Elke Bulenda

Pariser Nächte


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weggelassen habe. Brutus würde uns sonst morgen früh den ganzen Wagen verpesten.

      Schnell nahm ich die Flasche entgegen und trabte weiter. Von allein würde der Bericht sich jedenfalls nicht schreiben. Endlich hatte ich ein wenig Ruhe und kramte mein Notebook hervor, loggte mich in den Server ein und las, was unsere Experten herausgefunden hatten. Also doch ein Mord. Die Spuren verwiesen auf magische Aktivitäten und auch die restlichen Hinweise verdichteten sich zu einer klaren Aussage. Anbei war noch eine Computeranimation, die den Ablauf demonstrierte. Wenn die Dame ausgerutscht wäre, wäre der erste Aufprall weiter vorn auf der Treppe erfolgt. Sie wurde aber eindeutig gestoßen. Mit diesem Hintergrundwissen formulierte ich meinen Bericht. Ich erwähnte zuerst die Aussage des Kurators, die Schwierigkeiten, die wir mit der örtlichen Polizei hatten usw. Auch ließ ich nicht unerwähnt, dass ich eine achtfache Abreibung vom Belphegor beziehen musste. Ebenfalls erörterte ich, was danach geschah, nämlich, dass wir auf den vertrockneten Cedric trafen. Als der Bericht abgefasst war, schickte ich ihn auf den Server. Aber da war vieles, was ich nicht erwähnen konnte, weil es für diesen Fall eigentlich nicht ausreichend belegt war. Viele halten mich für ein wenig paranoid, oder misstrauisch. Wenn ich so ein seltsames Gefühl habe, gleich so, als würde mir jemand auf den Rücken blicken, kann ich mir nicht helfen, sondern vermute, dass dahinter weitaus mehr steckt als es scheint. Für meinen Geschmack handelte es sich bei dieser ganzen Geschichte um zu viele Zufälle. Ich glaube nicht an Zufälle, eher an das Schicksal, oder fehlendes Hintergrundwissen. Hier war etwas faul, ganz eindeutig faul, sodass es schon bis zum Himmel stank. Zuerst dieser seltsame Typ und sein Vampir-Commissaire, dann ausgerechnet diese nordische Kunstausstellung, mein lange vermisstes Bild, und anschließend auch noch der wiedergefundene Cedric. Es ist so, als hätte jemand ganz speziell für mich eine Fährte mit Brotkrumen ausgelegt. Alles hatte ein Muster, nur war ich einfach zu dumm, oder zu blind, dieses Muster zu entziffern. Also grübelte ich so lange vor mich in, bis es wieder Zeit wurde, nach Cedric zu sehen. Und nach Amanda …

      ***

      Trotz Cedrics kindlicher Freude, als er den Koffer auskippte und sich über die vielen schönen Sachen freute, konnte Sals nicht wirklich daran teilhaben. Selbst als Cedric sich die Hose falsch herum anzog, fand er es nicht wirklich lustig. Sein Schützling war zwar arglos, doch er war auch ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Also nicht einmal als vollkommen harmlos einzustufen.

      »Cedric? Würdest du dich bitte hinsetzen?«, fragte der Ring-Leiter.

      »Oh ja! Mach ich doch gerne! Auf den Koffer?«

      »Nein, setze dich einfach auf das Bett, ja? Hör zu. Du weißt doch, dass du keine menschlichen Speisen zu dir nehmen darfst. Und kannst du dich an die Medikamente erinnern, die ich damals für dich hergestellt habe?«

      Cedric nickte brav. »Ja, ich darf keine Menschennahrung essen, weil dann, dann ... Weiß nicht so genau, dann passiert eben was. Genau, du gabst mir damals immer solche Dinger!«, meldete sich der Junge, begeistert darüber, dass sein Gedächtnisschwund nicht ganz so gravierend war.

      »Richtig, mein Sohn, ich möchte, dass du jetzt brav eine von diesen Tabletten nimmst. Du musst verstehen, ich will nicht, dass etwas Schlimmes passiert. Du darfst niemandem weh tun.«

      Wieder nickte der Junge, hielt die Hand auf und nahm eine Tablette entgegen. Verspielt wie er war, nahm er die Pille zwischen Zeigefinger und Daumen und betrachtete durch sie das Licht, welches ihm noch immer schrecklich fremd vorkam.

      »Nun schlucke sie schon, und spiele nicht damit herum, hörst du?«, ermahnte ihn der Ältere sanft.

      »Ich werde keinem weh tun. Schon weg!«, erwiderte Cedric, warf sie sich in den Schlund und zeigte die Zunge, die er auch anhob. »Siehst du, ich habe mein Medikament genommen. Bitte erzähl mir alles.«

      »Was alles?«, fragte Sal und versuchte Cedrics flatternden Gedankengängen zu folgen.

