Deike Hinrichs

Slopentied


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von Ironie registrierte.

      „Moritz“, Stopske sprach ihn keinen Moment zu früh an, „du hängst dich an die Gruppe aus Berlin und Brandenburg, also um Melanie, Judith, Kim und Konsorten. Gut wär’s, wenn sich der angedeutete Konflikt zwischen Mel und Judith etwas zuspitzen lässt. Darauf liegt der Fokus in der nächsten Folge. Der Sender will, dass wir wieder mehr anziehen mit den Emotionen. Friede, Freude, Eierkuchen ist passé … “

      Äußerlich scheinbar entspannt, innerlich indes nervlich bereits angeschlagen, lehnte sich Moritz in dem schwarzen Freischwinger zurück, dessen Lehne mit einem leichten Knarzen nachgab. Durch bewusst demonstrierte Lockerheit sei man in der Lage, den tatsächlichen Gemütszustand entsprechend positiv zu beeinflussen, glaubte Moritz irgendwo gelesen zu haben. Mit locker gespreizten Fingern legte er beide Hände, die Handrücken nach oben gedreht, vor sich auf das dicke, aufgeschlagene Notizbuch, in dem er im Laufe der Besprechung ein ganzes Heer von Strichmännchen zu Papier gebracht hatte. Um sich vor den anderen, durch die Bank weg willigen Redakteuren und Praktikanten, keine Blöße zu geben, versuchte er den Einspruch, der ihm auf der Zunge lag, als Alternativvorschlag zu verkaufen:

      „Judith und Melanie haben sich doch wieder versöhnt, soweit ich weiß. Das Hauptaugenmerk könnte stattdessen auf Kim liegen, die ja bereits das dritte oder vierte Mal ohne Erfolg am Start ist und partout nicht aufgibt?“ Man merkte Moritz’ brüchig klingender Stimme die Anspannung an.

      Einige in der Runde schüttelten ablehnend die Köpfe, andere schauten einfach regungslos in die Luft.

      Moritz fühlte sich auf verlorenem Posten und probierte es mit Galgenhumor. „Bei Kim stellt sich die Frage: Sind alle guten Dinge nun drei, vier oder gar fünf? Wenn darin keine Dramatik liegt, weiß ich auch nicht.“ Ein, zwei gemurmelte Zustimmungen meinte Moritz zu vernehmen. Eventuell spielte ihm sein Gehör auch einen Streich.

      Erik Stopske jedenfalls tat seinen Einwurf kurzerhand ab: „Dann bricht der Konflikt halt wieder auf. Lass’ dir was einfallen, Moritz! Und viermal zur Wahl anzutreten, ohne jemals auch nur in die Nähe des Titels gekommen zu sein, ist einfach nur lächerlich. Was wir brauchen, sind starke Emotionen. Ich hoffe, wir verstehen uns?“ Den Mund zusammengepresst schaute Stopske verkniffen in die Gesichter der Kollegen und verteilte weiter die Aufgaben: „Petra, du supportest Moritz beim Dreh in Warnemünde und betreust die Ladys, okay?“

      Petra, nunmehr an die sechs Monate Praktikantin bei United Media, nickte beflissen und schaute begeistert zu Moritz rüber. Moritz tat sie in ihrem Eifer ein wenig leid, weshalb er sie mit einem abgerungenen Lächeln bedachte.

      Am späten Nachmittag, während Moritz sich eine nährstoffarme, jedoch gerade durch diesen Umstand ungemein sättigende Fertigsuppe in der verchromten Küchenzeile aufwärmte, sprach ihn Petra noch einmal an, um Einzelheiten zum Projekt, wie hier alles aufwertend genannt wurde, zu besprechen. In ihrem Heimatort war Petra sicher ein vernünftiges, aufgewecktes Mädchen gewesen; hier in Berlin war sie jedoch zu ehrgeizig, zu beeinflussbar und zu naiv, und nach anderthalb Jahren Praktikum vermutlich auch zu verzweifelt, um einen angenehmen Charakter zu behalten. Rein äußerlich betrachtet stand Moritz eine attraktive junge Frau mit einem schmalen, offenen Gesicht gegenüber, deren Miene jedoch meist durch skeptisch hochgezogene Augenbrauen leicht überheblich wirkte. Bei genauerem Hinschauen erahnte man Petras ausgezeichnete Figur, die sie jedoch fabelhaft unter kittelartigen Kleidern, ausschließlich mit eng sitzenden Hosen darunter kombiniert, versteckte. An sich lag es jedoch mehr an ihrem Auftreten, dass sie burschikos erschien. Eine von den Frauen, die nie männliche Hilfe brauchen oder sich schwach dabei fühlen, welche anzunehmen. Seines Wissens lebte Petra allein, ohne festen Freund, der sie geistig und emotional — das Schlagwort des heutigen Tages, wie Moritz zynisch feststellte — in andere Richtungen lenken konnte. Schade eigentlich. Manchmal wirkte es Wunder, sich in die Arme nehmen zu lassen, und dabei seinen Blickwinkel auf anregende Weise zu verschieben.

