Brigitte Pedde

Willi Baumeister


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und diese hinterließen einen entscheidenden Eindruck. Cézanne war der Künstler, den Willi Baumeister sein Leben lang am meisten bewunderte. Er bezeichnete ihn später als den »Begründer der modernen Malauffassung«. Cézannes Wort »modulieren, nicht modellieren« war für Baumeister dessen wichtigster, programmatischer Leitsatz.

      In dieser Zeit las Baumeister auch das soeben erschienene Buch Wassily Kandinskys Über das Geistige in der Kunst13. Kandinsky hatte hier seinen Schritt zur abstrakten Malerei theoretisch erläutert. Seine geistigen Grundlagen dazu hatte er unter anderem auch bei Goethe und Schiller gefunden, deren Werk Baumeister seit seiner Schulzeit sehr gut kannte und schätzte.

      Von Oktober bis November 1912 konnte er 73 seiner Arbeiten in der Galerie Neupert in Zürich ausstellen. Ein Feuilletonist der Neue Zürcher Zeitung wies auf den Einfluss der französischen Impressionisten sowie Paul Cézannes und Paul Gaugins bei den ausgestellten Werken Baumeisters hin.14 Diese Ausstellung wurde sein erster großer Erfolg: Er konnte alle seine Bilder verkaufen. Finanziell für eine gewisse Zeit abgesichert, entschied er sich, zusammen mit dem Schweizer Maler Hermann Huber nach Amden im Kanton Sankt Gallen in der Schweiz zu ziehen, wo jeder ein Bauernhaus mietete. Der Maler Albert Pfister lebte bereits dort. Sie luden Otto Meyer ein auch zu kommen. Mit Meyer, der sich später Meyer-Amden nannte, war Baumeister seit seinem Studium an der Stuttgarter Akademie befreundet. Die Zeit von September 1912 bis Dezember 1913 verbrachte Baumeister in dieser sich kurz formierenden kleinen Künstlerkolonie gemeinsam mit seiner Jugendfreundin Paula, genannt Mirjam, Falschebner, die gleichzeitig auch sein Modell war. In Amden entstanden Werke aus den Themenkreisen Maler und Modell, aber auch Die Badenden und seine Gemälde mit Akten. Diese Themen lagen nahe, denn das ungezwungene Leben in der freien Natur war zu dieser Zeit ein fortschrittlicher gesellschaftlicher Reformansatz. Gleichzeitig boten sie Baumeister auch die Möglichkeit, die Neuerungen der Kunst Cézannes, dessen Strukturierung und farbige Modulation, die er so sehr bewunderte, in seinem eigenen Werk zum Ausdruck zu bringen. Cézanne war für Baumeister, wie für viele andere Künstler seiner Generation derjenige Maler, der die entscheidende Wende zur Moderne geleistet hatte. Während der Zeit in Amden nahm er auch mit zwei Bildern an der Ausstellung des Ersten Deutschen Herbstsalons in Herwarth Waldens Galerie Der Sturm in Berlin teil, zusammen mit Künstlern der internationalen Avantgarde, zu denen auch Fernand Léger gehörte, der später sein Freund werden sollte.15 Vor einem Gemälde von Léger lernte er dort Franz Marc kennen.16

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       Badende

      1912, Tempera auf Karton, 50,1 × 58,1 cm, Kunstmuseum Stuttgart

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       Nachmittag im Schlossgarten

      1910, Öl auf Leinwand, 41,2 × 53,8 cm, Kunstmuseum Stuttgart

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       Zeichner und Modell

      1913, Öltempera auf grundiertem dünnen Karton, 50 × 36,8 cm, Privatsammlung

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       Lesende unter der Lampe

      1914, Öl auf Karton, 50,5 × 59 cm, Staatsgalerie Stuttgart

      In der Zeit um 1913 wandte sich Baumeister nach seinen impressionistischen, pointilistischen Werken neuen Herausforderungen zu. Seine Serie Köpfe markierte einen Neubeginn hin zu einer geometrischen, konstruktivistischen Formensprache. Das Gemälde Lesende unter der Lampe von 1914 kennzeichnet einen stilistischen Anfang, der zu den Mauer- und MaschinenBildern der 1920er Jahre führte. Das Gegenständliche wird reduziert in klaren Formen und Bildelementen wiedergegeben. Sein Freund Oskar Schlemmer schrieb zu diesem Bild an Baumeister: »Deine ‚Lesenden’ sind mir ziemlich zum Maßstab geworden, als vielleicht Feinstes.«17 Im Februar dieses Jahres hatte Baumeister seine erste Einzelausstellung. Sie fand im Neuen Kunstsalon am Neckartor in Stuttgart statt.

