Juna Herold

Mondgruß


Скачать книгу

Praktischerweise ist unser Männergeschmack so grundverschieden, dass es mir noch nie schwergefallen ist zu gehen, wenn Vera jemanden an Land beziehungsweise ins Bett ziehen wollte.

      Mit keiner ihrer Eroberungen hatte ich danach irgendwelche Tagträume, was man sonst von mir nicht gerade behaupten kann. Manchmal reicht schon ein vertrauter Geruch oder eine winzige Geste irgendeines Mannes und ich kann mich hingeben. Natürlich nur in Gedanken und völlig unsichtbar für alle anderen. Woher sollen die auch wissen, was mein Beckenboden gerade so treibt und mit wem?

      Ja, neutral zu schauen kann man üben, denke ich dann immer und frage mich, wie viele Frauen das wohl außer mir noch so gut können.

      Ich halte mich jedenfalls lieber von Männern fern, weil ich eine Frau bin, bei der das Herz das Sagen hat, ob und wann sie einen Typen näher an sich heranlässt.

      Das sieht Vera ein bisschen anders. Sie sagt, dass wir Menschen zum Spaß haben auf Erden sind und dass sie nicht jedes Mal auf die große Liebe warten kann, wenn sie gerade Sex haben will. Und den braucht sie, weil er sie jung hält, das sagt sie auch. Vera holt sich neue Männer also in der gleichen Menge, wie sie sich neue Handtaschen kauft, und das sind bei ihr nicht gerade wenige. Sex ist für sie nur das, was er ist: nämlich Sex.

      „Mit mir gibt es keinen Streit und keine faulen Kompromisse“, hat sie mir schon erklärt. „Wer das versucht, dem zeige ich, wo die Tür ist, das ist ganz einfach. Ich kann das Leben leben, das sich alle Frauen wünschen.“

      An der Stelle habe ich nur ein einziges Mal zweifelnd meine Augenbrauen gehoben, weil ich da noch dachte, dass es etwas helfen könnte, Vera zu sagen: Du darfst nicht einfach von dir auf andere Frauen schließen.

      „Na gut, die allermeisten Frauen wünschen es sich und beneiden mich darum“, hat sie sich korrigiert. „Und das alles nur, weil sie sich wegen ihrer ganzen prüden Erziehung nicht trauen, so zu leben wie ich. Es ist doch eigentlich ganz einfach, natürlich zu sein.“

      „Ich bin nicht prüde erzogen worden und die Dinge sind ganz bestimmt nicht so einfach, wie du tust“, habe ich gesagt und danach das erste Mal von dem mausgrauen Sofa gehört, das sie seit ihrer Ausbildung zur Raumausstatterin kennt und oft zitiert. Das ist dann, wenn Vera zu mir sagt: „Weißt du, wie du klingst? Wie das Ehepaar von Loriot, das sich endlich nach hundert Jahren das Sofa neu beziehen lassen will, aber in der alten Farbe. Denn eigentlich waren sie ja mit dem Mausgrau ganz zufrieden.“

      Als sie das so zu mir gesagt hat, kam ich mir richtig klein und dumm vor und habe mich gefragt, ob meine Welt nur für mich so bunt aussieht. Ist sie es in Wirklichkeit gar nicht?

      Inzwischen denke ich, dass ich meine Welt auch weiterhin so sehen möchte und das ist dann eben nicht so, wie sie die Welt sieht.

      Ich habe den einen Mann, der für mich bestimmt war, schon getroffen und jetzt ist er tot, ich lebe aber noch und habe nur noch meine Erinnerungen an ihn. Die müssen mir genügen, weil ich keine One-night-stands und schon gar keine Affären mag, die irgendwo auf der anderen Seite ein Lebensglück oder ein Familienidyll zerstören. In Veras Augen bin ich, was das betrifft, schrecklich altmodisch und unaufgeschlossen, aber auch damit muss ich leben. Es geht ja nicht anders, wenn ich mich nicht um hundertachtzig Grad verändern möchte.

      Deswegen sprechen wir das Thema so selten wie möglich an, weil wir uns über Sex und Liebe nie einigen werden. Müssen wir aber auch nicht, wir haben genügend andere Gemeinsamkeiten.

      Mein Handy piept und ich muss gleich nachsehen, ob die SMS nur Werbung ist oder etwas Interessantes. Die Nachricht ist von Vera.

       Süße, ich habe eine überraschung für dich. Darfst dich schon mal darauf freuen. Morgen abend bei mir? Dann gibt es details. Bussi vera

      Als ich Vera bei einer Wohnungsbesichtigung kennenlernte, war sie nur die wahnsinnig gutaussehende, dezent geschminkte und mit einem Kostüm aus der Boutique bekleidete Frau. Sie hat mich ein paar Sekunden lang angeschaut und dann gesagt: „Ich glaube, Sie brauchen diese Wohnung dringender als ich.“

      Ich war ihr damals nicht böse, denn an dem Tag und so kurz nach Thomas‘ Tod habe ich wirklich ziemlich bescheiden ausgesehen.

