Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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doch selbst ein Nichts. Ich denke und ich bin mir doch meiner selbst bewusst als Huang, der Enkel des Huang-tse, als Denkender, also habe ich auch Existenz – also bin ich auch irgendwo, bin nicht im Nichts ...“

      „Vielleicht schläfst und träumst du nur, werde wach und alles ist vielleicht vorbei!“

      „Hm, und wenn ich es wäre, der verschwunden ist, während alles, was ich für verschwunden hielt, sich noch an dem Platz befindet, den ihm die Weisheit der Götter und der Natur bestimmt hat …?“

      „Beende den sinnlosen Versuch, etwas verstehen zu wollen, was für Menschen zu verstehen nicht gedacht ist.“

      „Sicher bin ich wieder auf dem Dunklen Planeten – war vielleicht noch gar nicht weg von ihm und habe möglicherweise nur geträumt, fort vom Dunklen Planeten gewesen zu sein. Verdammt, die Wirklichkeit hat keinen Henkel und die Welt der Träume und des Wahnsinns hat auch keinen Griff, an dem sie zu ergreifen wäre …“

      „Wie aber kannst du diesem Wahnsinn entfliehen? Hier scheint es keinen Ausgang zu geben.“

      „Es gab doch einen Eingang, den nehme ich als Ausgang.“

      „Nein, nein, das funktioniert nicht. Du hast es anderen doch selbst unzählige Male erklärt, dass die Höllenwelt von innen keinen Ausgang hat, während sich der Eingang in einer gänzlich anderen Welt, in deiner Welt, befindet. Es gibt kein Zurück.“

      „Die innere Welt des Kristalls wäre demnach nicht die Innenwelt des Dunklen Planeten, dem ich entkommen konnte.“

      „Gegen was wolltest du hier, wo und was immer ‚hier’ auch sein mag, deine mentale Zerstörungskraft einsetzen! Was ist es, das hier zerstört werden könnte. Versuch es doch!“

      Ratlosigkeit und die Furcht einflößende, unbegreifbare Umgebung, beginnen das Denken und Handeln des Magiers zunehmend zu bestimmen. Wie gern würde er jetzt den immer unerträglicher werdenden Zustand mit einem zielgerichteten Einsatz seiner Zerstörungskraft beenden, sich einen Ausweg aus der puren Ausweglosigkeit erzwingen.

      Der Magier fragt nicht mehr nach Vernunft. Er lässt die vor seinem inneren Auge rotierende Klinge aufs Geratewohl sich selbst Weg und Ziel suchen, wo es keine Ziele und Wege gibt.

      Unvermittelt beginnt sich alles Sein um den Magier herum noch einmal zu verändern. Wenn es ein Nichts, eine absolute Leere im Irgendwo des Sternenmeers gibt, dann ist dieses Irgendwo dort, wohin es den Magier unversehens verschlägt. Dorthin, wo ihn der Anblick der Gleichzeitigkeit aller Ereignisse der Welt der Räumlichkeit und Zeitlichkeit vom äußersten Ende der Vergangenheit bis zum letzten Augenblick der Zukunft erwartet und erschreckt. Hatte er nicht Ähnliches schon einmal erlebt – im Sonnenboot?

      Ja, damals war er tot und heute ist er gefangen.

      Gefangen in einer Welt ohne Wandel und Handlungsmöglichkeit – gefangen in einem Sein, das den allmächtigen Gottheiten allein angemessen und vorbehalten ist. Dem Magier ist es unmöglich, sich ohne die Hilfe einer mächtigen Gottheit zu befreien ...

      _

      „Magier, ich muss dich unbedingt etwas fragen“, wendet sich He an den Magier und Ho und Ha fallen ihr lachend gleichzeitig ins Wort. „Ja, sie zerplatzt sonst vor lauter Neugierde.“

      Seit die kleine Gruppe von Reitern vor einigen Tagen das Lager der Darr verlassen und sich auf den langen Weg in die Heimat des Magiers gemacht hat, reitet der Magier auf seinem Pferd schweigend neben seinen neuen Gefährten her, spricht nur, wenn es die Höflichkeit geboten erscheinen lässt.

      „Nun, He, ich möchte nicht, dass du vor Neugier wie eine reife Melone, die auf den Boden fällt, zerplatzt“, antwortet der Magier mit leisem Lächeln im Gesicht, das die jungenhafte Frische verloren zu haben scheint.

