Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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Das führt zu einem hübschen Effekt: Steht man unten vorm Gebäude, sind sämtliche Schießscharten erfüllt vom Himmel über Berlin in seinem wolkigen Grau oder Braun, gelegentlich gar Blau – sämtlich also Farben, die dem gedämpften Beige aufs Vortrefflichste kontrastieren. Man gewinnt so den Eindruck einer Trutzburg inmitten städtisch-verbauter Landschaft, hinter deren Fassade die Natur selbst souverän herrscht und majestätisch ihr Antlitz zeigt. Sehr hübsch für ein Umweltministerium, wirklich. Für diesen Effekt hat man gerne einen begrenzteren Lichteinfall der straßwärts gelegenen Büros in Kauf genommen.

      Wichtigere Mitarbeiter hingegen residieren abgewandt vom Rest der Bevölkerung weiter innen, ihre Büros geballt um einen großzügig gestalteten Lichthof in Gebäudemitte. Hier ist von Natur deutlich weniger zu spüren: Über den spiegelnd-graugefleckten Marmor des Bodens zieht einzig das diffuse Schattenspiel der Wolken jenseits des überdachenden Glases, witterungs- und klimafrei sogar für Allergiker geeignet. Dank dieser mangelnden Witterungseinflüsse sind hier die deutlich mehr Licht aufnehmenden Fenster verspielt in hellem Holz gehalten, das in Verbindung mit dem strahlend-weiß stuckierten Außenputz recht deutlich Erinnerungen an helle, freundliche Ferienanlagen evoziert. Hell, heiter und klar – so soll hier gearbeitet, ja: gelebt werden.

      Geht man im sechsten Stock den säulengesäumten Rundgang um diesen Lichthof entlang, so ist es fast atemberaubend, wie wenig die Mehrfachverglasung des Dachs vom alltäglichen Lärm Berlins sowie der derzeit waltenden Hitzewelle durchlässt: eine Oase der Stille, einzig durchbrochen vom gelegentlichen Trippeln geschäftiger Ledersohlen auf Marmor, ab und zu aufgeraut vom Rauschen eines einzelnen Flugzeugs als Zeugen der fortwährenden Existenz einer Außenwelt. Wahrlich, vergleichbare Architektur schuf man nur einst in der Antike, um jeden Besucher sogleich auf Größe und Majestät jener Götter einzustimmen, die verloren in ihren mystischen und unfassbaren Gedanken im Inneren der Tempel warteten.

      Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Ich gehe, ja: durchschreite diesen prunkvollen Säulengang (ministeriumsintern als „Canossagang“ bezeichnet) auf dem Weg hin zu meiner Ministerin, deren dringender Ruf mich sogar in den Untiefen der dritten Etage noch ereilte. Und meiner Erfahrung nach kann sie es an Orakelhaftigkeit durchaus mit einstigen Göttern aufnehmen.

      Doch ich möchte mich nicht beklagen, so etwas setzt sich schnell als Berufsgewohnheit fest. Alles in allem gefällt es mir gut hier im neuen Gebäude, dem ersten niedrigenergetischen Passivhaus einer Bundesbehörde, flammendem Wahrzeichen ökologischerer Zukunft. 2011 zog meine Abteilung, die Abteilung Z, vom Hauptgebäude in Bonn aus nach Berlin: Die Zentralabteilung ist nämlich stets an der Seite des jeweils amtierenden Ministers, um als verlängerter Arm und Kommandostand fungieren zu können. Und die Minister ihrerseits müssen nach Berlin, ins pulsierende Herz unserer Demokratie, um sich so gut wie möglich in Fäden und Kontakte zu verstricken. Denn Ministeriumsarbeit ist heutzutage diffizil geworden: keine reine Verwaltungstätigkeit mehr, weltabgewandt dank Aktenkontakt, sondern gestaltend, wie es so schön heißt. Es gilt, Interessen und Wünsche einflussreichster Akteure mitunter zu erahnen, ehe diese selbst sie artikulieren und vielleicht knirschender Sand reibungslose Zusammenarbeit beeinträchtigt. Eine Tätigkeit, die viel mit Intuition und augurenhafter Deutung insignifikantester Zeichen zu tun hat, mit einem Wort: Politik eben. So gesehen gleicht die Ministerin bei Licht besehen vielleicht doch eher einer Oberpriesterin, beschäftigt mit ihrer Interpretation erratischer Omen und stetig am Spinnen roter Fäden, ihr inneres Ohr berauschend auf höhere Sphären ausgerichtet. Dabei stets begleitet und unaufdringlich geleitet von mir, der ich mit Hilfe meiner Abteilung ihren schlingernden Kurs in die Bahnen von Recht- und Gesetzmäßigkeit zurückzuholen versuche – eine zunehmend schwierigere Aufgabe, leider.

      Trotz allem: Dieser Umzug nach Berlin war eine gute Sache! Allein schon der Umstand, dass das Ministerium für Reaktorsicherheit in Bonn über einen eigenen Atombunker verfügte, durchsetzte die Arbeitsmoral unentwegt mit geschmacklosesten Witzen. Hier in Berlin hingegen heißt es klar: mitgefangen, mitgehangen. So etwas wirkt sich förderlich auf Mitarbeitermotivation aus, meine ich.

