Jessica Giffard

Das Medaillon von Ofon


Скачать книгу

als ein Tropfen auf das Papier fiel, merkte ich, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Ich hielt einen Brief meines Vaters, den er mir vor Jahren geschrieben hatte, in der Hand. Ich war so glücklich darüber, denn das war der Beweis dafür, dass Ben die Wahrheit gesagt hatte.

      Dass es wirklich mein Vater geschrieben hatte, erkannte ich an der Schrift. Es war dieselbe Schrift, die ich von den Briefen meines Vaters an meine Mom kannte.

      Er hat uns nicht verlassen, weil er uns nicht mehr wollte. Er musste uns verlassen, um uns zu schützen. Er liebte uns!

      Ich hatte nie geglaubt, dass mein Vater bei einem Flugzeugabsturz starb, denn wenn meine Mutter es mir erzählt hatte, hatte sie einen traurigen Gesichtsausdruck, keinen trauernden.

      Warum hatte mein Vater kein Grab? Auch wenn es ein Absturz gewesen wäre und sie die Leiche nicht gefunden hätten, wäre die Bestattung in einem leeren Sarg üblich gewesen.

      Ich hatte meine Mutter nie darauf angesprochen, denn ich wollte nicht, dass sie mich anlügen musste. Es schmerzte sie genug. Ich öffnete die Schublade und sah einen umgedrehten Bilderrahmen. Als ich ihn aufhob und umdrehte, zeigte er mir ein Bild von meiner Mutter und meinem Vater mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß. Das musste wohl ich sein. So ein Bild hatten wir nicht, Mama hatte nie Fotos von uns Dreien zu Hause liegen. Sie hatte auch keins von meinem Vater. Die einzigen Bilder, die wir hatten, waren alle nach dem Verschwinden meines Vaters aufgenommen worden.

      Ich musste mir eine ganze Weile das Bild angeschaut haben, als ich ein Klopfen an der Tür hörte. Ich schrak auf.

      »Miss Clarus?«

      »Ja?«

      »Mr. Albus wartet im Wagen auf Sie. Es ist zehn vor 11.00 Uhr.«

      »Oh! Natürlich! Ich komme sofort.«

      Als ich an die Tür kam, war der Butler nicht mehr da. Wie war er nur so schnell verschwunden? Ich lief die Treppe schnell nach unten und trat vor die Villa. Das Auto stand schon mit laufendem Motor vor der Tür. Ich öffnete die Beifahrertür, stieg ein und Ben fuhr los.

      »Es tut mir leid. Mir ging in dem Zimmer das Zeitgefühl verloren.«

      »Ist schon gut. Ich weiß. Es tut mir leid, dass du nicht mehr Zeit hattest. Deswegen habe ich die Unterhaltung vorhin abgebrochen, damit du ein bisschen länger in dem Zimmer deines Vaters bleiben konntest.«

      »Danke.«

      »Du kannst jederzeit kommen, wenn du Zeit hast und dich im Zimmer deines Vaters aufhalten möchtest, solange unser Training nicht darunter leidet.

      Wir müssen uns überlegen, wie wir das Training gestalten können. Ein paar Stunden am Tag werden uns nicht reichen. Ich werde mir was einfallen lassen und sag dir dann Bescheid.

      So, wir sind da. Hier lass ich dich raus. Du hast noch fünf Minuten. Das letzte Stück kannst du mit dem Rad fahren. Jane darf mich nicht sehen.«

      »Ok.«

      Er stieg aus, hob mein Rad aus dem Kofferraum und gab es mir.

      »Ruf mich an, wenn ich dich abholen soll.«

      »Ich habe deine Nummer nicht!«

      »Ich stehe unter Ben in deinem Handy. Ich war so frei und habe meine Nummer gestern Abend, als ich in deinem Zimmer war, gespeichert.«

      »Ok, ich glaube, mich sollte nichts mehr überraschen.«

      Ben lächelte.

      »Bis später, Sarah.«

      »Bis später.«

      Er stieg ins Auto und fuhr los. Ich nahm mein Rad und fuhr, so schnell ich konnte, denn ich war spät dran. Auf einmal klingelte mein Handy. Es war Jane. Wenn ich nicht dran gehe, würde sie Zuhause anrufen.

