Michael Aulfinger

Sklave und König


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ist ein ewiger Kampf zwischen Gut und Böse, es ähnelt dem Bruderkampf zwischen Ahura Mazda und Angra Mainju. Ahura Mazda betont immer wieder, je weniger sich der Mensch von Angra Mainju verführen lässt, je mehr er sich um gute Taten und ein sündloses Leben bemüht, desto größer wird die Unterstützung von Ahura Mazda sein.

      Wenn jedoch ein Mensch eine Sünde begangen hat, so wird ihm diese von Ahura Mazda nicht vergeben, so sehr der Sünder auch bereut. Ihm allein ist es freigestellt, gute Taten zu vollbringen und so die Zahl der schlechten zu übertrumpfen. Wie auf einer Waage wird am Ende die Seite mit den guten Taten mit der Seite der bösen Taten verglichen. Wenn am Schluss die guten Taten überwiegen, sei es seiner Seele gestattet, in den Himmel aufzusteigen. Dies geschieht am vierten Tag nach dem Tode. Sollte die Seite der bösen Taten überwiegen, so muss er in die Hölle absteigen, wo ihn ein Strafgericht erwartet. Dieses entscheidet aufgrund der Schwere seiner Sünden über das Strafmaß. Seiner Seele kann es also bei nicht so schweren Taten gelingen, nachträglich in den Himmel aufzufahren.«

      Khodary wies mich weiter darauf hin, dass die Hilfsbereitschaft untereinander ausgelebt werde und es keine hungernden Menschen gäbe. Ich sollte bei meinem Gang durch die Stadt doch darauf achten, ob ich Bettler am Straßenrand in ihrem Schlaflager fände. Ich würde keine sehen, versicherte er mir.

      Dadurch wurden die Zartoshti ein recht wohlhabendes Volk. Sie bilden eine in sich geschlossene Gemeinschaft, die sich gemeinsam gegen alle Angriffe wehrt. Der Prophet verlange ein vorbildliches Familienleben und gute Erziehung der Kinder.

      »Wie wird man denn Priester oder soll ich Magier sagen?«

      Khodary schmunzelte.

      »Das ist ganz einfach, da die Priesterwürde erblich ist. Niemand kann diese Pflichten übernehmen, ohne hierfür geboren zu sein. Doch jetzt muss ich gehen. Es hat mich gefreut, dich gesehen zu haben.«

      Khodary verabschiedete sich. PouroUista und ich standen auf und gingen durch die Stadt. Sie zeigte mir verschiedene Gassen und Straßen. Natürlich konnte ich nicht umhin, nach Bettlern Ausschau zu halten. Doch meine Suche war vergebens. Ich fand keine. Tafresh war eine saubere Stadt. Zudem fiel mir noch etwas auf: Es waren glückliche Menschen. Wir gingen an vielen Häusern vorbei, aus denen Gelächter und Freude zu vernehmen war. Das Lachen trugen die Menschen hier immer mit sich herum. Die Zartoshtis waren beneidenswert ihres Glückes wegen. Es hatte den Anschein, als wenn sie ihr Glück gefunden hatten, weil sie es verstanden, sich auch über die kleinen Dinge des Lebens zu freuen. Und dieses Glück, welches jeder versprühte, steckte den Nächsten in seiner Umgebung an. Wie ein Lauffeuer verbreitete es sich.

      Unser Weg führte uns schließlich zu einem Gebäude, das für mich der traurigste Ort von ganz Tafresh werden sollte. Mit meiner Hand zeigte ich auf diesen Turm und richtete gleichzeitig das Wort an PouroUista.

      »Sieh mal dort. Als ich in dieser Stadt ankam, ist mir dieser Turm schon aufgefallen. Damals ließen sich viele Geier nieder. Auch jetzt schweben wieder Geier über dem Turm. Weißt du, was sie da wollen?«

      »Das, was du da siehst, lieber Luskin, ist der Turm des Schweigens. Dort werden unsere Toten bestattet oder besser gesagt, sie werden von den Geiern aufgefressen, statt sie ...«

      »Wie bitte? Das kann doch nicht euer Ernst sein, sie von Geiern wie einen Tierkadaver auffressen zu lassen? Warum macht ihr so etwas?«

      PouroUista war über meinen Ekel nicht verwundert. In einem ruhigen Ton versuchte sie mir, dieses Ritual zu erklären.

      »Ich bin kein Priester. Khodary hätte dir das sicherlich besser erklären können. Wie du schon gehört hast, gibt es Gutes und Böses, aber auch Reines und Unreines.

      Es bleiben nur die kahlen Schädel und die blanken, abgenagten Knochen übrig. Die Knochen trocknen dann in der prallen Sonne. Diese werden dann gelegentlich bei einer der folgenden Bestattung von den Leichenträgern mit Strohbesen in eine tiefe viereckige Öffnung gefegt, die sich in der Mitte des Bestattungsplatzes befindet. Dort pulverisieren sich im Lauf der Jahre die Knochen. Der Beruf des Leichenträgers wird übrigens auch vererbt. Dieser Turm des Schweigens wird auch Dakhmè genannt.«

      Sprachlos hatte ich ihre Worte vernommen, aber irgendwie konnte ich es nicht glauben. Da fielen mir wieder die Worte des Gerbers ein: Ihr habt doch sicherlich die Geier gesehen. Nun verstand ich die Bedeutung seiner Worte.

