Richard Mackenrodt

Die kleine Insel am Ende der Welt


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schlug Kathrin Schmidtbauer vor. »Dafür nehmen Sie Abstand von allen Maßnahmen. Nennen Sie einfach Ihre Bankverbindung, und der Betrag ist morgen auf Ihrem Konto.«

      Dem Fahrer stand der Mund offen. Auch Lisa staunte nicht schlecht.

      »Wer san denn Sie?« fragte er, und Lisa glaubte in seiner Stimme auf einmal etwas so unvermutetes wie Charme zu entdecken.

      »Staudinger, wos host’n wuin?« Die Frau in der Taxizentrale wurde ungeduldig.

      »Das Angebot gilt nur für die Dauer dieses Anrufs«, fügte Kathrin Schmidtbauer hinzu. »Sie müssen sich sofort entscheiden.«

      Der Fahrer überlegte angestrengt. Er wischte sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Lisa erwartete gespannt seine Antwort.

      »10.000«, sagte er schließlich.

      Im Büro von Nero Black Enterprises blickte Kathrin Schmidtbauer abwartend auf ihren Monitor. Dort erschien schließlich ein einziges Wort: »Okay

      »10.000 sind in Ordnung, Herr Staudinger«, sagte Kathrin Schmidtbauer. »Ihre Kontodaten?«

      Franz Staudinger konnte das Ganze noch nicht glauben: »Wenn des a Scherz is…«, sagte er warnend.

      »Keine Sorge«, beruhigte sie ihn.

      »Sagen Sie, passiert das gerade wirklich?« meldete Lisa sich auf der Rückbank zu Wort. »Ich hab manchmal so Momente, da spielt meine Fantasie mir einen Streich.«

      Der Fahrer drehte sich ungehalten zu ihr um. »Wollen’S jetzt zum Airport oder Schmarrn erzählen?«

      Lisa erkannte, dass Franz Staudinger und sie keine Freunde mehr werden würden, und hielt lieber den Mund.

      »Stau-din-ger…«, meckerte die Frau von der Zentrale.

      »I kann jetz ned«, polterte der Fahrer und unterbrach die Verbindung zur Leitstelle, dann begann er, seine Kontoverbindung herunter zu beten, und obwohl er die sonst im Schlaf aufsagen konnte, verhaspelte er sich dabei gleich mehrfach. Der Fahrer des Wagens hinter ihm hupte, weil Staudinger überhaupt nicht mehr auf den Verkehr konzentriert war und vor seinem Taxi bereits eine ziemlich große Lücke gelassen hatte. Er war überfordert. Das Hemd hing ihm längst nass am Körper. Was hier gerade passierte, gab es eigentlich gar nicht, aber es passierte trotzdem. Staudinger ließ den Wagen weiter rollen und schaffte es endlich, seine Kontonummer korrekt zu übermitteln.

      Kurze Zeit später löste der Stau sich auf, das Taxi hatte freie Fahrt bis zum Flughafen. Im Laufschritt zog Lisa ihr Rollköfferchen durch Terminal 2. Noch immer gab der Kaugummi unter ihrem rechten Schuh bei jedem Schritt ein leises Geräusch von sich. Lisa passierte die Zollkontrolle und erschien sogar noch rechtzeitig zum Boarding. Im Flugzeug wollte sie sich gerade dazu anschicken, ihr Handgepäck in der Ablage zu verstauen, als zwei kräftige männliche Hände unter ihren Koffer griffen, um ihr zu helfen. Im nächsten Moment blickte Lisa in das lächelnde Gesicht eines unverschämt gut aussehenden Mannes.

      »Darf ich?« fragte er.

      Lisa ließ ihn gerne gewähren, und während er ihr Gepäck in die Höhe hob, betrachtete sie mit Wohlgefallen seine kräftigen Arme, die aus dem hochgekrempelten Hemd ragten, und seine breiten, muskulösen Schultern. Er erinnerte sie an einen Hollywood-Schauspieler, dessen Name ihr nicht einfiel.

      »Sie müssen Lisa sein«, sagte er. »Ich bin Torsten.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und während sie ihn noch fragend ansah, schüttelte sie bereits seine Hand. Ein starker, männlicher Händedruck, und dennoch voller Gefühl.