      Durch Vermittlung von Adolf Hölzel bekamen er, Oskar Schlemmer und Hermann Stenner den Auftrag für einen Wandfries in der Haupthalle der 1914 in Köln stattfindenden Werkbund-Ausstellung. Jeder malte vier Bilder auf Ebonit-Platten, die Legenden aus der Geschichte der Stadt Köln darstellten. Nach Beendigung der Arbeit reisten die Freunde nach Antwerpen, Amsterdam, London und Paris.

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       mit Adolf Loos

      Willi Baumeister (rechts) mit Adolf Loos (vorne links), 1931

      Im Ersten Weltkrieg musste Willi Baumeister Kriegsdienst auf dem Balkan, in der Ukraine und im Kaukasus leisten. Während Fronturlauben hielt sich Baumeister 1915 und 1916 in Wien auf. Er lernte dort die Literaten Karl Kraus, Peter Altenburg, den Maler Oskar Kokoschka und den Architekten Adolf Loos kennen.18 Viele Jahre danach, 1931, hatten Baumeister und Loos eine gemeinsame Ausstellung in Frankfurt am Main. Auch mit Kokoschka blieb er bis in die 1920er Jahre in Kontakt. Kokoschka vermittelte einige seiner ehemaligen Schüler an Baumeister.19

      In der Zeit des Ersten Weltkrieges konnten nur wenige Ausstellungen stattfinden. 1916 wurde im Freiburger Kunstverein Hölzel und sein Kreis gezeigt. Die im Katalog abgebildeten Werke stammten – neben denjenigen von Hölzel und Baumeister – von Itten, Kerkovius, Schlemmer und Stenner. Im Juni 1918 nahm Baumeister an der Ausstellung Expressionisten im Kunsthaus Schaller in Stuttgart teil, die wegen der Modernität der Werke in konservativen Kreisen einen Skandal auslöste. Schlemmer, der die Schau zusammen mit seinem Bruder Carl organisiert hatte, schrieb an Baumeister: »Es muss Aufruhr gewesen sein in Stuttgart. Inspektor Schmid, das Sprachrohr der Akademie-Professoren, hätte, schreibt mein Bruder, gewütet: Polizei müsse einschreiten. Wir sind nun gestempelt für Stuttgart, und man wird mit uns rechnen müssen….«20 Allerdings gab es auch gute Kritiken wie die von Karl Konrad Düssel, einem Stuttgarter Feuilleton-Journalisten, der Baumeister und Schlemmer immer wieder mit seinen Artikeln zu protegieren versuchte.

      »Deine Lesenden sind mir (…) zum MaSSstab geworden, als vielleicht Feinstes.«

      Oskar Schlemmer an Baumeister

      Bedingt durch seinen Einsatz im Krieg konnte sich Baumeister wenig künstlerisch betätigen. Doch nutzte er während seines Einsatzes an der Front jede freie Minute und zeichnete unter den schwierigsten Umständen, auch in seinem Zelt. Aus dem Jahr 1918 sind zwei Gemälde bekannt, die heute jedoch als verschollen gelten. Bereits die Titel Balkan-Erinnerung und Der Gequälte zeigen, dass sich Baumeister hier mit dem Krieg auseinander gesetzt hat. Im Dezember 1918 wurde Baumeister vom Militär entlassen und kehrte nach Stuttgart zurück.

      Auf der Heimfahrt schrieb er an seine Eltern: »Bahnfahrt Nähe Kiew, Richtung Kowel. Ich mache den Versuch, Euch ein Lebenszeichen von mir zu geben. Seit einem Monat unterwegs, hoffe Weihnachten bei Euch zu sein und Euch gesund anzutreffen. Wie herrlich die Gewissheit, daß ich endlich frei sein werde von allen Qualen des Soldatendaseins, und alle die finsteren Umstände des Krieges sind weg, auch der Oberzauberer Wilhelm II.«21