Körperzellen zum Beispiel bestehen aus diesen schweren Teilchen.

      Obwohl der Mensch durch Evolution eine sehr lange Probezeit auf dieser Erde hinter sich hat, ist er immer noch ziemlich fehlbar, sein Körper anfällig, er ist widersprüchlich, größtenteils ist sein Denkapparat simpel und dumm. Für Illusionsträumereien wie Freiheit gibt es keinen Beweis in der Realität, beim Homo sapiens handelt es sich um ein höchst fehlerhaftes System. Einziger Lichtblick – der Mensch zeichnet sich durch eine ganz besondere Fähigkeit aus: Er ist ein großartiger Maschinenbauer. Er als biologische Maschine oder biologisch Gefangener seiner Zeit, versteht die Maschine außerhalb seiner Selbst, die heute bereits weitaus besser und verlässlicher funktioniert, als sein ungenaues und launisches Gehirn.

      Wenn ich einen A380 besteige, dann bereiten mir eher die Piloten Angst als dieses Wunderwerk der technischen Baukunst. Auch Autounfälle werden eher durch die Fahrer als durch das Auto verursacht. Bei einer Operation misstraue ich nicht den medizinisch hoch entwickelten Geräten, sondern dem Operateur und seiner Mannschaft. Der Mensch sollte endlich lernen sich dort unterzuordnen, wo die Maschinen einfach besser sind als er. Und der Mensch fühlt sich schnell entmündigt, wenn es zum Beispiel um mehr Technik im Verkehr geht. Unsere Autos könnten längst autonom fahren, aber der Mensch möchte die Dinge unter Kontrolle haben, Kontrollverlust und Fremdbestimmung sind die angesagten Alpträume. Dabei gibt es längst Kameras, die an den Augen erkennen, ob der Fahrer müde wird.

      Computer, Flugzeuge, medizinische Geräte oder Roboter entstehen, weil der Mensch mit seinen Artgenossen ein weltumspannendes soziales Netzwerk bildet. Wenn er bereit ist, Informationen zu teilen, entfaltet sich die menschliche Denkkraft zu ihrer Größe. Dazu kommt, dass sich der Mensch permanent in seinen Zeitgenossen spiegelt, er tauscht sich aus, korrigiert sich, rivalisiert, bekämpft und beneidet sich. Aus dieser mannigfaltigen Spannung und Kommunikation (ohne Anziehung mit gleichzeitiger Abstoßung), funktioniert nichts – weder in der Physik noch in der Chemie entsteht eine Art menschliches Supergehirn, ähnlich dem eines Ameisenstaates. Mit diesem Gehirn bekommt er sich selbst nicht in den Griff, da seit tausenden von Jahren sein Gehirn ein unberechenbar widersprüchliches Universum darstellt. Er ist ein Tier mit Bewusstsein. Auf sich allein gestellt kann der Mensch nicht überleben.

      Da nun die Evolution des Menschen immer viel langsamer ist als die Evolution seiner Erfindungen, werden seine Maschinen den größten Teil seiner Mängel ausgleichen. Ständig stolpert das menschliche Wesen über Trägheit und Gewohnheit, die Unfähigkeit, jenseits der bequemen Kategorien zu denken, in denen es sein Leben eingerichtet hat. Gier, Denkfaulheit, Bequemlichkeit und die Enge seiner Weltbilder geben ihm den Rest.

      Zurück zur Maschine: Ich bin ein gutes Beispiel für die Fusionierung zwischen Maschine und Mensch. Seit einiger Zeit kontrolliert ein intelligenter Computer in meinem Körper mein Herz weitaus verlässlicher als es mein biologisches Herz kann. Seit der Computer in meinem Inneren arbeitet, gibt es keine Ohnmacht oder keinen Herzstillstand mehr. Auch kein Vorhofflimmern. Titanhüften lassen mich bestens Laufen, meine Niere habe ich von meiner Frau und die synthetische Biologie liefert mir ein seit meiner Geburt fehlendes Enzym. Als Cyborg fühle ich mich besser denn je. Ohne unsere wundersamen Maschinen wäre ich längst wieder aus dem Leben, dieser kurzen Zeitspanne zwischen zwei Ewigkeiten.

      Also kein Kampf gegen die Maschinen. Nutzt die Maschinen zur Selbstkontrolle, zur Selbstoptimierung, um eure eigene Körper-Maschine gut zu pflegen und eure Chemie in gesundem Ausgleich zu halten. Der Schrittzähler sagt euch: mehr bewegen. Die Blutzuckermessung sagt euch: Hört auf, soviel Süßes und Ungesundes in euch hineinzustopfen. Eure Blutwerte rufen euch zu: Stopp mit schlechter Ernährung und der Fettbelastung eurer Körper, esst endlich gesünder und disziplinierter. Denn das Gesundheitssystem wird auch von den bequemen und immer fettleibigeren Kunden in die Knie gezwungen. Verursachen wir weniger volkswirtschaftlichen Schaden, reduzieren wir die Krankheitskosten und stoppen das Virus der Unwissenheit. Das Mittelalter sollte nun endlich vorbei sein. Und warum sollen wir nicht wissen, was in unseren Körpern vor sich geht?!! Und was spricht dagegen, sich das Wissen zu beschaffen, das unseren Körpern gut tut! Wer die Spielregeln seiner Natur verstehen will, der sollte auch die Analyse ihrer kleinsten Elemente und Mineralien verstehen. Nur unsere Maschinen können uns da helfen. Die neuen Computertechnologien sind die momentane Spitze des menschlichen Fortschritts. Sie sind die Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln. Sie sind das Beste, das wir haben! Es wird in naher Zukunft immer mehr um das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine gehen. Ohne sie wäre der Homo sapiens längst ausgestorben.

