Leeloo Minai

Gott ist ein DJ


Скачать книгу

beim Arzt war ich. Es könnte vielleicht etwas Organisches vorliegen. Nichts (außer Eisenmangel). Man sah mir äußerlich nicht an, dass es mir so schlecht ging, im Gegenteil, ich sah besser aus. Zudem hatte ich etliche Kilo an Gewicht verloren. Der Arzt fragte sich, was ich haben könnte, brachte mir Broschüren über Depressionen und Burn-out und sprach von Kursen, die ich besuchen könnte. Ich hatte nicht die geringste Lust. Mein Mann musste die ganze Hausarbeit übernehmen, ich war außerstande, irgendwas zu tun. Den ganzen Tag konnte ich rumliegen und nichts, aber auch gar nichts zu tun, außer zu heulen (sah niemand). Doch etwas tröstete mich ein wenig: die Musik von Lenny Kravitz (Baptism). Stundenlang, tagelang, wochenlang hörte ich die CD von vorne bis hinten. Die Spaziergänge mit dem Hund taten mir ebenfalls gut (im Wald lässt es sich besonders gut weinen). Ich weiß noch, wie ich ständig zu mir sagte: „Ich will nicht mehr zurück, das geht nicht.“

      So folgte dann ein Gespräch mit einer Therapeutin (Eheberatung) und ich erzählte alles, was mich bedrückte und was mir an meinem Mann nicht gefiel. Ich wollte einfach, dass er ging. Voller Wut und Trauer über die Situation hatte ich ehrlich gesagt maßlos übertrieben. Die Therapeutin sah nicht, wie schlecht es mir ging, und hielt alles für bare Münze. Auch erwähnte ich, dass ich es gern hätte, wenn das Einzelgespräch meines Mannes doch von einem Therapeuten durchgeführt würde. Sie war nur damit beschäftigt, das Geld schnellstmöglich überwiesen zu bekommen. Sie hörte überhaupt nicht zu!

      Tags darauf fragte ich meinen Mann, ob wir irgendwo hingehen könnten, um zu reden. Er war sofort damit einverstanden. Ich sagte ihm alles, was mich all die Jahre bedrückt hatte. Er wurde richtig laut und fragte, warum ich ihm nie etwas davon gesagt hätte. Er habe das nicht gewusst! Wo er recht hat, hat er recht. Ich fraß alles in mich hinein. Ich dachte immer, er sähe mir das an, wenn ich wütend oder enttäuscht war. Auch wenn er manchmal sauer nach Hause kam, dachte ich, läge es an mir. Und so versuchte ich jahrelang, zu schlichten und zu besänftigen. Probleme kehrt man unter den Teppich, da wo sie hingehören. Missverständnisse über Missverständnisse. Vor mir stand immer noch derselbe Mann, den ich geheiratet hatte, und doch war es ein anderer. „Wer bist du?“, fragte ich ihn. Mir ging es aber ein wenig besser nach dieser heftigen Aussprache.

      Sein Einzelgespräch folgte (ich hatte ihm nichts von meinem Gespräch erzählt). Er kam völlig verwirrt nach Hause und erzählte mir, dass er in Laufenburg eine Wohnung gefunden habe und dass er dorthin ziehen werde. Er sähe es jetzt ein. Er gehe lieber, bevor die Kinder vor Gericht erscheinen müssen, um auszusagen, wo sie hinwollen. Wenn ich die Scheidung haben wolle, so würde ich sie kriegen.

      Was war passiert? Ich fragte, ob er der Therapeutin mitgeteilt hätte, dass wir uns über das Wochenende ausgesprochen hätten. Ja, das habe er und die Therapeutin habe gesagt: „Gehen Sie, die hat einen Freund!“

      Jetzt schlägt es dreizehn! Ich hatte ihr nie gesagt, dass ich einen Freund hätte. „Wenn ich einen Freund hätte“, sagte ich ihm, „wäre es die einfachste Sache der Welt gewesen, einfach zu gehen.“ Ich verstand die Welt nicht mehr. Was sollte das, aus reiner Vermutung erzählt die so was. Begriff die überhaupt, was sie da machte, das hätte böse ins Auge gehen können. Da brauchst du Hilfe, und was kriegst du außer einer Rechnung? Nichts. Mein Motto heute: Hilf dir selbst, so wird dir geholfen.

      Mit Müh und Not konnte ich meinen Mann überzeugen, dass da wirklich niemand war. Ich hätte fast in meiner Verzweiflung tatsächlich noch einen erfunden. Das stimmt jetzt auch nicht. Ich wusste, es war jemand da, aber für mich nicht sichtbar, es war nichts Greifbares. Immer hatte ich den Blick dieses Manns in Ägypten im Gedächtnis (vielleicht hat die Therapeutin das gesehen, vielleicht tue ich ihr unrecht; vielleicht ist ein Studium doch nicht so schlecht, eigentlich das, was ich immer machen wollte!).

      Er liebe mich sehr, sagte er. „Du bist mein Leben, mein Ein und Alles.“ Welcher Mann sagt das schon nach 14 Jahren Ehe!