      „Jeder der Krieger, mit dem ich gesprochen habe, hat in dem kurzen Augenblick, in dem du die Achtbeinigen in deinem Kristall hast verschwinden lassen, etwas sehr Merkwürdiges in der Art eines nächtlichen Traumes erlebt – und jeder hatte den gleichen Traum. Willst du wissen, welchen Traum sie hatten?“

      „Nein!“

      „Hast du auch geträumt, Magier?“

      „Ich weiß es nicht, He“, antwortet der Magier wahrheitsgemäß. Sein treuer Freund Wu hatte ihn nicht für den kleinsten Augenblick aus den Augen gelassen in der Zeit, als er das Eingangstor zur Innenwelt aufgestoßen zu haben glaubte und doch war außer dem schlagartigen Verschwinden der Achtbeinigen im unfehlbaren Gedächtnis seines Wolfs nicht der geringste Hinweis enthalten, der auf Ungewöhnliches hingedeutet hätte.

      „Was weißt du nicht?“

      „Die Wirklichkeit hat keine Henkel, meine ich, und Träume haben keinen Griff …“

      „Hm“, antwortet He verwirrt und „Hm“, schallt es einfallslos von den Schwestern zurück.

      „Hast du die Antwort gehört, Bruder? Ich glaube, der ist total verrückt geworden! Wie kann denn ein Traum einen Griff haben und wozu …?“

      „Er ist rätselhaft“, antwortet der Sohn des Mokk, „aber wäre er nicht rätselhaft, dann wäre er auch kein Magier. Vielleicht wollte er dir nur das mitteilen.“

      „Als Bogenschütze wäre er mir wesentlich lieber. Welches Mädchen versteht schon einen Magier…!“

      „Ich glaube fast, du magst ihn, den Bogenschützen, der sich weigert ein Krieger zu sein.“

      „Unsinn, du Blödmann, ich habe nur Mitleid mit ihm!“

      „Du hast dir heute Morgen dein Haar gekämmt und geflochten und wenn du ihn heimlich anschaust, dann funkeln deine Augen … vor Mitleid natürlich!“, lacht der Bruder fröhlich und freut sich über die Röte, die für einen Moment über das Gesicht der Schwester huscht.

      „He“, neckt der Sohn des Mokk die Schwester, „nach unseren Vorstellungen ist der Magier sogar ein reicher Mann mit all den Pferden und Waffen, die er im Kampf gegen die Krieger des Kaisers erbeutet hat.“

      „Ja, Bruder, ich wollt, ich hätte eines der Schwerter und einen der wunderbaren Kriegsbögen, von denen der schlechteste viel besser ist, als der beste Bogen, den ein Darr je besessen hat …“

      „Ja, es müssen herausragende Krieger gewesen sein, die so edle Waffen besessen haben.“

      _

      Ein ereignisloser Tag folgt dem anderen. Die Schweigsamkeit des Magiers scheint ansteckend zu wirken und als die kleine Gruppe von Reitern so viele Tage wie drei Hände Finger haben unterwegs ist, sind auch Ho und Ha endgültig verstummt.

      Die Sonne steht kurz vor dem Höhepunkt ihres gebogenen Himmelswegs, als der laute Schrei eines Adlers hoch über den Köpfen der Reiter die vor sich hin Träumenden aus ihren Gedanken und Träumereien reißt. Der Magier streckt einen Arm aus und der Raubvogel fällt im Sturzflug hinunter. Neugierig beobachten die Gefährten, wie der Raubvogel sein Gesicht dem des Magiers nähert, als hätte er ihm Wichtiges zu flüstern.

      „Hat dein geflügelter Freund dir Neuigkeiten mitgeteilt?“, fragt He neugierig und auch die anderen

      Gefährten können ihre Neugierde kaum beherrschen.

      „Nein“, antwortet der Magier kurz und lenkt sein Pferd aus der ursprünglichen Richtung einem neuen Ziel entgegen.

      „Und warum änderst du gegen unsere ursprüngliche Absicht die Richtung, die in deine Heimat führt, die wir wohl nie erreichen werden, wenn wir der neuen Richtung folgen?“

      „Jede Antwort auf ein Rätsel, meine liebe He, ist die Mutter für zehn neue Rätsel.“

      „Werden wir auf Feinde treffen, Huang?“, lässt He nicht locker.

      „Schon möglich.“

      „Du weißt, ich bin gänzlich