3
Es gibt verrufene Gegenden in Nizza, von denen die Fremden, die auf der Promenade des Anglais im hellen Sonnenschein lustwandeln und sich an den Mimosen und den schönen Palmen erfreuen, für gewöhnlich gar nichts erfahren.
In einer kleinen Nebenstraße ließ Monsieur Soltescu sein Auto halten. Der Chauffeur hatte sich sehr gewundert, daß dieser gutgekleidete Herr zu einer so armseligen Straße fahren wollte.
Die Passage du Bue ist eng und von hohen, häßlichen Häusern eingefaßt, in denen kleine Handwerker, Arbeiter und Krämer wohnen. Nummer 27 war das baufälligste Gebäude der Reihe, aber Monsieur Soltescu kannte derartige Wohnungen. Sie waren immerhin noch besser als die Behausungen seiner Fabrikarbeiter. Er war nicht sentimental veranlagt und kümmerte sich wenig um das Elend seiner Mitmenschen.
»Sie wollen Monsieur Pentridge besuchen?« fragte der schlechtgekleidete Pförtner, denn selbst dieses erbärmliche Haus hatte einen Pförtner. Er hatte allerdings nur die Pflicht, wöchentlich die Mieten von den Bewohnern einzusammeln. »Ja, Monsieur Pentridge ist zu Haus. Vierter Stock, links die erste Tür von der Treppe aus.«
Soltescu stieg die wackligen Stufen schnell hinauf. Er lächelte bei dem Gedanken, daß er in größte Gefahr kommen könnte, wenn jemand die große Summe in seiner Brieftasche vermutete. Als er an die beschriebene Tür kam, klopfte er. Zuerst meldete sich niemand, und erst auf wiederholtes Pochen erhielt er Antwort.
»Herein!« rief eine unangenehme, heisere Stimme.
Der Rumäne öffnete die Tür und trat in ein kleines, schlecht möbliertes Zimmer. Außer, einem alten Feldbett, das in der einen Ecke des Zimmers stand, konnte er nur noch einen Tisch, einen gebrechlichen Stuhl und einen kleinen Wandschrank entdecken. Eine schmutzige Petroleumlampe beleuchtete den Raum nur spärlich.
John Pentridge, den er aufsuchen wollte, saß auf der Bettkante. Er trug ein Paar alte Hosen und ein unsauberes Hemd, das vorn offen stand. Auf dem Bett lag der armselige Smokinganzug, den er gerade ausgezogen haben mußte. Er war eben erst gekommen und hatte seinem Chauffeur eine Belohnung versprechen müssen, um zur verabredeten Zeit zu Hause sein zu können.
Mit einem verschlagenen Blick betrachtete er den Fremden und gab sich nicht einmal die Mühe, aufzustehen. Soltescu glaubte, noch niemals einen Mann von so abstoßendem Äußeren gesehen zu haben.
»Sind Sie Monsieur Soltescu?«
Pentridge hatte in Englisch gefragt, und der Rumäne nickte. Ohne weitere Aufförderung nahm er den Stuhl, rückte ihn an das Bett heran und setzte sich.
»Mr. Pentridge, ich bin bereit, das wichtige Geschäft sofort mit Ihnen abzuschließen. Heute Abend noch muß ich nach Paris weiterfahren, wo ich verschiedene Konferenzen angesetzt habe. Sie werden also verstehen, daß ich keine Zeit zu weitschweifigen Verhandlungen habe.«
»Ich begreife vollkommen«, entgegnete der andere unliebenswürdig. »Haben Sie das Geld mitgebracht?«.
»Darüber wollen wir später sprechen«, meinte Soltescu diplomatisch. »Zuerst geben Sie mir einmal Ihre chemische Formel.« Er sprach etwas heiser, weil er in der Zwischenzeit noch mehr getrunken hatte. »Sie müssen wissen, daß ich in der Hauptsache Glasfabrikant bin, und als Fachmann kann ich Ihnen gleich sagen, ob die Formel etwas taugt oder nicht.«
»Sie haben doch aber die Glasproben gehabt«, entgegnete Pentridge und sah ihn feindselig an. »Ist Ihnen denn das nicht Beweis genug?«
»Die Proben habe ich geprüft. Sie sind gut und tadellos, das will ich nicht im geringsten bestreiten. Aber vor allem muß ich die Formel sehen.«
Pentridge erhob sich schwerfällig, ging zu dem kleinen Wandschrank, der über dem Bett hing, schloß ihn auf und nahm einen Briefumschlag heraus, den er fest in der Hand hielt.