05.jpg

      Blaue Nacht im Einstein

      Zwischen 24 und 1 Uhr wird das Einstein ohne Rücksicht auf die ungelösten Welträtsel des Tages geschlossen. Dann beginnt eine andere Zeit. Die Zeit des Flugmenschen-Fluchtmenschen, der in seinem nächtlichen Schweigen sagt: „Früher, da waren die Menschen schwach, sie starben wie die grünen Fliegen, weil sie nur Wasser in ihren Adern hatten. Da kam einer, der stach seinen Degen mit aller Kraft in den Mond. Blutstropfen fielen zur Erde und einige tranken sie. Starke Krieger entstanden daraus, die jetzt Blut in ihren Adern hatten, die Kinder des Mondes genannt. Die anderen trugen das Blut auf ihre Leinwand und der böse Engel begann mit seinen Hörnern nach der Sonne zu stoßen.“

      Nacheinander betreten Ariadne, Olga und Francoise, eine eigentümliche Schwerkraft, das Kaffeehaus, gefolgt von mehreren Matadoren und dem kleinen Picador auf seinen letzten Lebensmetern. Einer der Matadoren ruft: „Da Vinci, mit deinen Leonardo-Erektionen und Flugabstürzen. Deine anatomischen Studien, dein Sezieren von Leichen, diente einzig dazu, im menschlichen Körper den Sitz der Seele zu ergründen. Du hasstest den Krieg, wurdest aber nicht müde, Jahr für Jahr neue Waffen, neue Tötungssysteme zu entwerfen.“

      „Ein Herz muss doch zu finden sein! Eine Seele muss doch zu finden sein!“, antwortet Ariadne. „Mit der Klingel zwischen meinen Beinen werden wir den Tod so gut als möglich betrügen in dieser Nacht. Nie werde ich ein Unwetter zulassen.“

      Der Kellner reicht Getränke. Ein anderer Matador beginnt zu singen: „Goya, in der Loge der Arena des weiblichen Geschlechts, das Schöne und das Hässliche, es liegt in einem Bett. Ich will Ruhm! Denn Ruhm ist die beständige Hoffnung in den langen Nächten der Jugend."

      „Wenn du Ruhm hast, dann kommen die Frauen, die Aktionäre, die Ölbarone, die Whiskeyhändler, die jungen Erben, die Kleinspekulanten, die Hedgefonds Manager. Sie alle kommen wie Insekten. Sie interessieren sich nicht für dich und deine Kunst, nur dafür, wie du gekleidet bist, was du frühstückst und wen du fickst.“

      Alle im nächtlichen Kaffeehaus reden jetzt vom Kosmos, seinem Herzschlag, reden vom Aufflammen und Verglühen seit Ewigkeiten. „Wem nützt das alles?“, fragt Olga. „Wer nach dem Sinn fragt, hat ihn bereits verloren“, antwortet Ariadne. „Ich bin weder Engel noch Tier, auf der Suche nach dem heilenden Licht. Ich sehne ich mich nach einem Zuhause und weiß doch nicht, wo dieses ist.“

      Der Matador sagt: „In der Kunst wie im Leben musst du den Vater töten, sonst tötet er dich, denn hinter jeder Trauer um einen Verstorbenen verbirgt sich der heimliche Triumph dessen, der überlebt. Aber Kinder von Schlangen sind Schlangen. Wurm, Fisch, Lurch, so wächst der Mensch im Mutterleib. Die blaue Seele ist ihm nur für diese Nacht geliehen."

      Der andere Matador sagt: „Wir sind im Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, dass wir träumen. Ich kann meine Träume nicht entlassen, ich schulde ihnen noch mein Leben. Ihr alle seid Künstler und Künstler sind Jäger ohne Jagdgründe. Ich aber will zur Jagd.“

      „In dieser Nacht wollen wir euren Schlaf bewachen“, sagen die Matadore. „Wir öffnen eure Muscheln, geben Champagner, Honig und Kokain hinein, bis unsere Melancholie vergeht und unsere Hoden platzen.“

      „Lieber Staub sein als ein Weib, das nicht reizt“, sagt Olga. Der Matador, Abenteurer, Erfinder, Playboy, künstlerisches Genie, Alphatier und Heiliger entgegnet: „Die Liebe bin ich. Die Eifersucht bin ich. Meine Göttin, meine Geliebte, mein Modell, meine Mutter, meine Sekretärin, meine Köchin, mein Hund. Da du jede blaue Stunde meiner Nächte kennst,