Markus Waldmann

Die Prophezeiung


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       “Ich habe einen Studienkameraden am Telefon, er möchte gerne einen Termin bei dir haben. Allerdings war er nicht bei einem Arzt und hat somit auch keine Überweisung.”

       Nick blickte Jasmin kurz an.

       “Ist es einer aus deinem Studienbereich?”

       “Oh nein, soviel ich weiß, studiert er Geschichte und Archäologie, warum?”

       Jasmin fragt sich, wozu er das wissen wollte, prompt bekam sie die Antwort.

       “Na ja, ich hatte schon öfter Anrufe von jungen Studenten, die etwas über meine Arbeit erfahren wollten. Das eine Mal, wo ich mich darauf eingelassen habe, kam es zu einem Fiasko. Der Student schrieb einen Beitrag in der Studentenzeitung und bezeichnete mich als Scharlatan.”

       Sie runzelte die Stirn.

       “Ach so, nein, der Student wird das wohl nicht machen, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Kenne ich den Studenten, der das gemacht hat?”

       Nick schüttelte den Kopf.

       “Nein, das ist schon ein Jahrzehnt her, aber ich spüre da einen Anflug von Hass in deiner Stimme, wer ist der zukünftige Patient?”

       Jasmin war etwas verdutzt, sie war der Meinung, dass sie ganz souverän aufgetreten war.

       “Du kennst ihn, es ist Jens, den meine Eltern aufgenommen hatten.”

       Nick lächelte.

       “Weißt du eigentlich, wie viel ihr früher miteinander gespielt habt? Ständig hat man euch zusammen gesehen, wie eineiige Zwillinge.”

       Jasmin wollte nicht daran erinnert werden oder darüber nachdenken, sie wollte böse auf Jens sein. Sie war noch immer sauer auf ihn, nicht nur weil er die Gefühle ihrer Eltern verletzt hatte, sondern auch weil er die ihren mit Füßen getreten hatte.

       “Ja, ich weiß das alles noch, aber er war unfair zu uns.”

       Jasmin saß auf dem Stuhl und schmollte. Nick musste sich zusammenreißen, sie sah aus wie ein kleines Mädchen und nicht wie eine junge Frau.

       “Du meinst wohl, er war unfair zu dir, denn deine Eltern verzeihen ihm, weil sie nachvollziehen können, wie schwer alles für ihn war. Lass ihn nicht noch länger am Telefon warten, er soll in einer Stunde da sein, dann schauen wir mal, wo sein Schuh drückt.”

       Als sie das Büro verließ, wurde Nick bewusst, was sie doch für eine Schönheit geworden war. Damals, als Jens die Familie verlassen hatte, war Jasmin noch nicht mal in der Pubertät gewesen. Das, was danach kam, hätte Jens sicherlich gefallen. Sie nahm schlagartig ab und ihr Gesicht zeigt immer mehr weibliche Züge. Aus dem hässlichen Entlein wurde ein Schwan, natürlich konnte Nick sich vorstellen, dass Jens über ihr heutiges Aussehen informiert war, immerhin studierten sie an der gleichen Uni. Aber ob er sie seit damals wieder gesehen hatte, beziehungsweise - falls er sie gesehen hatte - auch wusste, dass es Jasmin war, wagte Nick zu bezweifeln.

       Nick wusste nicht genau, wie Jens heute aussah, vor elf Jahren hatte er noch in Köln gewohnt. Erst als er davon erfuhr, dass Jens freiwillig in ein Heim gegangen war, war Nick nach Wittlich gezogen. Er glaubte allerdings, dass Jens mit großer Wahrscheinlichkeit wie sein Vater aussehen würde.

       Er genoss schon die Aussicht auf Jens verwirrtes Gesicht, zumal dieser nicht wusste, dass Nick der Psychiater war, an den er sich wendete. Jens würde sich an Nick erinnern, wahrscheinlich würde er ihn sofort wiedererkennen, da Nick sich kaum verändert hatte. Jedoch kannte Jens nicht den Nachnamen von Nick, so dass es sehr wahrscheinlich war, dass ihm die Kinnlade auf die Brust klappen würde. Innerlich freute sich Nick auf das Wiedersehen, all die Jahre hatte er nur wenige Lebenszeichen von Jens bekommen.

       Jasmins Eltern hatten Nick darüber informiert, dass der Nachlassverwalter Jens gefunden hatte. Nick hatte zu seinem Leidwesen sehr viele und nicht gerade schöne Geschichten über Jens gehört. Nun hoffte er, heute die Erklärung dafür zu bekommen, er hatte auch schon eine Ahnung, was Jens zu ihm führte. Konnte sein alter Weggefährte Janus doch recht gehabt haben? Wenn das der Fall war, sollte er ihn umgehend darüber informieren.

