Patrick Fiedel

Leon und der magische Kristall


Скачать книгу

Kristall half ihnen in der größten Not und machte mit seiner geheimnisvollen Kraft den Weg nach Hause möglich. Seither hatte er kein Zeichen von sich gegeben. Kein Leuchten, kein Funkeln, kein Nichts. Doch Leon hat immer noch die Hoffnung, dass sie Mormir und ihre neu gewonnenen Freunde tief unter der Erdoberfläche eines Tages wiedersehen werden. Ihren Eltern haben sie nichts von den unbekannten Bewohnern erzählt, denn sie wissen, dass diese geheimnisvolle Welt auch geheim bleiben muss. Leon konnte seinen Papa dazu überreden, noch einmal an den Ort zurückzufahren, wo ihr Abenteuer begann, und obwohl dieser erst sehr skeptisch war, stimmte er dann doch zu.

      Nach dem Frühstück zieht sich Leon an und packt, wie jeden Tag, den erloschenen Kristall heimlich in seinen Rucksack. Stets in der Hoffnung, dass er wieder leuchten wird oder zumindest ein kleines Zeichen von sich gibt. Auf der gemeinsamen Fahrt zurück zum Ort, der Leon und Leonie für immer fest verbunden hat, kommen sie an der großen Weide vorbei. Dort hatten es Leon, Leonie, Ben, Finn und ihr Lehrer mit der Hilfe des magischen Kristalls geschafft, mit einer alten Lore hinaus in die Freiheit zu gelangen.

      „Es klang wie eine Explosion und auf einmal kamt ihr aus einer dichten Rauchwolke hoch in die Luft geschossen. Das war verrückt“, erzählt Mama, während die Kinder zur Weide schauen.

      Ihr Papa hält langsam am Straßenrand an. Leon und Leonie staunen nicht schlecht, als sie erkennen müssen, dass da, wo ihr rettender Ausgang war, nun nichts mehr zu sehen ist. Der Eingang zur Mine ist verschwunden und dicker grauer Beton umschließt ihn vollständig.

      „Sie haben wohl entschieden, dass es zu gefährlich ist, wenn hier jeder in die alte Erzmine gelangen kann“, sagt Papa nachdenklich.

      Nach einer kurzen Weiterfahrt über die ruhige Landstraße gelangen sie dann dort an, wo alles begann. Sie steigen gemeinsam aus dem Auto aus und gehen zusammen ein Stück in den Wald hinein. Dann stehen sie da. Sie blicken auf die Stelle, wo sich der Erdboden öffnete, doch es ist auch hier nichts mehr zu erahnen. Das Loch in die Tiefe wurde aufgeschüttet und wenn es die Kinder nicht besser wüssten, so könnte man glauben, dass hier nie etwas geschehen sei. Leon geht suchend ein paar Schritte über den Boden.

      „Man sieht gar nichts mehr“, ruft er seinen Eltern zu.

      „Ja, es ist wieder vollkommen sicher, durch den Wald zu spazieren“, reagiert seine Mama.

      Doch Leon ist darüber gar nicht glücklich. Er geht weiter in den Wald hinein und lässt seine Blicke gründlich über den Boden wandern.

      „Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragt ihn sein Papa.

      „Ähm. Nein, Papa. Ich schaue nur nach interessanten Pilzen“, antwortet Leon schnell.

      In Wirklichkeit sucht Leon nicht nach Pilzen. Er sucht nach Spuren, nach abgeknickten Sträuchern, nach Eingängen, nach irgendeinem Zeichen, dass Mormir noch irgendwo da draußen ist. Nachdem er rastlos unendliche Weiten des Waldes abgesucht hat, muss Leon einsehen, dass er nichts finden wird. Traurig und enttäuscht kehrt er mit seinen Eltern zum Auto zurück. Auch Leonie ist unglücklich, da sie insgeheim gehofft hatte, sie würde neue Spuren entdecken, um die Wontorianer vielleicht noch ein einziges Mal zu sehen. Wortlos steigen beide zu ihren Eltern in das Auto ein, lehnen sich über den Rücksitz und schauen durch die Heckscheibe noch einmal traurig auf den Waldweg zurück. Sie müssen sich wohl langsam darüber bewusstwerden, dass sie Mormir niemals wiedersehen werden. In Schrittgeschwindigkeit fahren sie den Waldweg entlang zurück auf die Landstraße.

      Als Leon dabei eine kleine Träne aus dem Auge kullert und er leise „Leb wohl“ säuselt, sieht er durch die Heckscheibe in der Ferne auf einmal etwas auf dem Weg stehen. Er kneift Leonie schnell in die Seite und auch sie schaut erstaunt zum Waldweg zurück. Sie können es nicht genau erkennen, aber beider Herzschläge beschleunigen sich. Sie bemühen sich, durch das Zusammenkneifen ihrer Augen zu erahnen, was oder wer am Ende des Weges steht. Dann erkennen sie es. Es ist Kantius. Der Älteste der Wontorianer mit seinem grauen Fell und den funkelnden Ketten um den Hals.

