haben.
Keiner der braven hinten Stehenden, der Ausharrenden, hätte das Herz, den Eindringling zu verjagen, ihn etwa ans Ende zu verweisen. Nein, man nimmt das gelassen hin, vielleicht auch, weil man sich durch das Gespräch der beiden mallorquinischen Freunde bereichert fühlt. Sie, lieber Leser, und wir, wir fühlen uns mangels mallorquinischer Sprachkenntnisse nicht bereichert. Deshalb sind Sie selbstverständlich wie wir empört. Nur zu gut können Sie sich nun unsere deutsche Reaktion vorstellen! Können Sie unseren, wie wir meinen, berechtigten deutschen Zorn ob dieser Schlickefängerei ermessen! Wie wir aufbrausen und lautstark in unserer deutschen Sprache nach Recht und Ordnung rufen, “Hallo. Sie da vorn, stellen Sie sich gefälligst hinten an...... usw. usw.“, um denen hier mal so richtig zu zeigen, wie man sich zu verhalten hat, wie man mit solchen bei uns umzugehen pflegt!
Aber vergessen Sie es:
Erstens würde man unsere deutschen Worte und zweitens unsere Erregung nicht verstehen. Und drittens denken wir daran, was man uns Tag für Tag lehrt: „Tranquilo“, ja, „Tranquilo“ eben. Und so fügen wir uns, und sind ruhig, und nehmen‘s gelassen. Ich glaube, uns bekommt das sogar recht gut.
Marseillaise
Der Königliche Yachtclub gibt sich die Ehre, zu einem Konzertabend einzuladen. Juan José Muñoz wird auf einem 150 Jahre alten „Bösendorfer“ Flügel spielen. Ein Juwel, dieser „Bösendorfer“, den der Club für viel Geld restaurieren ließ.
Juan José Muñoz, muß man ihn kennen? Würde man ihm auf der Straße begegnen, man würde ihn nicht sonderlich beachten. Klein, stark beleibt, eine Halbglatze mit schwarzem Haarkranz, nun, viele sehen so aus in Spanien, sicher auch anderswo. Aber im Smoking, da oben auf einer Bühne im Rampenlicht, da macht er schon etwas her, der Hans Josef - und wenn er spielt, ja, wenn er erst spielt, dann spürt, nein, dann weiß man, hier ist ein Großer, der bestehen kann neben solchen wie Breda Zakötnik, Perlemuter, Alexis Weissenberg, um nur einige zu nennen, die mir gerade so einfallen und die sicher auch Ihnen seit langem ein Begriff sind.
Beifall empfängt ihn, als er trotz seiner Leibesfülle behende die zwei, drei Stufen auf das Podium hinaufeilt, sich verbeugt, dabei die Arme seitlich etwas abgestellt, wie das stark untersetzte Persönlichkeiten ja so gern tun. Er nimmt Platz, reguliert mit einigen, sicheren Handgriffen die Höhe des Klavierstuhls, reibt sich die Hände, knackt mit den Fingern, hörbar - man merkt ihm die innere Spannung an, die auch den Großen vor einem Auftritt beherrscht. Sekunden der Sammlung, den Kopf gesenkt, dann wirft er ihn zurück, entschlossen, als wolle er sich sagen „ Hans -Josef, was sein muß - muß sein. Jetzt!“ Er beginnt mit dem Spiel, mit dem Zyklus „Bilder einer Ausstellung“. Sie werden ihn kennen, den Zyklus. Von Modest Mussorgsky.
Unser virtuoser Muñoz betritt die Ausstellung, festen Schrittes promeniert er, kraftvoll die ersten Akkorde. Die Finger gleiten über die elfenbeinernen Tasten dieses großartigen Instruments, halten vor dem ersten Bild, weiter dann durchschreitet er in wechselnder Stimmung die Ausstellung, betrachtet das „Alte Kastell“, das düster auf dem Berg liegt, die Landschaft beherrschend. Und dann wieder die dem Hörer vertraute Melodie der Promenade, das Intermezzo, das die einzelnen Bilder, so unterschiedlich sie sind, harmonisch verbindet. Ruhiger dann das Spiel bei einem Rundgang durch die Tuilerien, Muñoz versteht es, die Sonne auf den Parkwegen zu spielen, die Schatten, die unter den Bäumen liegen. Er beugt sich vor, voller Spannung. Was mag das nächste Bild einer Ausstellung zeigen? Seine Hände werden leichter, spielerischer beim Tanz der Küken in der Eierschale. Wieder weiter drängt es unseren Meister, so muß man einen wohl nennen, der es grandios vermag, seine Hörer in Bann zu ziehen, sie die Bilder miterleben läßt. Großzügig läßt er uns teilhaben an seinem Weg auf den Marktplatz von Limoges, wie er das Treiben der Marktleute beobachtet, den Kopf nach links werfend, nach rechts. Wie er das Gesehene seinen Fingern mitteilt, die behend über die Tasten eilen. Dann das Bild, das die Katakomben zeigt. Er betrachtet es, ruhig, nachdenklich sein Spiel, ja fast andächtig, voller Ehrfurcht. Aber er geht weiter, die Promenade führt zum letzten Bild, sie steigert sich zu einem pompösen Finale. Energisch schiebt er den kahlen Kopf, den der schwarzen Haarkranz ziert, nach vorn: Man weiß, er hat das Tor von Kiew erreicht, stürmt hindurch, die Lippen bewegen sich, wollen den gefühlvollen Händen den Takt eingeben, schneller, noch schneller - er treibt die Hörer an, reißt sie mit sich. Einem solchen kann man sich anvertrauen! Ja. Sie spüren es, fühlen es: Hier weiß ein Mann, wo er hinwill, hier muß er durch, ja, durch dieses Tor von Kiew.............