      Dieses barbarische Ritual passte meiner Ansicht nach nicht zu den sonst so fröhlichen Menschen, die immer darauf aus waren, ihre Waagschale für ein Leben nach dem Tod mit guten Taten zu befüllen. Aber was blieb mir anderes übrig, als dieses alteingesessene Bestattungsritual zu akzeptieren. Diese Sitte hatte sich in vielen Jahrhunderten herausgebildet und es lag nicht an mir, mein Urteil darüber zu fällen. Nach ihrer Meinung taten sie das Richtige, was ich respektierte.

      Kein Wort sprach ich, als ich langsam auf den Turm zuging und ihn mir näher betrachtete. Der Turm war kreisrund und hatte einen Durchmesser von ungefähr vierzig Ellen. Die kalkgetünchten Ziegelsteinmauern waren etwa zwölf Ellen hoch. Eigentlich war die Bezeichnung Turm nicht passend, sondern zu hochtrabend, weil es sich nur um eine hohe Ringmauer um den Platz für das Auslegen der Toten handelte.

      Vor der Pforte stand noch ein quadratisches, völlig kahles Totenhaus, worin die Verstorbenen die letzten religiösen Riten erhielten. Nur die Leichenträger durften den inneren Platz des Turmes des Schweigens betreten, wenn sie die Leichen einfach auf den Boden legten.

      Als ich da stand, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Zehn Geier erhoben sich unter lautem Gekrächze mit vollem Bauch aus dem inneren des Turms. Langsam war ihr Flug, der in Richtung Berge ging. Ich blickte ihnen nach, bis sie meinen Augen entschwunden waren. Wenn sie wieder Hunger hatten, würden sie wiederkommen, schoss es mir durch den Kopf, denn die Tiere wussten inzwischen, wo es immer reichlich Nahrung für sie gab.

      Ich drehte mich um und ging schweigsam neben PouroUista in die Stadt zurück. Sie akzeptierte meine Betroffenheit. Es dauerte eine Weile, bis wir wieder ungezwungen lachen konnten. Dennoch wurde es ein schöner Tag, an dessen Ende ich sie zu ihrem Onkel begleitete.

      So lernte ich schließlich ihren Onkel Bashtony und dessen Familie kennen. Seine Frau war schweigsam. Ebenso Bashtonys beide Söhne. Eine Tochter hatte er auch noch, die mit ihren achtzehn Jahren aber schon lange verheiratet war und woanders lebte.

      Bashtony selbst war ein herzensguter Mann, der sich selbst gern reden hörte. Oft war ich in den nächsten Wochen bei ihm zu Besuch, wobei ich immer gastfreundlich aufgenommen und zu den Mahlzeiten eingeladen wurde.

      In dieser Zeit wurde mein Verhältnis zu PouroUista ein ganz besonderes. Wir kamen uns nie näher, als die Hände ineinander verschlungen zu halten. Ich hielt mich an die zarathustrischen Sitten, dass vor der körperlichen Vereinigung die Ehe geschlossen werden musste. Auch PouroUista hütete ihre Keuschheit, denn sie wollte nach der Sitte als Jungfrau vermählt werden. So unterdrückten wir unsere Begierde, welche natürlich ab und zu aufflackerte. Wir beide spürten inzwischen unsere Liebe im Herzen. Jedes Mal, wenn wir uns sahen, war das pochende Herz des anderen zu spüren. Dadurch entstand in mir der Wunsch, PouroUista für immer in meiner Nähe zu haben. Die Idee der Heirat war geboren. Zuerst war dieser Gedanke eine zarte Pflanze, die in den darauffolgenden Wochen zu einem starken kräftigen Baum herangewachsen war. Der Wunsch, meine Liebe zu heiraten, wurde immens stark, bis ich mir vorgenommen hatte, um meine Braut zu werben und ihr einen Antrag zu machen, beziehungsweise den anwesenden Onkel um die Hand der Nichte zu bitten.

      Doch, um ihr ein würdiges Heim bieten zu können, war Geld vonnöten. Jeden kleinsten Taler meines Lohnes sparte ich für diesen Zweck auf.

      In unserer freien Zeit liefen wir zusammen herum. Sie zeigte mir das gesamte Tal, in dem Tafresh lag. Inzwischen kannte ich jede Straße der Stadt. Wir machten harmlose Streiche und gebärdeten uns wie kleine Kinder. Jauchzend liefen wir davon, wenn uns ein Streich gelungen war und der wütende Mann erbost die Faust hinter uns herschwang. Wir hüpften lachend über die kleinen Mauern und lagen nebeneinander im Gras die Gesichter zum Himmel gewandt. So verfolgten wir die schneeweißen Wolken bei ihrer Wanderung am Himmel. Anschließend gaben wir uns unseren Träumen hin und machten gemeinsame Pläne. Wir ritten vergnügt