      »Hallo Jane, tut mir leid, ich bin in zehn Minuten da.«

      »Ok, bis dann.«

      »Ok.«

      Als ich mich unserem Treffpunkt, einem netten, kleinen Café, näherte, sah ich Jane mit jemandem dort sitzen, den ich nicht erkannte. Er saß mit dem Rücken zu mir.

      Mir passte es eigentlich nicht, dass sie jemanden mitgebracht hatte, aber ich wollte es mir nicht anmerken lassen. Schließlich hatte ich sie gestern versetzt und heute hatte ich mich verspätet.

      »Hallo, Sarah.«

      »Hallo, Jane, tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.«

      »Schon ok. Ich hatte Gesellschaft. Darf ich vorstellen? Ben, das ist meine beste Freundin, Sarah Clarus«

      Ich war sprachlos. Wie konnte das nur sein? Erst sagte er, Jane dürfte nichts von ihm erfahren und jetzt saß er hier mit ihr. Und wie war er hergekommen? Er war doch zurückgefahren? Wenn er in die Stadt gefahren wäre, hätte er an mir vorbeifahren müssen.

      »Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Clarus.«

      »Ganz meinerseits.«

      »Ah, die Förmlichkeiten. Sag doch einfach Sarah. Sie mag die Förmlichkeiten auch nicht.«

      »Darf ich das, Miss Clarus?«

      »Ja, Mr. …«

      »Ben bitte.«

      »Ok.«

      »Setz dich doch. Du wirst nicht glauben, wie wir uns kennen gelernt haben!«

      Ich war sauer. Was hatte er vor? Warum hatte er mich angelogen? Und warum saß er hier und tat so, als ob er sich prächtig amüsierte?

      »Hallo! Hörst du mir überhaupt zu, Sarah?«

      »Tut mir leid, ich war kurz mit den Gedanken woanders.«

      »Nachdem ich mit dir gesprochen hatte, wollte ich gerade auflegen, als ein Junge mein Handy schnappte und weglief. Ben muss es wohl gesehen haben. Er kam zu mir und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Ich erklärte die Situation und Ben lief dem Jungen hinterher, aber der verschwand schon hinter einer Kurve. Ich dachte, dass er schon über alle Berge war, aber als Ben nach kurzer Zeit mit meinem Handy zurückkam, war ich überrascht. Ist das nicht heldenhaft?«

      »Was für ein Zufall! Und Ben? Wie hast du es geschafft, den Jungen einzuholen?«

      »Ich hatte Glück. Der Junge lief in die falsche Richtung und landete in einer Sackgasse. Als er zurückrannte, lief er mir direkt in die Arme.«

      »Sie hatten aber Glück, dass er kein Messer mit sich trug.«

      »Oh mein Gott, daran habe ich ja gar nicht gedacht! Ben, ich bin froh, dass dir nichts passiert ist!«

      »Danke, ja, das war ein Glück. So, ich muss jetzt los. Da deine Freundin da ist, kann ich euch alleine lassen.«

      »Ben, frühstücke doch mit uns. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«

      »Tut mir sehr leid, ich habe keine Zeit. Vielleicht ein anderes Mal.«

      »Wie wäre es mit heute Nachmittag?«

      »Jane, vielen Dank für die Einladung, aber ich muss erneut absagen. Heute Nachmittag habe ich leider auch einen Termin.«

      »Ok, nochmal vielen Dank, dass du mir mein Handy wiedergebracht hast.«

      »Gern geschehen. Einen schönen Tag wünsche ich euch beiden noch. Sarah, es hat mich gefreut deine Bekanntschaft zu machen.«

      »Ganz meinerseits.«

      Es kam langsam ein Wagen näher und blieb neben uns stehen. Er stieg hinten ein. Ich konnte nicht erkennen, wer das Auto fuhr, denn die Scheiben waren sehr dunkel. Es war nicht derselbe Wagen, den er sonst fuhr.

      »Sieht der nicht gut aus, Sarah?«

      »Na ja, darauf habe ich nicht so geachtet. Kann sein.«

      »Ah Sarah, wo bist du wieder mit deinen Gedanken? Komm, lass uns endlich frühstücken! Ich habe einen Riesenhunger,