Elisa Scheer

Tod auf den Gleisen


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eben lernen, Haushaltskram nicht auch noch auf diesen Tag zu legen.

      Außerdem war Viertel nach neun auch nicht so spät; sie konnte wirklich noch eine von den stabilen kleinen Bücherkisten auspacken und so an der Wand platzieren, dass sie als Regalfach dienen konnte.

      Gute Idee, fand sie, als sie das ausprobiert hatte, und machte gleich mit den nächsten Bücherkisten weiter. Wenn man in die untersten Kisten Leitzordner stellte, wurde die Sache auch gleich noch stabiler! Und schließlich blieb eine leere Kiste übrig, obwohl alle Bücher ordentlich arrangiert waren.

      Diese leere Kiste stellte Doro neben ihr Sofa und warf sämtliche Unterwäsche hinein, die sie in den übrigen Kisten finden konnte. Sobald der frisch gewaschene Kram trocken war, wäre sie auf jeden Fall wieder gut ausgerüstet.

      Aber auf die Dauer war das alles kein Zustand. Sie schaute doch noch schnell im Internet nach, was es bei IKEA und im Baumarkt an Regalsystemen gab. Ach, im Baumarkt hatten sie das System „Lasse“ (wollten die IKEA Kunden abjagen mit diesem pseudoskandinavischen Getue?), massives Buchenholz, leiterartige Seitenteile in verschiedenen Höhen, Bretter in verschiedenen Längen, Stützkreuze aus Metall. Ziemlich günstig. Und wenn sie morgen doch mal mit dem Auto in die Schule fuhr und sich ein paar solcher Teile ins Auto lud? Dann brauchte sie eigentlich vorläufig nur noch einen anständigen Tisch und einen Rollcontainer für ihren Schreibwarenkrempel. Buche passte auch genau zu dem verblüffend anständigen Parkett in der Wohnung. Das Bettsofa ging eigentlich noch, beschloss sie. Schließlich war sie nicht Krösus.

      Hoch zufrieden schrieb sie sich auf, was sie wollte, fuhr den Rechner wieder herunter und verzog sich nach einer kurzen Bügelaktion ins Bett.

      Mittwoch, 10.10.2012

      Der Schultag verlief deutlich weniger aufregend als der Dienstag – die Neunte jammerte nur verhalten, als Doro das Ex auspackte, der Rest arbeitete recht ordentlich mit, und Dramen im Lehrerzimmer gab es auch nicht – oder Doro verpasste die spannenden Momente, weil sie kaum Freistunden hatte. Ausnahme: Trattner, der sich anscheinend für Gottes Geschenk an die Weiber hielt, baggerte Katja Herzberger an, die ihn ziemlich kurz abfertigte. Doro freute sich – sie kannte Trattner kaum, aber sie fand ihn affig, die Solariumsbräune, das Goldkettchen, die blendend weißen Zähne, den leichten Tiroler Zungenschlag, den knalltürkis und lila gemusterten Trainingsanzug und die Tatsache, dass er Luis hieß wie der olle Trenker. Außerdem hegte sie wie viele Kollegen das beliebte Vorurteil, dass es bei Lehrern für Sport und Englisch wohl zu mehr Wissenschaft nicht gereicht habe.

      Von diesem kurzen Intermezzo abgesehen konnte Doro höchstens den Kleidungsstil der Kollegen studieren und ihre Nutzanwendungen daraus ziehen.

      Richtig schick waren wirklich nur die drei Mädels, dieser Pütz (Harris-Tweed!), der Chef, dann die Körner, die es zumindest versuchte (ab und ein schwarzer Blazer zu grauen Jeans) und die Echterding, die aber eher Kostüme zu favorisieren schien. Auch nicht schlecht. Und wirklich schöne Schuhe. Der Rest bevorzugte eben Jeans oder ausgebeulte Cordhosen und dazu Hemden oder Pullis, wobei die Pullis gerne abscheulich gemustert waren. Doro, die heute eine schwarze Hose und eine schwarz-weiß gemusterte Bluse trug, fand sich damit schon relativ schick. Einen Blazer hatte sie irgendwo sicher auch noch. Der graue Pfeffer-und-Salz musste doch in einer Kiste sein – oder hatte sie den noch in München weggeschmissen?

      Sie seufzte. Es wurde wirklich Zeit für vernünftige Möbel! Vielleicht hatte sie die absolute Karrierekleidung in irgendeiner Kiste und lief hier herum wie ein Bürolehrling?

      Ach Quatsch! Wenn sie Klamotten hätte wie die drei Grazien, dann wüsste sie das aber. Der Pfeffer-und-Salz-Blazer war schon das Höchste der Gefühle. Wenn es ihn noch gab, hieß das.

      Und mit Superklamotten wurde man hier doch auch nicht schneller befördert. Sie überlegte, ob die hysterische Mendel im Nadelstreifenkostüm einen besseren Eindruck machen würde, und kicherte vor sich hin: Die würde wohl höchstens finden, dass der Staat ihr Arbeitskleidung zu stellen hätte…

      Aber solche Gedanken waren ja eigentlich die reinste Zeitverschwendung – sie hätte schon mit dem Ex anfangen können, aber jetzt war die Freistunde praktisch vorbei, und nach den nächsten beiden Stunden konnte sie nach Hause – halt, nein, erst zum Baumarkt. Wenigstens ein Regal – und das Ex!

