Juna Herold

Mondgruß


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weil sie das Kostüm sonst nicht verkaufen darf. Weil andersherum, obenrum größer als untenrum, käme bei den Kundinnen nicht so oft vor, und dass sie in meinem Fall zwar gerne eine Ausnahme machen würde, weil es mir doch so gut stehe, aber dafür hätte sie dann mit der Chefin reden müssen, die aber gerade in der Pause war, und wenn das dann übrigbliebe, damit hätten sie schon ihre Erfahrungen …

      Ich habe mir den Vortrag angehört, mich aber schon währenddessen um die zu kleinen Verkaufszahlen dieser armen Frau und um ihre vielen Kinder, die sie ja von ihrem Gehalt ernähren musste, so große Sorgen gemacht, dass ich mich nicht mehr getraut habe, ohne diesen Einkauf zu gehen. Ich habe also beide Teile in Größe 40 genommen und gehofft, dass weniger Schokoladenriegel und Gummibärchen mir auf dem Weg in dieses Kostüm helfen, bis es wie angegossen passt. Bis jetzt hat das aber nicht funktioniert und es fühlt sich zwar obenrum immer noch an wie für mich gemacht, ist aber untenrum den entscheidenden Tick zu eng. Bei mir ist eben alles ein bisschen barock geworden mit der Zeit und an den Pölsterchen wird sich wohl nichts mehr ändern. Ich habe versucht, mich daran zu gewöhnen. Ehrlich!

      Solche Probleme kennt Vera nicht. Sie ist rank und schlank an der Grenze zur Unterernährung und macht nicht den Eindruck, als müsste sie dafür wochenlang hungern oder sämtliche Diäten ausprobieren. Wenn wir zusammen essen gehen, bestellt sie ganz normale Portionen und schaufelt die in sich hinein. Ansonsten, das betont sie immer, lebt sie gesund: mit vielen Vitaminen, Spurenelementen und ausgiebig Sex mit ihren lebenden Fitnessgeräten.

      „Und für Botox und den netten Schönheitschirurgen, dem schon alle hier in der Straße Dankeskarten aus dem Strandurlaub schicken, ist es noch ein bisschen zu früh, oder?“, fragt sie immer, wenn ihr danach ist.

      Das letzte Wort in diesem Satz schreit dann förmlich nach meinem prüfenden Blick und meiner sofortigen Bestätigung, dass es für solche Dinge nicht nur zu früh, sondern sogar entschieden zu früh ist. Wenn ich das so zu ihr sage, schaut Vera zufrieden und deshalb mache ich das gerne. Schließlich kenne ich wenige Menschen, die ich mit so einfachen Worten so glücklich machen kann.

      Es gibt allerdings im Zusammenhang mit Vera ein ungelöstes Rätsel: Mir ist nicht klar, wie man auf natürlichem Weg und ohne Fettreserven an sonstigen Stellen des Körpers zu einem solch beachtlichen Busen kommen kann, wie Vera ihn vor sich herträgt. Das muss Körbchengröße E sein, weil ich selbst schon D habe, aber bei mir ist das mit der Zeit ganz natürlich gewachsen. Über ihren erstaunlichen Busen werde ich mit ihr trotzdem nie reden, außer sie möchte es mir erzählen. Wenn es ein wohlgehütetes Geheimnis bleiben soll, dann akzeptiere ich das. Ich muss ja nicht alles über sie wissen.

      Was ich allerdings weiß, ist, dass sie im Feinkostladen einkaufen geht, in dem man ihr wahrscheinlich für relativ viel Geld relativ wenige Sachen auf den Tresen legt. Exklusiv ist es aber auf jeden Fall und meistens schmeckt es. Außerdem ist es so viel davon, dass ich satt werde. Bei Vera ist es immer spannend, was es zu essen gibt und so gesehen eine Überraschung. Aber das ist normal und wie immer, das würde sie mir nicht per SMS ankündigen. Ich merke, dass ich ungeduldig werde.

      „Hast du dir schon einen Drink eingeschenkt?“, fragt Vera, als sie wieder aus dem Keller kommt.

      „Noch nicht“, antworte ich.

      „Hier.“ Vera reicht mir eines der sehr hohen, teuren Longdrinkgläser mit einem wundervollen Strohhalm und einer goldenen Palme als Verzierung. „Isotonisch. Können wir gut brauchen für nachher.“

      „Danke.“ Ich trinke den ersten Schluck und schmecke nur Ananas, was sofort eine sehr schöne Erinnerung wachruft. Da gab es einmal eine ganz besondere Nacht mit Tommy …

      „Willst du mir nicht langsam verraten, was deine Überraschung ist?“, frage ich, mehr um mich selbst abzulenken.

