Edgar Wallace

Der Derbysieger


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von Nizza nach Paris, und sehen Sie vor allem zu, daß Sie herausbringen, welche Bettnummer Soltescu hat.«

      Am selben Abend trat Milton Sands gegen neun Uhr in das prachtvoll dekorierte Vestibül des Kasinos. Er hatte eine Zehnfrancs-Zigarre im Mund und weniger als zehn Francs in der Tasche. Sein Geld war verspielt, aber er empfand keine Reue und machte sich auch nicht die mindesten Vorwürfe darüber. Er nahm das Leben mit all seinen Wechselfällen in philosophischer Ruhe hin. Wie schlecht war es ihm nicht in Australien gegangen, als er ohne Wasser und Nahrung durch die wildesten Einöden wandern mußte! Nur der unerschütterliche Glaube, daß er aus all diesen Gefahren herauskommen würde, hatte ihm damals durchgeholfen. Zwar hatte er nicht auf ein Land gehofft, in dem Milch und Honig fließt, aber wenigstens auf eine Gegend mit vielen Bächen, wo er sein Pferd tränken und Wild schießen konnte, um sich am Leben zu erhalten. Er hatte Goldkonzessionen in Coolgardie für einen billigen Preis aus der Hand gegeben, und die Käufer hatten später Millionen daraus gezogen. Sein Vorleben befähigte ihn dazu, auch die schwersten Verluste mit Gleichmut zu ertragen.

      Er ging zum Hotel zurück, stieg, langsam die breite Marmortreppe hinauf und winkte den Portier zu sich.

      »Lassen Sie mein Gepäck herunterholen. Ich fahre heute Abend nach Paris.«

      Der Mann in der glänzenden Uniform murmelte einige Worte des Bedauerns. Auch er hatte auf seinem Posten schon genügend Erfahrung gesammelt. Mr. Sands war nicht der erste Gast des Hotels, der sich längere Zeit hier aufhalten wollte, dann aber plötzlich die Absicht äußerte, mit dem Nachtschnellzug abzufahren. In Monte Carlo kam dergleichen öfter vor.

      Milton ging in sein Zimmer, zog sich um, und nachdem er gepackt hatte, beobachtete er den Hausdiener, der das geringe Gepäck hinaustrug.

      »Francois, würden Sie einmal nachsehen, ob Mr. Eric Stanton im Hotel ist?« fragte er.

      »Jawohl, Monsieur«, erwiderte der Mann diensteifrig und verließ das Zimmer. Bald darauf erschien er wieder.

      »Der Herr ist unten im Vestibül.«

      Milton Sands nickte nur, ging den langen Korridor entlang und traf Eric gerade, als dieser in den Fahrstuhl steigen wollte.

      »Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen, Stanton.«

      Er führte Eric zu einem entlegenen Teil der Empfangsräume.

      »Sie haben mich bisher nur oberflächlich kennengelernt – wie einen gelegentlichen Bekannten, den man einmal in Monte Carlo sieht. Aber ich kenne Sie, und ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten. Vorausschicken muß ich, daß ich Geld von Ihnen leihen will. Es handelt sich aber nur um fünf Pfund.«

      »Sie können auch fünfzig Pfund von mir bekommen, wenn Sie sie brauchen«, erwiderte Stanton lächelnd.

      Milton Sands schüttelte den Kopf.

      »Nein, ich brauche nur soviel Geld, daß ich nach London komme. Dort warten schon verschiedene Schecks auf mich, die ich einkassieren kann.«

      »Fahren Sie etwa auch schon heute Abend mit dem Nachtzug?«

      »Ja – Sie auch?«

      »Ich habe eben ein Telegramm erhalten, das mich nach Hause ruft. Monte Carlo fällt mir auch etwas auf die Nerven. Ich fange an, mich hier zu langweilen.«

      »Das ist ja eine angenehme Nachricht für mich. Soll ich schnell zum Bahnhof gehen und noch einen Platz im Schlafwagen für Sie belegen?«

      »Das wäre sehr liebenswürdig von Ihnen. Aber Sie können die Bettkarte nicht lösen, ohne Geld in der Tasche zu haben«, sagte er, als Milton fortgehen wollte.

      Mit einem Lächeln zog er seine Brieftasche heraus und. gab ihm einige Banknoten.

      »So, hier haben Sie wenigstens tausend Francs. Nehmen Sie das Geld doch. Sie brauchen es unterwegs. Wenn Sie allerdings tatsächlich nur fünf Pfund von mir annehmen wollen, können Sie mir ja den Rest zurückgeben.«

      »Fünf Pfund müssen ausreichen«, erwiderte Milton kurz. »Ich möchte wirklich nicht mehr Geld in der Tasche haben, als ich unumgänglich für Essen und Logis brauche.«

      Es fiel ihm nicht schwer, noch einen Platz im Schlafwagen zu bekommen, denn zu dieser Zeit reisten wenig Leute von Monte Carlo ab. Der Nachtzug war auch nicht besonders beliebt; die vornehme Gesellschaft zog den Luxuszug am Tage bei weitem vor.