      Ich heulte, wenn ich doch das alles auch zu ihm sagen könnte. Ich wusste selber nicht, was in mich gefahren war. Ich überlegte und überlegte, vegetierte wieder vor mich hin, schaute kein Fernsehen, hörte kein Radio, las keine Zeitungen. Nichts, aber auch gar nichts tat ich. Ich verlor immer mehr Gewicht, mein Hirn begann sich ständig ruckartig zusammenzuziehen, es fühlte sich an wie Wehen im Gehirn. Zum Arzt traute ich mich nicht, womöglich fände der etwas. Auch mein Mann war am Ende seiner Kräfte. Es war schon über 4 Monate her, seit alles begonnen hatte. Allmählich begann ich alles zu vergessen, ich wusste nicht mehr, was oben und was unten war, was richtig und was falsch war. War falsch richtig und richtig falsch? War kalt heiß und heiß kalt? Meine Glaubensgrundsätze, dachte ich, wären die richtigen. War das so? Ging ich den falschen Weg? Waren meine Eltern immer glücklich? Waren sie überzeugt von ihren Wertvorstellungen, die sie von ihren Eltern übernommen hatten? Tut man nicht immer alles für die anderen? Was tat ich für mich? Wie ist das mit der Ehe? Hat diese Institution ausgedient (Scheidungsrate ist enorm)? Hatte sie wirklich einmal funktioniert? Man gibt das Versprechen vor Gott ab, sich ewig die Treue zu halten und alles miteinander durchzustehen, komme was wolle. Wollte Gott, dass wir so etwas tun? Sollte man nicht sich selber für wichtig nehmen? Verlangt man nicht immer von anderen, dass sie sich ändern? Sollte man sich wirklich mit dem Schicksal abfinden und es einfach ertragen? Konnte man das nicht ändern? Auf der Stelle? Jetzt?

      Ich schwor, keine Sklavin meiner Selbst mehr zu sein. Von einem Tag zum anderen änderte ich mich, und zwar enorm. Ich nahm nichts mehr persönlich, sondern hakte nach, wenn ich etwas nicht verstand, und zwar so lange, bis sämtliche Missverständnisse aus dem Weg geräumt waren. Ich hörte auf, für andere zu denken, und dachte nur für mich. Ich ging Kompromisse ein, damit beide gewannen. Und es funktionierte. Mein Mann und ich arbeiteten hart, weil beide es so wollten. Ich wurde spontaner, hatte den Drang nicht mehr, Punkt sechs zuhause zu sein, ließ ihn Hausaufgaben machen mit den Kindern (ich dachte immer, er könne das nicht) und gab vieles ab. Ich dachte immer, ohne mich läuft nichts. Irrtum, Männer können das genauso gut (meiner auf jeden Fall).

      Es kam, wie es kommen musste: Ich verliebte mich (nicht, was ihr denkt). Ich verliebte mich aufs Neue in meinen Mann. Ich liebte in sehr (das kann ich schwören). Ich hatte die Liebe nicht gekannt, ich hatte keine Ahnung gehabt, was wirkliche Liebe bedeutet. Jetzt wusste ich es. Endlich konnte ich ihm das zurückgeben.

      Es ging mir von Tag zu Tag besser. Ich war richtig glücklich. Uns sah man das von Weitem an, dass wir total ineinander verliebt waren. Wir kauften uns neue Kleidung, machten schöne Ferien im Süden, verbrachten viel Zeit miteinander.

      Ich begann wieder zu lesen. Kaum angefangen, steckte ich wieder mittendrin. Ich fand alles schön und toll, die Leute waren nett und ich strahlte, als ob ich erleuchtet würde. Ich ließ mir nichts mehr sagen und vertrat meine Meinung lautstark (ob es gewissen Leute nun passte oder nicht). Auf meine Bewerbungen erhielt ich nur Absagen. „Tut uns leid …“ – die alte Leier. In den Ferien ging es mir richtig gut, kaum zu Hause, begann alles wieder. Ich änderte mich schon wieder (merkt man selber nie). Auch mein Mann bemerkte das und sagte: „Du steckst wieder drin, oder?“ Keine Ahnung, von was er sprach. Da ich mir nichts mehr verbieten ließ, schwieg er. Es kam niemand mehr an mich heran.

      Auf einmal überkam mich eine tiefe Sehnsucht, aber nach was? Ich zog mich allmählich wieder in meine Welt zurück. Wollte von allen anderen nichts mehr wissen, besuchte auch die Frau nicht mehr. Nur noch meine Nichte interessierte mich. Ich hatte wieder Fragen über Fragen. Was mich nicht losließ, war die Frage, wie der Tod aussieht. Ich war sehr glücklich in meiner Welt. Den ganzen Tag konnte ich mich mit mir auseinandersetzen und philosophische Fragen stellen – und beantworten. Allmählich hob ich ab, verlor weiter an Gewicht, weil ich schlichtweg nichts mehr essen konnte. Auch süßes Zeug, das ich früher sehr gern gehabt hatte, konnte ich nicht mehr ausstehen. Ich war nur noch mit mir beschäftigt, wollte immer höher und höher, wurde überschwemmt mit Bildern und Worten. Ich spürte weder Kälte noch Wärme, hatte kein Hungergefühl mehr, alles war so leicht.

      Den Haushalt machte ich mehr schlecht als recht, nur war mir das nicht bewusst. Wenn die Kinder um zwölf von der Schule kamen und aßen, fragte ich mich jedes Mal, wer denn dieses Essen zubereitet hatte (das ausgezeichnet schmeckte). Auch vergaß ich viel, die einfachsten Dinge konnte ich nicht mehr, zum Beispiel Einzahlung machen. Ich beschloss, mich mehr zu konzentrieren.

      Wenn