      »Na, eben alles! Alles ist so schön bunt, so anders und so sauber«, meinte der Junge mit ausholender Bewegung.«

      »Ach so, das alles. Ich weiß, dass es damals nur sehr wenige Farben für Stoffe gab. Das Bunteste waren Purpurrot, das aus dem Farbstoff der Purpur-Schnecke gewonnen wurde und Blau, das aus dem Färberwaid entstand. Ansonsten herrschten eher Brauntöne vor. Nun Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen, Färbemittel chemischen Ursprungs zu entwickeln. Seitdem gibt es jede Farbe, die man sich nur wünschen kann.«

      Weil Cedric so ein großes Interesse dem Fernseher entgegenbrachte, nahm Sal die Fernbedienung und schaltete das Gerät ein. »Dies ist ein Fernseher, er funktioniert mit Elektrizität. Einen Fernseher kann man in vielerlei Hinsicht benutzen. Einerseits als Informationsmedium, und andererseits zu Unterhaltungszwecken. Das hat nichts mit Magie zu tun, sondern mit Technik«, betonte Sal. »Elektrizität ist Energie, die aus diesem Ding gezapft wird. Sie entsteht in Kraftwerken, die den Strom durch Verteilernetze an die Haushalte liefern.«

      Er zeigte auf die Steckdose. »Aber dort darfst du deinen Finger niemals hineinstecken, hörst du? Nur Stecker, das sind diese Teile mit einer Strippe dran!«, mahnte Sal eindringlich.

      Cedric sah so erschrocken aus der Wäsche, dass er hoch und heilig schwor, unter gar keinen Umständen den Finger dort hineinzustecken.

      Sal fuhr fort. »Dass alles so sauber ist, hat damit zu tun, dass es viele Mittel und Wege gibt, etwas sauber zu halten. Die Straßen sind durchgehend gepflastert, es werden keine Fäkalien mehr aus den Fenstern geschüttet, und das Wasser kommt direkt aus der Wand, man muss es nicht mehr aus dem Brunnen schöpfen. Zum Waschen der Wäsche gibt es Maschinen, die einem die schwere Arbeit abnehmen. Die Böden werden ebenfalls mit Maschinen gereinigt. Da gibt es den Staubsauger, außerdem gibt es auch Maschinen, die den Boden wischen können. Und da die Menschen von dem gesundheitlichem Risiko einer Ansteckung wissen, sind Läuse, Bettwanzen und Flöhe so gut wie nicht mehr vorhanden.«

      Nachdenklich kraulte sich Sal den Bart. »Cedric ich werde dir gerne die Umgebung und die technischen Neuerungen zeigen.«

       »Hurra! Oh, ja! Ich will dass du mir alles zeigst, auch was sich dort draußen befindet. Los lass uns gehen!«, rief der Kleine begeistert aus.

      Nur zögerlich nickte Sal. »Ja, aber ehe wir dieses Abenteuer in Angriff nehmen, würde ich dich gerne von Amanda untersuchen lassen. Sie ist eine sehr liebe Person, sie wird dir nicht weh tun. Mir geht es vor allem um eine neurologische Untersuchung, du warst sehr lange fort, deshalb würde ich dich gerne gründlich untersuchen lassen.«

      Da sich Cedric fertig bekleidet hatte und offensichtlich mit seinem Outfit sehr zufrieden, nahm Sal Kleiderbügel zur Hand, hängte ordentlich die Kleidungsstücke daran auf und verstaute sie im Schrank.

      »Wenn du damit einverstanden bist, rufe ich Amanda an, damit sie hierher kommen kann.«

      Die Enttäuschung stand Cedric ins Gesicht geschrieben. »Oh, na ja. Mein Kopf tut so weh. Soll ich sie rufen?… Amanda! Du kannst kommen!«

      »Psscht! Cedric! Du kannst doch nicht so herum schreien! Das macht man heute ganz anders. Du warst eindeutig zu viel mit Ragnor zusammen.«

      Bevor Cedric noch einmal rufen konnte, hatte Sal sein Handy aus dem Jackett gefischt und sprach leise zu jemanden, den Cedric vergeblich suchte.

      »Ja, Amanda, aber sei nicht so ruppig zu ihm. Er ist ein sehr friedliebendes Wesen und noch ein Kind. Ich möchte ihn sehr sensibel behandelt wissen. Ja, bis gleich. Ach, und bring etwas gegen Kopfschmerzen mit.«

      Kurz drauf klopfte es sachte an die Zimmertür. Erstaunlich schnell war Sal an der Tür und öffnete.

      »Hallo Amanda, dort auf dem Bett, das ist dein neuer Patient, er heißt Cedric und ist eine ganz andere Art von Vampir, als du ihn sonst gewöhnt bist.«

      Kritisch sah die Ärztin Sal an. »Er ist ja noch ein kleiner Junge! Also nicht dauerhaft notgeil und metzelt auch nicht mal eben zwischen dem Aufstehen und dem Frühstück elf Sträflinge nieder? Gut zu hören!«

      Amanda trat an Wolfs Bett. »Hallo, ich bin Dr. Dr. Amanda Ferguson, du darfst mich Amanda nennen. Wo drückt der Schuh? Kopfweh? Ich habe hier etwas für dich«, sie reichte ihm ein Glas Blut