Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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möglichst wenig gefährdenden Weise gestalten soll. Glücklicher Weise unterbricht jedoch ein heftiger Hustenanfall mögliche Gedanken über Restrukturierungsmaßnahmen.

      Ermattet blickt sie letztlich wieder auf. Ob sie mir das übelnimmt, dass ich im Sitzen größer bin? Ihrer gewohnt frenetischen Energie nachspürend, bricht sie das verstörende Vorgeplänkel ab: »Weshalb wollten Sie mich sprechen, Herr Müller?«, rettend-formelle Dienstlichkeit im Blick. Zu Ihrer Information: Tatsächlich habe ich dieses Gespräch beantragt, da regelmäßige Dienstaussprachen bei uns nicht Usus sind, dafür ist unsere Ministerin denn doch zu eigenständig, nunmehr wurde unser Meeting ministerial spontan genehmigt.

      Also blättere ich eilfertig in Unterlagen, raschle ein wenig damit herum und gebe ihr Zeit, sich wieder zu sammeln. Dann die schlechte Nachricht: »Ich dachte, Sie sollten sich dieses Schreiben vielleicht lieber persönlich anschauen, bevor es auf dem Drei-Monats-Ablagestapel landet... Ein Professor Gnüster von der Uni Magdeburg, Institut für Biochemie und Zellbiologie, hat mit seinen Studenten eine Exkursion nach Morsleben gemacht, um Einflüsse auf die umliegende Flora zu untersuchen. Er behauptet, dabei elf neue Arten entdeckt zu haben.«

      Im Gesicht der Chefin knirscht es: Morsleben gilt immerhin als dunkelstes Kapitel in der Geschichte unseres Ministeriums, seit eine Amtsvorgängerin eigenmächtig entschied, den ehemaligen Salzstock dort als Endlager für bundesdeutschen Atommüll zu nutzen. In die einsturzgefährdeteren Teile des Bergwerks waren die Fässer einfach hineingekippt worden, bei einer späteren Begehung hatte sich herausgestellt, dass in manch Stollen Wasser hochzog, Fässer allmählich verrosteten und uranhaltige Partikel ins Grundwasser einsickerten. Das Entsetzen erreichte jedoch seinen Höhepunkt, als man bemerkte, dass den abgeschlossenen Verträgen zufolge die Kosten für eine etwas dauerhaftere Entsorgung vom Bund allein übernommen werden müssen. Seither wird unser Ministerium auch gerne als »Ministerium für dauerhafte Umweltzerstörung« verspottet. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum es gegenwärtig umso wichtiger ist, eben diese Scharte mit der Energiewende auszuwetzen.

      »Elf neue Arten?«, blafft die Backhus, offenbar Visionen radioaktiver Mutationen ohne Ende vorm inneren Auge, tanzende Pilze wie bei Disney, die gemeinsam Spottlieder aufs Umweltministerium anstimmen und Pressekonferenzen geben. »Na ja, um ehrlich zu sein, stammt der Begriff „Arten“ eher von mir«, beschwichtige ich daher. »Der Professor drückt sich da etwas umständlicher aus. Moment, ich habe mir die Stelle angestrichen...« Kurzes Blättern, während die Ministerin hoffentlich in ihre Komfortzone zurückschnellt. Geistige Notiz, so etwas zukünftig schonender einzuleiten: Wer stets austeilt, kann nicht unbedingt auch einstecken, dann Aufmerksamkeit heischendes Wedeln mit Seite Fünf des betreffenden Schreibens. »Hier. Der Begriff der Art impliziere, dass die Gattung bekannt sei. Bei den elf eingesammelten Exemplaren sei das Genom jedoch überwiegend nicht klassifizierbar...«

      Wieder bricht die Ministerin in einen Hustenanfall aus, drückt sich energisch ein Stofftaschentuch vor den Mund wie zur Einleitung einer Selbsterstickung, konvulsivisch bebende Schultern und bronchiales Röhren, das jedem Platzhirsch Ehre macht. Als der Anfall verebbt, blickt sie betroffen auf rote Flecken im Stoff, nun deutlich in sich zusammengesackt. Auch ich bin erschrocken: Allmählich habe ich ja immerhin ebenfalls dieses Alter erreicht, in dem man das Funktionieren seines Körpers mit zunehmendem Misstrauen beobachtet und eine gewisse Solidarität entwickelt zu jenen, die bereits ernsthaft mit Krankheit und Verfall ringen. Alter ist nichts für Feiglinge.

      »Fühlen Sie sich nicht wohl, Frau Doktor Backhus?«, beruhige ich die Ministerin daher mit gut polierter Anteilnahme. Mache ihr sogar die Titel-Freude. Wenn sie so ängstlich aus ihren Augen herausschaut, den Kopf leicht schräg auf eine hager-knochige Schulter geneigt, erinnert sie mich stets an von einer Ölpest überraschte Vögel, alles Aufgeplusterte verklebt, schutz- und fassungslos vor verschmierter Welt. Vermutlich eine Nebenwirkung ihres sonst so aggressiven Auftretens, Variante des Stockholm-Syndroms oder Artverwandtes. Persönlich ist mir nicht wohl dabei, wenn sie derartige Gefühle in mir weckt. Ob es ihr gegenüber Frauen genauso ergeht, oder spricht sie da wirklich Reste männlichen Beschützerinstinktes an?