      Verschwörerisch beugte sich Petra zu ihm hinüber, während er mit dem Umrühren der heißen Suppe beschäftigt war. „Falls die beiden sich nicht von alleine zanken, habe ich schon eine Idee, wie wir ein wenig nachhelfen können. Es gibt doch da diesen David, mit dem sowohl Melanie als auch Judith mal was am laufen hatten … “

      In solchen Situationen überfiel Moritz eine panische Angst, seine eigene Tochter Valentina könne irgendwann, unter ungünstigen Umständen, derart unangenehme menschliche Züge entwickeln. Er tat sein Bestes, damit dies nicht passierte. Vermutlich hatten Petras Eltern es auch getan und waren dennoch gescheitert, wie Moritz kurzerhand befand.

      „Ich rede morgen noch mal mit Stopske über den Aufhänger der nächsten Folge. Die Quoten sind doch in Ordnung, auch ohne künstlich provozierte Auseinandersetzungen. Ich denke, unter vier Augen sieht er das sicher ähnlich.“

      Petra schlaumeierte mit fremden Worten: „Das glaub' ich weniger. Einmal gute Quote heißt nicht zwangsläufig immer gute Quote. Es braucht halt eine Steigerung, damit der Zuschauer dranbleibt.“

      Von der Seite betrachtete Moritz den kläglichen Zopf-Versuch in Petras Nacken. Es fielen mehr Strähnen an den Seiten raus, als das schlichte Gummiband zusammenhielt. Die Haare waren einfach zu kurz — das Zopf-Ende stach wie die Borsten seines Rasierpinsels bockig in die Luft. Seltsam, dass die Praktikantin diese Tatsache bei der Wahl ihrer Frisur einfach ausblendete. Von den Genen mit einem dünnen, hellen Haarschopf bedacht, versuchte Moritz doch auch nicht, einen Afro-Bob zu tragen.

      Sich im Klaren darüber, dass Petra nur eine Floskel von Erik Stopske, dem Produzenten der unsäglichen Doku-Soap Best Beauty, wiederkäute, erachtete Moritz eine Vertiefung der angebrochenen Diskussion zwischen ihnen für sinnlos. Einen großen Löffel des breiigen Kartoffel-Lauch-Topfes in seinen Mund schiebend, kehrte Moritz Petra den Rücken zu und beendete somit mittels deutlicher Körpersprache das unergiebige Küchengespräch.

      Eine gute Stunde später machte sich Moritz auf den Heimweg, obwohl noch genügend Arbeit auf ihn wartete. Die Kollegen im Großraumbüro musterten ihn scheel aus den Augenwinkeln, während er sich bereits kurz nach 17 Uhr seinen Mantel überwarf und ohne viel Aufheben grußlos Richtung Ausgang marschierte. Nur Petra winkte ihm fröhlich hinterher, in dem sie affektiert zweimal langsam die Handfläche auf- und zuklappte. Immerhin … nachtragend zu sein, gehörte demnach nicht zu Petras Eigenschaften.

      Während der Fahrt in der U-Bahn versuchte Moritz an etwas anderes, als an Best Beauty und United Media zu denken, sich abzulenken und nicht gedanklich einzurasten, was ihm beim Durchdenken von Problemen immer häufiger passierte. Zu den einzelnen Gesichtern der bunt zusammengewürfelten Fahrgäste der Linie 5 dachte er sich abenteuerliche Lebensläufe aus.

      Aber als Moritz sich am Bahnhof Frankfurter Tor von seinem Platz erhob und ausstieg, schlüpfte die vertrackte Situation wie auf Knopfdruck wieder in den Vordergrund der moritzschen Hirnwindungen. Er watete durch den Schneematsch, der braun und unappetitlich unter seinen Schuhsohlen hervorschmatzte, die Hände tief in den Taschen seines Dufflecoat vergraben, die Petersburger Straße entlang und achtete nicht auf die eilig vorbeiziehenden Passanten. Die Leuchtbuchstaben von Le Discount drohten mit grellen Neonfarben ALLES BILLIG. Daneben warb ein Solarium mit einer Flatrate von 50 Cent pro Tag.

      All das nahm Moritz, hunderte Male gesehen, nicht mehr wahr. Der Ton seines Handys riss ihn aus den Gedanken. Es war einer dieser vorinstallierten Jingles — zu einer raffinierteren Einstellung hatte sich Moritz bislang noch nicht aufraffen können. Mit klammen Fingern holte er das Telefon aus seiner Manteltasche und nahm das Gespräch an.

      „Hi, Moritz! Du warst vorhin so schnell weg. Simst du mir noch rasch die Kontakte der Kandidatinnen?“

      Gerne. Pass’ mal auf, dass ich dir nicht gleich eine simse — war die Antwort, die Moritz spontan auf der Zunge lag. Stattdessen reagierte er vernünftig, wie es sich für sein Alter gehörte: „Du kannst dir die Namen und Kontaktdaten der Mädchen morgen im Büro bei mir abholen, Petra. Schönen Feierabend.“

      Zuhause angekommen ließ sich Moritz eine Wanne ein, in der Hoffnung, mit einem ausgedehnten Bad seinen aufgewühlten Gemütszustand ein wenig zur Ruhe zu bringen. Der schwache Strahl mit heißem Wasser plätscherte