»Ich muß Ihnen aber vorher noch etwas sagen. Sie werden viel Unannehmlichkeiten haben, wenn herauskommen sollte, woher Sie die Papiere haben. Ich will damit nicht gerade andeuten, daß ich die Formel auf unehrliche Weise erworben habe. Seit den letzten dreißig Jahren trage ich sie mit mir herum, und ich habe die Glasproben selbst hergestellt. Das glauben Sie kaum, wenn Sie mich so sehen, aber ich hatte einen guten Lehrmeister. Haben Sie jemals etwas von Granford Turner gehört?«
»Granford Turner? Der Name ist mir allerdings bekannt. Das war doch der berühmte Erfinder. Vor fünfzig Jahren wurde sein Name viel genannt. Ich entsinne mich jetzt an die Tragödie seines Lebens.
Pentridge nickte.
»Er hat seine Frau erschossen und wurde deshalb lebenslänglich nach Australien deportiert. Und dort kam ich mit ihm zusammen. Er ist einer der größten Erfinder, der jemals gelebt hat. Jetzt ist er gestorben«, fügte er schnell hinzu.
»Unter welchen Umständen sind Sie denn mit ihm zusammengekommen?« fragte Soltescu neugierig.
»Das kann Ihnen gleichgültig sein«, erwiderte Pentridge abweisend. »Hier ist die Formel und eine Beschreibung des Herstellungsprozesses mit sämtlichen Einzelheiten. Alle Wärmegrade, bei denen die verschiedenen Mischungen zum Fluß kommen, können Sie daraus entnehmen.«
»Den Erfinder selbst kann ich also nicht sprechen?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß er tot ist«, entgegnete Pentridge kurz. »Das muß Ihnen genügen. Diese Papiere habe ich die ganzen letzten Jahrzehnte mit mir herumgeschleppt. Ich wußte, daß ich früher oder später noch einmal ein Vermögen damit verdienen könnte. Ich hätte sie auch schon früher verkauft, aber –« Er sprach nicht weiter, denn er konnte doch nicht gut erklären, wie er in ihren Besitz gekommen war. Auch wollte er nicht sagen, daß er mit der Veräußerung aus Angst vor dem Mann gewartet, dessen Geheimnis er gestohlen hatte.
»Zeigen Sie einmal her«, verlangte Soltescu.
Pentridge reichte ihm die Schriftstücke widerwillig.
Der Rumäne zog seinen Stuhl nahe an den Tisch und las die engbeschriebenen Seiten, die den Herstellungsprozess behandelten, aufmerksam durch. Ab und zu machte er eine Pause und äußerte einige zustimmende Bemerkungen.
»Ja, das ist der richtige Weg! Niemand von uns hat früher an eine solche Lösung gedacht.«
Die freudige Aufregung, die ihn beim Lesen packte, machte ihn beinahe nüchtern. Niemand konnte die Wichtigkeit dieser Entdeckung besser beurteilen als er. Aber er wollte noch weitere Beweise haben.
Pentridge beobachtete, daß sich Soltescu im Zimmer umsah, und ahnte, was der Mann sagen wollte. Er nahm einige kleine Päckchen, eine Spirituslampe, einige dünne Scheiben Glas, ein kleines Gebläse und zwei Schachteln mit weißlichem und rötlichem Pulver aus dem Wandschrank. »Der Inhalt ist genau nach dem Rezept gemischt«, erklärte er. »Sie brauchen nicht erst lange nach den Formeln zu suchen.«
In der nächsten halben Stunde saß Soltescu mit Pentridge zusammen und beobachtete eingehend und interessiert die blaue Flamme und das geschmolzene Glas. Pentridge gab ein wenig von dem weißen Pulver hinzu, dann auch eine geringe Quantität der rötlichen Substanz. Er schmolz die Masse und ließ sie abkühlen, um sie dann wieder zum Fluß zu bringen. Schließlich hatte er ein Stück farbloses Glas, das sich von den gewöhnlichen Sorten, wie sie im Handel vorkommen, kaum unterschied. Er wartete einige Zeit, bis es sich abgekühlt hatte, und löste es dann mit einem Messer von der Stahlplatte. Obgleich es noch ziemlich heiß war, nahm er es in seine bloßen Hände und bog es. Das Experiment gelang. Das Stück wies nicht die leisesten Bruchstellen auf und nahm seine frühere Gestalt wieder an, sobald der Druck nachließ.
»Ausgezeichnet – das Glas ist nicht nur biegsam, sondern auch elastisch«, sagte Soltescu halb zu sich selbst. Er zog seine Brieftasche heraus. »Was verlangen Sie für die Erfindung?«
Pentridge zögerte.
»Ich wollte zuerst zwanzigtausend Pfund dafür haben, aber sie ist viel mehr wert. Ich gebe die Formel nicht unter fünfzigtausend her.«
Er täuschte sich aber, wenn er glaubte, daß Soltescu mit sich handeln ließe. Der