      Schlechte Planung, tadelte sie sich selbst und raffte ihren Kram zusammen – Geschichte 12 und Deutsch 9.

      Als sie durch die Tür in den Trakt der Oberstufe eilte, stieß sie mit einer Kollegin zusammen und entschuldigte sich verlegen. „Macht nichts“, antwortete die. „Ist ja nichts passiert. Sie sind Frau Fiedler, nicht?“

      „Ja… aber ich weiß jetzt gerade nicht…“ Wie sollte man sich auch in so kurzer Zeit fast hundert Kollegen merken?

      „Woher auch? Ich bin Petra Bittl. Sport, Spanisch, Französisch. Gefällt´s Ihnen bei uns?“

      „Doch, ja. Viel besser als an den Schulen während des Referendariats. Ein so sympathisches Kollegium! Aber ich muss jetzt leider…“ Frau Bittl lächelte verständnisvoll, während Doro die Treppe hinauf eilte und im linken Gang verschwand.

      Hier waren echt alle so nett, geradezu paradiesisch! Auch der Kurs war reizend. Zum ersten waren von sechsundzwanzig Leuten schon vierundzwanzig da, als sie eintrat, und die fehlenden zwei kamen unmittelbar nach ihr in den Raum gestürzt und entschuldigten sich atemlos, obwohl es kaum geläutet hatte. Ob das so blieb? Zum zweiten hatten sie sogar Geschichtsbücher dabei, so dass Quellenarbeit möglich war, und arbeiteten auch eifrig mit. Doro lobte sie entsprechend, stellte am Ende noch einige Verständnisfragen und beschloss, nächstes Mal ein Ex mit einer kleinen Auswahl genau dieser Fragen zu schreiben. Wenn alle so gut aufgepasst hatten, musste da doch ein Schnitt von 15,00 herauskommen?

      Die Neunte fragte natürlich sofort, ob sie das Ex schon korrigiert habe, und Doro seufzte. „Leute, wann denn? Wenn ich ganz toll bin, kriegt ihr sie in der nächsten Geschichtsstunde wieder – also am Montag.“

      Lange Gesichter, aber mit der Aufforderung, in Gruppen nach Argumenten für einen Kleiderzuschuss zum Taschengeld zu suchen, lenkte sie sie ab. Sie suchten und trugen hinterher begeistert vor, wollten aber nicht so recht einsehen, dass das Argument „Dann kann ich mir mal echt coole Sachen kaufen, mit eurem peinlichen Kram werde ich ja doch bloß gemobbt“ ganz schlechte Verkaufe war. Dass man Eltern in der Argumentation etwas entgegenkommen musste, war ihnen noch schwer zu vermitteln, aber sie bemühten sich und jammerten auch nicht allzu laut, als die Hausaufgabe gestellt wurde: Ein überzeugendes Argument korrekt auszuformulieren, mit Behauptung, Begründung, Beweis und Zusammenfassung. „Schickt es mir als Mail-Attachment, dann füge ich alles zu einem Blatt zusammen und wir können schauen, was schon funktioniert und was noch nicht.“

      In diesem Moment läutete es, und nach kurzem lautem Aufräumen trampelten alle in die Freiheit. Doro sah ihnen nach. Nette Bande. Noch ein bisschen hormongesteuert, aber schon ziemlich vernünftig.

      Die einzige echt lästige Klasse war diese Siebte, bei denen sie Geographie hatte. Aber die konnten eigentlich auch nichts dafür, die waren eben mitten in der Pubertät. So, und jetzt würde sie ihren übrigen Kram einsammeln und sich zum Baumarkt aufmachen. Außerdem knurrte ihr der Magen.

      Im Lehrerzimmer war nicht mehr viel los, um kurz vor drei vielleicht auch nicht so erstaunlich. Merkwürdigerweise saß die Mendel in einer Ecke und schniefte. Das Schniefen wunderte Doro weniger, aber wieso war diese wehleidige Weib überhaupt noch da? Ließ die nicht spätestens um eins den Hammer fallen? War Nachmittagsunterricht nicht eine perfide Idee des KM, um speziell sie auszubeuten?

      Neben der Mendel saß diese brave Steinleitner und murmelte Beruhigendes. Die Steinleitner sah aus, als gebe sie Handarbeiten, fand Doro, dabei waren ihre Fächer Deutsch und Französisch. Mitte dreißig, die Haare ordentlich aufgesteckt, Jackenkleider aus Jersey in gedeckten Farben (oder biedere Twinsets), keinerlei Make-up. Man konnte sie sich richtig vorstellen, wie sie den Kreuzstich an einem Stück überdimensionalen Stramins demonstrierte. Aber immerhin war es nett von ihr, dass sie versuchte, die dämliche Mendel vom Ausrasten abzuhalten.

      In der nächsten Ecke saßen Trattner und