      Er besorgte die Fahrkarte und kehrte dann zu Stanton zurück, der sich inzwischen für die Reise vorbereitet hatte und soeben seine Rechnung im Hotel bezahlte. Auch Sands beglich seine Rechnung und erhielt noch etwas Geld von seinem Depot zurück.

      In Muße gingen sie zum Bahnhof, da sie noch genügend Zeit hatten.

      »Welche Pläne haben Sie jetzt eigentlich?« fragte Stanton plötzlich.

      »Ich mache niemals Pläne für lange Zeit und für die Zukunft. Es ist mir sehr unangenehm, mich festlegen zu müssen.«

      »Es war ja auch etwas anmaßend von mir, Sie danach zu fragen«, entgegnete Eric. »Aber vielleicht habe ich mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Ich wollte eigentlich wissen, ob Sie irgendeine regelrechte Beschäftigung haben.«

      »Ich sagte Ihnen ja schon früher, daß ich ein Glücksjäger bin. Einen Beruf habe ich nicht – ich verdiene mein Geld als Abenteurer. Und ich mache niemals Pläne für die Zukunft, weil ich mich immer erst im letzten Augenblick entscheiden kann. So habe ich es stets in meinem Leben gehalten, und so soll es auch bleiben.«

      Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her.

      »Ich muß allerdings gestehen«, sagte Milton dann, »daß ich augenblicklich gezwungen bin, irgendwelche Zukunftspläne zu machen. Ich habe viel Zeit auf die Ausarbeitung meines Systems verwandt, und ich war fest davon überzeugt, daß ich Erfolg damit haben müßte. Es ist eins von den Systemen, zu deren Durchführung man eine Million Pfund braucht. Ich habe es daher scherzhaft das Eine-Million-Pfund-System getauft. Und jetzt weiß ich, daß man es nicht nötig hat, zu spielen, wenn man über eine so hohe Summe verfügen kann.«

      Eric Stanton hatte diesen jungen Mann gern, dem kein Schicksalsschlag etwas anzuhaben schien, und dem Abenteuer nur eine willkommene Unterbrechung des eintönigen Lebens bedeuteten.

      »Ich habe Beziehungen zu großen Firmen«, sagte er zögernd, »und ich könnte Ihnen vielleicht zu einem Posten verhelfen.«

      Milton lachte und schlug ihm vergnügt auf die Schulter.

      »Mein lieber Freund«, erwiderte er offen, »wenn Sie mir eine Vertrauensstellung geben, dann brenne ich eventuell in der nächsten Woche mit einer großen Summe durch. Nein, das ist nichts für mich. Ich habe ganz andere Absichten. Aber auf jeden Fall bin ich Ihnen äußerst dankbar, daß Sie mir so freundlich helfen wollen. Ich bin ein Spieler und werde ein Spieler bleiben bis zum Ende meines Lebens. Es sei denn, daß ich irgendeine Beschäftigung entdecke, in der ich meine Begabung besser verwerten kann.«

      »Ich will Ihnen meine Adresse geben, und wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, dann lassen Sie es mich wissen.«

      Milton nahm die Karte, die ihm Eric gab.

      »Man trifft selten einen Menschen wie Sie«, sagte er. »Die reichen Leute sind im allgemeinen verdorben, weil sie von allerhand Vagabunden und schlechten Elementen getäuscht und betrogen werden, so daß sie überhaupt nichts mehr von ihren Mitmenschen wissen wollen. Aber vielleicht komme ich noch einmal in die Lage, Ihre Güte zu erwidern. Inzwischen können wir uns ja die Langeweile auf der Reise vertreiben, indem wir uns nach einem passenden Beruf für mich umsehen. Irgend etwas muß ich schließlich anfangen.« Er hatte halb im Scherz, halb im Ernst gesprochen. »Morgen muß ich mir jedenfalls klar darüber sein, was ich tun will. Ob wir nun zu dem Resultat kommen, daß ich zur Bühne gehe – und ich bin keineswegs ein schlechter. Schauspieler –, oder ob ich mich als Kellner in einem Lokal auf dem Montmartre verdinge, ist ja im allgemeinen gleichgültig. Nur habe ich gehört, daß die Trinkgelder auf dem Montmartre sehr gut sein sollen, so daß man bei einer solchen Beschäftigung nicht schlecht fährt. Vielleicht könnte