      „Eilt doch nicht.“

      „Ach, jetzt nicht mehr?“

      „Wart’s ab. Erstmal gehen wir runter. Den Tag rausschwitzen.“

      Das tun wir dann auch. Drei Runden lang mit Wellnessmusikpausen dazwischen und ohne großes Gequatsche. Eigentlich ist es mir jedes Mal ein Rätsel, wie wir das überhaupt schaffen, aber es geht ja anscheinend.

      Wir sitzen wieder im Wohnzimmer, in Bademäntel gehüllt und im Schneidersitz auf dem sündhaft teuren Ledersofa. Mit den bunt verzierten Canapés in der Hand will Vera offensichtlich immer noch nicht mit der Sprache herausrücken, aber meine Geduld ist am Ende.

      „So, jetzt sind wir entschlackt und beinahe satt und jetzt kommt das Attentat auf mich, oder?“, frage ich ungeduldig

      „Genau, Süße.“ Vera rümpft die Nase und nimmt das kleine Stück Petersilie von ihrem bunten Häppchen, das sie gleich essen wird. „Aber versprich mir bitte, dass du nicht gleich nein sagst.“

      „Mache ich nie.“ Ich habe meine Grundsätze, das weiß sie eigentlich. „Jetzt spuck’s schon aus. Einen Bogen kann man auch überspannen.“

      „Na gut.“ Vera legt ihr Häppchen zurück und holt eine bunt bedruckte Broschüre aus ihrem Designer-Zeitungsständer. „Schau es dir einfach mal an. Bitte!“

      Ich hebe die linke Augenbraue. „Eine Finca? Wo ist denn die?“

      „Dieses wunderbare Domizil ist auf einer noch wunderbareren Insel namens La Palma.“

      „Okay. Also mitten im Meer. Und was macht man da den ganzen Tag?“

      „Man besucht einen Yoga-Workshop, Süße. Also, Luc meinte, dass wir beide richtig schnell lernen und wenn wir so weitermachen, kann er uns schon bald in den Fortschrittskurs nehmen.“

      „Ist der dann statt dem Anfängerkurs oder der zweite Abend in der Woche?“

      „Keine Ahnung, was er noch mit uns vorhat. Aber darum geht’s doch jetzt gar nicht. Also, was sagst du?“

      „Schöne Gegend. Ob ich da unbedingt noch Yoga dazu brauche, weiß ich nicht. Wie sieht denn das Programm aus? Halt, stopp! Das ist ja wohl nicht die erste Frage. Die ist eher: Wie kommen wir da überhaupt hin?“

      Vera beißt sich auf die Unterlippe.

      „Sag jetzt nicht … nein, Vera. Beim besten Willen nicht! Du weißt, dass ich nie mehr in meinem Leben fliegen werde. Nie mehr! Nein. Das ist mein letztes Wort. Ich kann das nicht.“

      „Süße.“

      „Nichts da Süße. Vergiss es! Entweder ich nehme die Fähre oder es geht nicht und das weißt du ganz genau.“ Muss ich meine beste Freundin jetzt wirklich daran erinnern, dass ich meinen über alles geliebten Mann bei einem Flugzeugabsturz verloren habe? Von den hundertfünfzig Menschen an Bord sind damals zehn ums Leben gekommen. Er war bei den zehn dabei und das hat einfach alles zerstört.

      „Nein“, sage ich noch einmal und erkläre ihr mit Nachdruck: „Ich steige in kein Flugzeug. Im nächsten Leben vielleicht wieder.“ Dann schnappe ich mir Veras petersilienfreies Häppchen, um nichts mehr sagen zu müssen.

      „Süße, ich hab unser Horoskop für nächste Woche angeschaut und es sieht verdammt gut aus.“

      „Deines oder meines?“, frage ich mit vollem Mund.

      Vera rollt mit den Augen. „Na, unsere beiden natürlich. Außerdem habe ich diese Finca ausgependelt und ich sage dir: Wir müssen das einfach machen! Besser kann es gar nicht passen. Naja, und dann habe ich mich auch schon mal nach einem frühen Flug erkundigt, damit wir unten nicht so viel sehen und der Pilot dafür die Landebefeuerung ein bisschen besser.“

      Ich verziehe den Mund und trinke einen Schluck Wein. „Scherzkeks.“

      „Also eigentlich habe ich die Plätze schon so gut wie reserviert, weil es der einzige Flug ist, bei dem noch zwei nebeneinander über den Tragflächen frei waren. Und du weißt ja, wie wichtig das ist.“

      „Man kann keine Plätze reservieren, wenn man den Flug noch nicht gebucht hat.“ Halte niemanden für dümmer, als du selber bist, denke ich und spüre eine riesengroße Wut