Bild kann nicht angezeigt werden

      Kantius, der nicht größer ist als ein Koala und der ihnen mit seinen weisen Worten so viel Mut gemacht hat. Sie versuchen, sich nichts anmerken zu lassen, aber ihre Freude ist in diesem Moment grenzenlos. Leon könnte vor Glück hüpfen und auch Leonie strahlt über das ganze Gesicht. Ihre Eltern bekommen es zum Glück nicht mit. Kantius, der sich in der Ferne auf seinen mit bunten Steinen verzierten Stab stützt, hebt diesen sogleich hoch in die Luft und schwingt ihn über seinem Kopf. Er scheint etwas zu sprechen und plötzlich beginnt der Stab hell zu leuchten. Um ihn herum entsteht ein riesiger Wirbel aus zahllosen Blitzen und funkelnden Strahlen. Aus dem Stab strömen die wundervollsten Lichter in den schönsten Farben und bilden ein grelles Licht, das Kantius direkt in die Richtung der Kinder schickt. Sie sehen es unmittelbar auf sich zukommen. Immer heller wird es und dann blitzt das gigantische Leuchten direkt durch die Heckscheibe in Leons Rucksack. Mitten in den Kristall hinein. Als Leon und Leonie wieder zurück auf den Waldweg schauen, ist Kantius weg.

      Voller Fragen sitzen die beiden wie versteinert auf der Rückbank und halten sich an den Händen. Ihre Eltern sind so vertieft in eine Unterhaltung, dass sie das Leuchten nicht bemerkt haben. Die gesamte Heimfahrt sprechen Leon und Leonie kein Wort. In ihren Köpfen tobt ein Feuerwerk der Emotionen und sie können es kaum abwarten, nach Hause zu kommen. Als sie dann endlich vor ihrem Haus sind und ihr Vater langsamer fährt, hüpfen sie, kaum in der Einfahrt angelangt, aus dem Auto und rennen schnell hoch in Leons Zimmer. Voller Freude fallen sie sich in die Arme und springen wild durch den gesamten Raum.

      „Ist alles in Ordnung da oben?“, ruft ihre Mama.

      „Ja, alles gut. Wir tanzen nur“, antwortet Leonie schnell.

      „Diese Kinder“, spricht ihr Papa lächelnd zu seiner Frau und begibt sich heimlich auf die Suche nach übrig gebliebenen Waffeln vom Morgen.

      „Weißt du, was das heißt?“, fragt Leon seine Schwester euphorisch.

      „Sie sind am Leben. Ihnen geht es gut und sie haben einen Weg nach oben gefunden. Wir können sie wiedersehen.“

      „Aber was war das für ein Licht?“, fragt Leonie ihren Bruder, der sogleich seinen Rucksack öffnet und glücklich nach dem Kristall schaut.

      „Der Kristall leuchtet immer noch nicht“, muss Leon sehr niedergeschlagen feststellen, als er diesen aus dem Rucksack zieht und fest in seinen Händen hält.

      „Aber was ist das?“, fragt Leonie schlagartig.

      „Halte ihn in das Tageslicht!“

      Gemeinsam gehen sie zum Fenster und halten den Kristall hoch in das Sonnenlicht, direkt vor ihre Gesichter.

      „Da steht etwas“, sprechen beide gleichzeitig ihr Erstaunen aus.

      Ihre Herzen hüpfen vor Freude.

      „Aber was sind das für Zeichen?“, fragt Leon seine Schwester.

      „Ich habe so etwas noch nie gesehen“, antwortet sie und hastet schnell in ihr Zimmer, um dann mit einem alten Buch wiederzukommen.

      „Hier sind viele alte Sprachen und Zeichen aufgelistet, auch Hieroglyphen und alte Runen sind abgebildet. Vielleicht finden wir etwas“, spricht Leonie.

      Nachdem sie das Buch mehrmals durchgeblättert haben, müssen sie leider erkennen, dass die Zeichen auf dem Kristall nicht zu finden sind und keinem bekannten Symbol ähneln. Leon und Leonie sitzen sich gegenüber auf dem Bett und grübeln. Dann schauen sie sich in der gleichen Sekunde in die Augen und haben exakt im gleichen Augenblick die rettende Idee.

      „Weißt du, wer uns vielleicht helfen kann?“, fragt Leonie ihren Bruder.

      „Herr Tarius“, antworten beide freudig im Chor.

      „Also los. Fahren wir zu Herrn Tarius“, sagt Leonie zu ihrem Bruder.

      „Wir treffen uns dort“, antwortet Leon entschlossen und mit abenteuerlichem Blick nach vorn gewandt, „ich trommle die Jungs zusammen.“