      »Nein, schon gut, ich muss mir offenbar am Wochenende irgendetwas eingefangen haben...« Von der Willenskraft, die sie sonst wie einen Schutzschild vor sich herträgt, ist nichts mehr übrig. Es bleibt ein brüchiges Vakuum, durch das sie mich zwangsläufig näher zu sich saugt. Sobald sie sich erholt hat, wird sie mich dafür büßen lassen, dass ich sie in einem Moment der Schwäche erlebte.

      Mit plötzlichem Ruck strafft sie ihre Schultern, schüttelt blutigen Auswurf und kreatürliche Sterblichkeit in Eins von sich, ordnet den ganzen Körper neu: »Herr Müller, es muss auf jeden Fall verhindert werden, dass dieser wirre Professor seinen krausen Befund an die Medien weitergibt. Sie wissen ja, wie diese Umweltaktivisten so sind. Solche Art von Negativ-Publicity können wir im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Lassen Sie herausfinden, welche Unternehmen das Institut da in... in..«

      »Magdeburg«, helfe ich aus, meine Blicke folgen ihrer fahrig gestikulierenden Hand, mit der sie etwas in weite Fernen weist.

      »Ja, genau da, die dieses Institut mittragen. Wir müssen wohl ein paar Hebel in Bewegung setzen und ein wenig sanften Druck ausüben.« Ich nicke, brauche mir jedoch nichts zu notieren, denn mit dieser Reaktion habe ich bereits gerechnet.

      Plötzlich jedoch ein Rückfall, die Ministerin wird, so gut Bräune und Schminke gleichermaßen es gestatten, bleich: »Es sei denn... Könnte es sich dabei um so etwas wie diesen Genmais handeln, der ja auch überall auftaucht? Wir müssen schnellstmöglich herausfinden, ob dieses... unbekannte Genom irgendwo in den USA patentiert ist. Sonst haben wir ruckzuck eine Patentrechtsklage am Hals, vielleicht vor einem internationalen Schiedsgericht...« Einen Moment lang verstummt sie angesichts unwägbarer Konsequenzen und Forderungen in Milliardenhöhe, dann bricht ein noch heftigerer Hustenanfall aus ihr hervor. Endlich nicht mehr durchgeschüttelt von ihrem persönlichen Erdbeben starrt sie ungläubig auf schwarze Klumpen im roten Schleim des Taschentuchs.

      Ich wieder mal viel zu nah an ihr dran, Empathie und so, weshalb mir zunächst lediglich auffällt, dass sich auf ihrer Stirne Schweiß gebildet hat. Dann erst folge ich ihrem Blick und merke, dass es nicht an der zitternden Hand der Ministerin liegt. Wahrlich und wahrhaftig, die schwarzen Klumpen auf rotem Grund bewegen sich! Einer kriecht eindeutig sich windend, zusammenziehend und vorwärtsrobbend das Taschentuch empor Richtung Daumen, ehe die Backhus es mit einem Schreckenslaut auf die immer noch vor Sonne gleißende Schreibtischplatte entlässt. Habe gar nicht mitbekommen, dass ich aufgesprungen bin: Finde mich erst wieder, als ich mich entsetzt an die gegenüberliegende Wand presse, während die Ministerin mich fassungslos und hilfesuchend ansieht. Natürlich ist mir sofort klar, dass dies keine Trichinen, Platt-, Faden-, Zungenwürmer oder sonstigen Viecher sind, die man in Mittel- bis Oberschicht aus exotischem Urlaub mitbringen mag. Auch mit biologischer Kriegsführung hat dies offenbar nichts zu tun, sieht schlicht nicht aus wie Überträger von Pest, Typhus, Milzbrand, Cholera oder Ruhr, kurzum: Ich tappe völlig im Dunklen, eine plötzlich unerklärbar und bedrohlich gewordene Welt springt mich von Taschentuch und Ministermiene her an. Vorläufig und dringlichst: Ist dies ANSTECKEND? Und: Darf man im Fall einer Ministerin überhaupt den Seuchenschutz alarmieren?

      Wir beide ahnen es noch nicht weil ohnehin erschüttert, aber was da vor und zwischen uns auf dem Schreibtisch madig und schleimig vor sich hin tiert, ist das erste Omen eines bevorstehenden Endes der Welt. Und ausnahmsweise meine ich das einmal ganz wörtlich. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, noch einmal zu entscheiden, ob Sie weiterlesen.

      2 - Von der neuen Achse des Bösen

      Das Krankenzimmerbett der Backhus liegt unter einem großen Sauerstoffzelt, das wie ein zerknitterter Duschvorhang von einem Alugestell herabstürzt, zweifellos eine ganz eigene Art von Himmelbett für eine ganz eigene Art von Prinzessin. Trotzdem hält der trotz beginnenden Alters noch aufdringlich gesund und trainiert wirkende Chefarzt stets gesunden Abstand. Er trägt unvorteilhaft einen gelb-pummeligen Ganzkörperanzug aus antistatischem Plastik, den Kopf hinter einer durchsichtigen Haube in Sicherheit, seine Stimme von einem auf die Wange geklebten Mikro leicht übersteuert. »Sehen Sie, Herr Müller,