      Als Vera und ich uns schon etwas besser kannten, habe ich erfahren, dass die Wohnung sowieso nur eine Zwischenlösung für sie gewesen wäre.

      „Die war nichts für mich, nur für den Fall der Fälle. Also wenn sich mein Ex das mit seiner Hütte noch länger überlegt hätte. Aber ich konnte ihn dann doch schnell davon überzeugen, dass er das Ding hier nicht mehr brauchen kann, wenn er sowieso nach Namibia geht. Außerdem war das die billigere Lösung für ihn, mehr wollte ich doch gar nicht herausholen aus dieser Ehe. Den ganzen Rest habe ich ihm überlassen, das war sozusagen meine Spende, so eine Art Entwicklungshilfe, wenn man das so nennen möchte. Nur für ihn leider nicht von der Steuer absetzbar.“

      Ich glaube, an der Stelle wollte sie von mir ein großes Lob für ihre unglaubliche Großzügigkeit hören.

      Stattdessen habe ich gefragt: „Wenn er sich in Namibia seinen Lebenstraum als Arzt verwirklicht hat, hätte er das nicht viel lieber mit dir zusammen gemacht?“

      Ihr Gesicht hat nicht sehr erfreut ausgesehen, das weiß ich noch.

      „So hat sich das bei ihm auch angehört, als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht mitgehe. Aber mal ganz im Vertrauen: Sowas muss er mich ja wohl vor der Hochzeit fragen, oder? Hat doch nicht jeder automatisch Lust auf ein Leben bei den Wilden in der Einöde. Aber zum Glück haben sich unsere Anwälte ganz schnell darauf verständigt, dass das Ganze von Anfang an ein Missverständnis war. Und da hatte ich ja wohl ein Recht auf ein kleines Trostpflaster. Diese zwei Jahre Ehe mit ihm waren schließlich im groben Irrtum, meinst du nicht auch?“, war ihre Frage und ich habe auch darauf in ihren Augen nicht richtig geantwortet, auch wenn ich mir nicht gemerkt habe, was ich damals gesagt habe.

      Seitdem weiß ich allerdings, wie lang Vera ungefähr nicht mehr mit einem spricht, wenn sie einmal richtig schmollt. Aber danach ist sie dann wieder so, als wäre nichts gewesen. Alles vergeben und vergessen.

      Vera durfte also aus ihrer Sicht völlig zurecht den Bungalow ihres dritten Ex-Mannes ihr neues Zuhause nennen, weil der ihn ohnehin nicht mehr brauchte. Daraufhin hat sie ihre andere Geschichte verkauft, weil sie die dadurch wiederum nicht mehr brauchte.

      Für die andere Geschichte, ihr kleines Penthouse, - das Zugewinnstück aus zweiter Ehe, - hat sie schnell einen Abnehmer gefunden, der dafür wahrscheinlich sein ganzes Vermögen auf einmal losgeworden ist. Ich möchte auch gar nicht wissen, wie Vera das wieder geschafft hat. Aber hat sie erreicht, was sie wollte, sagt sie, denn durch diesen Deal machen ihr jetzt endlich auch die niedrigen Guthabenzinsen, die einem die geizigen Banken für das mühsam vom Munde abgesparte und vertrauensvoll bei ihnen deponierte Vermögen bezahlen, nichts mehr aus.

      „Jetzt ist genug Geld da, das für mich arbeitet, jetzt muss ich nicht mehr selber oder wenn, dann nur zum Spaß. Und wenn es mal ganz dick kommen sollte, kann ich immer noch wieder das Haus von einem älteren Ehepaar in neuem Mausgrau herrichten. Das habe ich schließlich mal irgendwann vor Urzeiten gelernt.“

      Vor Urzeiten hört sich immer an, als wäre sie schon dreiundneunzig, dabei hält sie sich nur mit Mitte 30 schon für zu alt für diese Welt und sagt immer öfter Dinge wie: „Wenn ich es selber schon nicht mehr lange bin, dann müssen es wenigstens meine Männer sein. Knackig und zum Fithalten.“

      Die Jungbrunnen, die ihr gefallen, angelt sich Vera, bevor die überhaupt wissen, wie ihnen geschieht. Sie ist so schnell, dass ich auch immer erst gar nicht mitbekomme, dass sich schon wieder etwas anbahnt und das, obwohl ich mit meinen 29 Jahren eigentlich noch schnell genug dafür sein müsste, dass mir solche Dinge in meiner Umgebung nicht entgehen.

      Bei Luc war das auch so. Hätten wir um einen Tisch gesessen, hätte ich anschließend Stein und Bein geschworen, dass Vera eine Meisterin unter dem Tisch gewesen sein musste. Aber es war ein Stehempfang und die Angelpartie hat sozusagen in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Und mit welchem Erfolg!

      Ihr Einsatz lohnt sich aus