       Jasmin nahm den Telefonhörer wieder in die Hand.

       “Tut mir leid Jens, dass es so lange gedauert hatte, aber Dr. van den Hout ist bereit, dich in einer Stunde zu empfangen.”

       Ein Seufzer der Erleichterung war am anderen Ende zu hören.

       “Vielen Dank Jasmin, bis später.”

       Jens legte auf, ohne dass Jasmin auch noch irgendetwas hätte sagen können. Dieses Verhalten ärgerte sie wieder und steigerte ihre Wut auf Jens erneut.

       Kapitel II

       Jens fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, noch nie hatte er jemanden von seinem Problem erzählt. Aber er wusste, wenn er nicht bald Hilfe fand, würde er sich umbringen. Es war einfach nicht mehr zu ertragen. Er betätigte die Klingel zu Professor Doktor van den Houts Praxis.

       Das Haus, in dem sich die Praxis befand, war eine Villa aus dem 19. Jahrhundert. Solche Gebäude gefielen Jens, und dem Besitzer ging es wohl nicht anders. Schon von außen sah man, dass das Haus ordentlich gepflegt wurde. Der Garten und die Fassade waren in einem hervorragenden Zustand.

       Als der Summer ertönte, trat er ein, sein Blick fiel auf die Anmeldung, und was er dort sah, überraschte ihn. Auch von Innen war der Charme des alten Gebäudes erhalten worden. Und die Frau hinter der Theke hatte er schon öfter auf dem Campus gesehen, da er aber keine Zeit für Bettgeschichten hatte, ließ er die meisten Mädels links liegen. Nun war er überrascht, dass eines der schönsten Mädchen der Uni ausgerechnet Jasmin war. An ihrem Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass sie ganz genau wusste, wer er war und wie er aussah.

       Jetzt, wo er im Wartezimmer saß, dachte er darüber nach, welches Glück er hatte, dass er sie nie angesprochen hatte. Wahrscheinlich hätte sie ihn zum Teufel gejagt und zum Gespött der ganzen Uni gemacht.

       Während er wartete, hatte er das Gefühl, die Last würde ihn erdrücken. Allein schon die Überwindung, Jasmin anzurufen und um diesen Termin zu bitten, war ein große Hürde gewesen. Sie hier dann wieder zu sehen, hatte seinen Geist dann noch mehr verwirrt, dieses bezaubernde Wesen sollte Jasmin sein? Wenn er in seinen Erinnerungen zurück zu der Zeit ging, als sie noch zusammenlebten, sah er ein kleines plumpes und kräftiges Mädchen. Er wusste, dass er gemein zu ihr war, aber ändern konnte er es nicht mehr.

       Als er ihr gegenüber stand, hatte er gespürt, wie kalt sie ihm gegenüber war. Auch heute, nach mehr als 10 Jahren, war sie noch sauer auf ihn.

       Jasmin ging zu Nick ins Behandlungszimmer.

       “Jens ist da, darf ich dabeibleiben, wenn du mit ihm sprichst?”

       Nick sah sie an.

       “Ich glaube, dass ist keine gute Idee Jasmin, Jens scheint ein Problem zu haben. Es wäre möglich, dass er sich mir nicht anvertraut, wenn du mit im Zimmer bist. Er spürt die eisige Kälte, die du ihm gegenüber ausstrahlst.”

       Jasmin blickte Nick fragend an.

       “Woher weißt du was er fühlt?”

       Nun lächelte der Doktor.

       “Oh je Jasmin, selbst ich spüre die Kälte, und das schon, wenn du nur von ihm sprichst. Wenn du magst, kannst du über die Sprechanlage zuhören. Bedenke aber bitte, dass wir damit sein Vertrauen missbrauchen, also erwähne es ihm gegenüber nicht.”

       Geknickt ging sie hinaus, um Jens ins Sprechzimmer zu holen.

       Als Jens so dasaß und darauf wartete, zum Doktor vorgelassen zu werden, gingen ihm noch viele Gedanken durch den Kopf. Er hoffte, dass der Arzt ihn nicht für komplett Durchgeknallt halten würde. Eine Einweisung in die Psychiatrie wäre das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Die Tür zum Sprechzimmer öffnete sich und Jasmin erschien.

       “Du kannst reinkommen, Dr. van den Hout hat jetzt Zeit für dich.”