Da! Hinter uns ertönt die Marseillaise, laut, vernehmlich, intoniert von einer Blaskapelle im Handy der Firma Nokia oder Siemens oder so ähnlich. Wir spüren, wie der hinter uns rot wird, wie ein Mensch immer kleiner wird. Alle die, die gerade noch durch das Tor von Kiew marschierten, begreifen die Marseillaise jetzt als Signal, die Marsch- bzw. die Blickrichtung zu ändern. Der Unglückliche hinter uns nestelt an seinem Gerät, findet in der dämmernden Dunkelheit des Konzertsaals den richtigen Knopf nicht, flüstert in seiner Verzweiflung mit dem Konzertunterbrecher, wodurch alles noch schlimmer wird.
Was hätten Sie wohl an seiner Stelle getan? Wenn Sie mich fragen würden: Ich hätte mich leise im Schutz der Dunkelheit zurückgezogen, hätte auf das Passieren des Tors von Kiew verzichtet, wohl wissend, daß ich eine Sternstunde versäume. Sie doch sicher auch?
Der aber nicht. Er blieb.
Aber hier, jetzt, zeigt sich die wahre Größe unseres Pianisten. Unverwandt geht er weiter, läßt sich durch keine Hymne, und sei sie noch so französisch, aus der Fassung bringen, läßt sich nicht beirren, sicher, ohne Notenblätter passiert er das Tor von Kiew. Auswendig kennt er seinen Weg. Die Arme hochgeworfen, gestreckt, dann, alle Kraft aufbietend, die Schlußakkorde. Die begnadeten Hände verhalten über den „Bösendorfer“-Tasten, ehe sie ganz langsam herabsinken - ganz langsam, voller Andacht. Stille. Beifall, nicht enden wollend. Juan José Muñoz erhebt sich, tritt vor, dankt dem begeisterten Publikum mit einer langen, artigen Verbeugung und einer Zugabe. Es war nicht die Marseillaise.
Biotin-Malemide
Ein Zettel liegt in unserem Briefkasten. Eine kurze Mitteilung, daß uns am Dienstag, um 14.20 Uhr ein Bote der DHL Worldwide Express ein Paket überbringen wollte. Er fordert uns auf, die Nr. 902122424 anzurufen, um einen neuen Übergabetermin zu vereinbaren.
Ein Paket? Für uns? Ein Paket? Tatsächlich: Ein Paket!
Geben Sie es zu. Sie hätten auch nicht lange gezögert und hätten schnellstens die angegebene Nummer angerufen. Schon aus purer Neugierde. Ein Paket! Für uns!
Die Nummer ist besetzt. Auch beim zweiten Mal: Die Nummer ist besetzt.
Wer nur schickt uns ein Paket? Sicher, möglich wäre das schon .... Da haben wir doch kürzlich – erinnerst du dich? So kurz vor Weihnachten passieren ja die überraschendsten Dinge. Warum sollte uns nicht einer ein Paket schicken? Vielleicht..? Oder vielleicht..? Namen, die sonst längst vergessen, gehen durch den Kopf.
Fragen tauchen auf. Ein großes Paket? Ein kleines nur (was ein bißchen schäbig wäre)? Was mag wohl drin sein? Steht da auf dem Zettel denn nicht irgendetwas? Da muß doch draufstehen, woher es kommt. Sieh doch noch einmal nach, auf dem Zettel. „Die verstehen es, eine vorweihnachtliche Spannung zu provozieren, diese worldwides!“
Die Nummer ist besetzt. Zum dritten Mal.
Da stimmt doch etwas nicht, das kann doch nicht sein. Versuch es noch einmal.
Endlich. Eine automatische Stimme fordert dazu auf, die Taste 1 für Termine oder 2 für Versand oder 3 für Reklamationen zu drücken, na, Sie kennen so etwas ja sicher. Versuchen wir es also mal mit der eins. Richtig, eine freundliche Dame fragt auf spanisch (natürlich, wie sollte sie sonst wohl in Spanien sprechen), also sie fragt nach dem Namen - bitte buchstabieren, nach der Nummer, die auf dem Zettel steht, will wissen, wo wir wohnen auf Mallorca, ob unser