      »Ein Freund von Lukas«, fügte er hinzu. »Ist es okay, dass ich neben Ihnen eingecheckt habe?«

      Lisas Lächeln bejahte die Frage. Nun wusste sie, dass sie während des Fluges abgelenkt werden würde von ihren brütenden Gedanken.

      Phillip Schwarz hatte sein Elektrofahrrad neben der Straße abgestellt. Er blickte hinüber zum Flughafen und wusste nicht, was er tun sollte. Das passierte ihm unglaublich selten, denn es gab doch immer eine Lösung. Für alles. Aber so war das eben mit Dingen, die man vor sich her schob, weil sie unangenehm waren. Sie wurden immer schwieriger und neigten dazu, sich aufzutürmen wie riesige, unüberwindliche Gebirge. Jeder Mensch hatte seine ganz eigene, innere Eiger-Nordwand, und Phillip Schwarz stand jetzt am Fuße der seinen. Er zog seinen Zauberstab hervor. Wenn es doch etwas gab im Leben, das ihm Spaß bereitete, dann war es dieses Gerät. Mit seinem länglichen Format erinnerte es an eine aufwändige Fernbedienung, aber dafür war es ein wenig zu lang und auch zu breit. Es hatte die glatte Oberfläche eines Tablets, aber im Vergleich mit seinem Zauberstab war ein iPad nicht mehr als ein billiger Taschenrechner.

      Kathrin Schmidtbauer nippte an ihrer zweiten Tasse Kaffee, als sie sah, wie auf ihrem Monitor die ersten Worte einer neuen Nachricht erschienen: »Frau Schmidtbauer, ich brauche…« Dann stoppte der Text. Kathrin wartete. Der Cursor blinkte vor sich hin, ohne dass etwas passierte. Sie bemerkte überrascht, dass sie anfing, unruhig zu werden. Ihr Chef hielt niemals inne, wenn er eine Nachricht übermittelte. Er war außerordentlich schnell im Kopf, und all seine wie aus der Pistole geschossenen Formulierungen waren stets druckreif. Sie machte sich Sorgen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Hatte ihm jemand den Zauberstab aus der Hand geschlagen? War er überfahren worden? Ihr Telefon klingelte. Sie drückte eine Taste und sprach in ihr Headset: »Kathrin Schmidtbauer, Nero Black Enterprises.«

      Eine etwas dünne und wenig männliche Stimme sagte: »Frau Schmidtbauer, ich bin’s.«

      »Wer ich?

      »Ihr Chef. Nero Black.«

      »Woher haben Sie diese Nummer?«

      »Ich brauche Ihren Rat.«

      »Blödsinn.«

      »Doch.«

      »Herr Black telefoniert nicht«, stellte Kathrin klar. »Sie sind ein Schwindler.«

      Es entstand eine kurze Pause. Kathrin war schon drauf und dran, die Telefonverbindung zu unterbrechen – als der angefangene Text auf ihrem Monitor gelöscht und ein neuer eingetippt wurde. Und plötzlich stand da: »Bitte, Frau Schmidtbauer, ich bin es wirklich.« Kathrin starrte den Satz an. Mit großen Augen.

      »Was… ist los?« fragte sie. »Was kann ich tun?«

      »Sie haben doch einen kleinen Sohn.«

      Kathrin wurde misstrauisch. Das hier entwickelte sich äußerst merkwürdig. »Ja?« sagte sie.

      Der Mann am anderen Ende atmete tief durch. »Denken Sie, ich bin ein Typ, der alles unter Kontrolle hat?« wollte er wissen.

      Kathrin zögerte. Es war so ungewohnt, richtig mit ihm zu sprechen. Mit dieser Stimme, die klang wie die eines Abiturienten, der nicht sauber durch den Stimmbruch gekommen war.

      »Ich weiß nur«, sagte sie, »dass das Boarding für Ihren Flug in wenigen Minuten schließt. Wie ich hören kann, stehen Sie irgendwo an einer Straße. Sie sollten sich also beeilen.«

      »Das Flugzeug wird Verspätung haben.«

      Ein Klick, und Kathrin hatte die Website des Münchner Flughafens auf ihrem Monitor.

      »Bisher ist alles planmäßig«, widersprach sie.

      »Nicht mehr lange«, sagte er.

      Kathrin wurde wieder unsicher. War das wirklich der Mann, für den sie arbeitete? Oder nur irgendein Verrückter, der den Zauberstab zu bedienen verstand?

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