      Ach ja, das habe ich vergessen: Immer wieder trifft man Zeitgenossen, deren Haltung ich nicht anders denn als "politische Naivität" bezeichnen kann. Allen Fakten und Nachrichten zum Trotz wollen sie am Glauben festhalten, dass wir, notfalls auch gänzlich ohne demokratische Kontrollmechanismen, mehrheitlich doch von guten und verantwortungsvollen Menschen regiert werden. Dieser anheimelnde Wunsch erscheint mir häufig als weitgehend bruchlose Fortsetzung kindlicher Schutzbedürfnisse, wie sie zuerst an Eltern und später dann, sofern irgend möglich, an Lehrer herangetragen werden. Vielleicht nur eine säkulare Variante frommen Götterglaubens, der Quelle nach vermutlich verwandt. Falls auch Sie zu diesem Menschenschlag gehören, sollten Sie hier nicht weiterlesen. Eine Lektüre meines Berichts hat Ihnen nichts zu bieten und die Gefahr ist groß, dass Sie sich unentwegt diffus angegriffen fühlen. Wohlgemerkt also: Dieser Bericht ist nicht für Sie, ade. Mit den Worten des alten Politbarden Franz Josef Degenhardt bleibt mir nur zu wünschen, dass es Ihnen auch weiterhin gut ergehen mag hinter Ihrer von Jahr zu Jahr höher wachsenden Rosenhecke im hoffentlich abbezahlten Eigenheim, während sie die politischen Veränderungen ringsum einer sinnlosen Naturkatastrophe gleich schicksalsergeben ertragen. Vielleicht ist diese Haltung für das Gemüt sogar die beste. Ja, derart Zaghaftigkeit trennt uns heute von den pathetischen Worten Ferdinand Lassalles, dass alle große politische Aktion im Aussprechen dessen, was ist, beginne, wohingegen alle politische Kleingeisterei in dessen Verschweigen bestehe.

      Alle, für die eine solche Idylle gegenwärtig jedoch schwer zu ertragen ist, lade ich hingegen ein, mir zu folgen. Denn mittlerweile stehe ich vor der Tür meiner Ministerin und nach üblich-dezentem Geklopfe trete ich umstandslos ein, schließlich werde ich erwartet. Alles im Büro dieser Ministerin signalisiert kraft Gestaltung: Hier ist einer jener Orte, von denen aus die Welt regiert wird! Gute zehn Meter muss der eintretende Büßer zurücklegen, ehe er vor ihrem hehren Schreibtisch anlangt. Zehn Meter über hochflorigen Teppich, der jegliches Schrittgeräusch schluckt und einen akustisch bereits auf ein Nichts reduziert. Rechter Hand dabei die Glasfront, von der aus die Ministerin ihr Panopticon von Bienenstock überschauen kann, die Fenster aller leitenden Angestellten im Blick, tief unten der todbringende Marmorboden für besonders schlechte Tage. Linker Hand die glatte Wandtäfelung aus poliertem Marmor im gedämpften Beige der Außenfassade, in der sich aufgereihte Halogenlichter unzähliger Deckenlampen ebenso spiegeln wie in der gegenüberliegenden Fensterfront, so dass sie sich im wechselseitigen Spiegelspiel bis ins Unendliche fortzusetzen scheinen. Jetzt am frühen Nachmittag ist der Effekt jedoch nicht so atemberaubend, da hier, derart nahe am himmlischen Glasdach des Lichthofs, noch genügend natürliches Sonnenlicht den Raum, besser: die Halle flutet. Dafür bricht es sich auf der gläsernen Schreibtischplatte der Ministerin, strahlt ihr Gesicht von unten her an und verleiht ihrer weiß-blonden Mähne die unaufdringliche Güldenheit einer Aureole.

      Erst als ich direkt vor ihrem Schreibtisch stehe, fällt mir auf, dass die Ministerin heute schrecklich aussieht, schrecklicher als sonst. Diesmal liegt es nicht an ihren Haaren: Die ihren Kopf um mehr als das Doppelte vergrößernde Haarpracht ist perfekt geföhnt und bewegt sich auch, als sie ruckhaft von ihren Unterlagen kurz zu mir aufblickt, nur eben dort, wo sie Stylistenvorstellungen entsprechend sollte, überwiegend brettartige Konsistenz also. Dann senkt sie ihr sorgenumwirrtes Haupt vorerst wieder und blättert scheinbar konzentriert durch Papiere vor ihr, lässt mich zurück mit diesem vagen Eindruck, dass heute etwas mit ihr nicht stimmt.

      Dieses Spiel bin ich gewohnt: An guten Tagen (für sie) darf ich bis zu zehn Minuten stehend vor ihrem Schreibtisch warten, während sie die Hackordnung zementiert. Man muss das verstehen: Die Backhus war bis vor sechs Monaten nur Verkehrsministerin gewesen, dem Hörensagen nach ein Posten für jene, die zwar Wahlstimmen einbringen, denen man jedoch echte Verantwortung besser nicht zu übertragen gedenkt. Das Umweltressort hingegen ist nun für sie ein deutlicher Schritt nach vorn, ihre eigentliche Bewährungsprobe, wobei sie inhaltlich mit diesem schwer fassbaren, fast nicht einzugrenzendem Gebiet noch nie zu tun hatte. Umso wichtiger ist daher für manche ein starkes Auftreten gerade gegenüber jenen Mitarbeitern, die sich besser auskennen und auf die man zwingend angewiesen ist. Glauben Sie mir, ich habe viele Minister und in den letzten Jahrzehnten vermehrt auch Ministerinnen kommen und gehen gesehen, ich weiß derlei einzuordnen.

      Grundsätzlich