Michael Aulfinger

Sklave und König


Скачать книгу

aus der Umgebung teilten uns mit, dass wir uns der Bergstadt Aqa Zeyarat näherten. Nördlich dieses am Fuße des schwarzen Berges gelegen Ortes, sollte sich ein anderes Dorf namens Salimabad befinden. Die Felsen nahmen eine satte braune Farbe an. Wir umgingen Salimabad und hielten uns nordöstlich. Der Weg wurde nun immer beschwerlicher, obwohl sich kein richtiges Gebirge vor uns auftat. Aber das Gebirge, in dem sich Tafresh befinden sollte, zeichnete sich schon in einem satten schwärzlichen Ton ab. Doch es schien, als wenn unsere Reise noch ewig dauern würde. Die braunen Felsen, die uns den Weg versperrten, ließen unser Reisetempo zu einem Kriechen werden. An Reiten war gar nicht mehr zu denken. Die Verletzungsgefahr für das Pferd war zu groß. So dauerte es weitere Tage, bis wir am Fuße dieses schwarzen Gebirges ankamen.

      Doch wenn wir gedacht hatten, dass es leichter werden würde, so hatten wir uns getäuscht. Vereinzelt erkannten wir Pfade, auf denen Esel ihre Exkremente hinterlassen hatten. Für andere Tiere, wie unser Pferd, waren diese Pfade gänzlich ungeeignet. Dennoch mussten wir dort durch. Uns blieb keine andere Wahl. Wenn wir erst drüben wären. Dann …

      Das Gefühl, sich in Sicherheit zu wiegen, stieg enorm an.

      Gespräche mit Target gab es nicht viele. Er verhielt sich immer schweigsamer, je weiter wir vorankamen und ich akzeptierte sein Schweigen. Es gab Tage, da sprach er nicht einmal fünf Worte. Ich führte seine Stille auf den Umstand zurück, dass er nicht darüber hinwegkam, dass ein Mensch – und sogar noch sein Herr – durch seine Hand zu Tode kam. Das war für einen ehemals pflichtbewussten Sklaven, der sein ganzes Leben nie etwas anderes als Sklave gewesen war, schwerlich zu ertragen. Es nahm ihn sehr mit und beschwerte sein Gewissen. Mir selbst waren die Hände gebunden, ihm moralische Unterstützung zu geben, da ich nicht die richtigen Worte fand. So trottete er stets hinter mir her, nur noch ein Schatten seiner selbst. Sein Lebensmut schien wie Wasser in der prallen Sonne zu verdunsten.

      Es dauerte weitere zwei Tage, bis wir endlich unser Ziel erreicht hatten. Genau zur richtigen Zeit, denn unsere Vorräte waren aufgebraucht. Tafresh war beeindruckend, als ich es erblickte. Allerdings muss ich einräumen, dass es sich überhaupt um die erste Stadt handelte, die ich je in meinem Leben betrat.

      Mich wunderte es nicht, dass die Anhänger des Zarathustra diesen Ort als ihren sicheren Zufluchtsort ausgewählt hatten. Feinde, die diese Religion ausmerzen wollten, mussten erst die beschwerlichen Schluchten entlang und über die fast unpassierbaren Pfade hinübergehen, bis sie oben auf dem Bergrücken angelangt waren. Viele Möglichkeiten eines Hinterhaltes der Tafresher ließen eine Verteidigung leicht erscheinen. Mit wenigen Männern konnte ein ganzes Heer aufgehalten werden.

      War man erst einmal oben angelangt, breitete sich die ganze Schönheit der Natur vor einem aus. Man stelle sich einen Kessel vor. Ringsherum erhoben sich am Rand die schwarzen Berge, als wären sie die Wächter. Von da glitten die Hänge sanft ins Tal hinab. Die Farben änderten sich von oben schwarz zu Dunkelbraun in der Mitte. Weiter unten wurde dieses Tal grün und ernährte ihre Einwohner in reicher Vielfalt. Am Rande des Ortes, bis weit an den Hängen hinauf, führten die Felder Getreide. Ich konnte saftig grüne Wiesen mit Viehherden verschiedener Tierarten entdecken. Große Rinder- und Pferdeherden konnte ich ausmachen, die an den Hängen grasten. Frisches Wasser sah ich an verschiedenen Stellen aus dem Berg in Bächen hervorquellen. Wir stiegen hinab und waren von Tafresh sofort begeistert.

      Für Target war es ebenso die erste große Stadt, die er in seinem Leben betrat. Sie verfehlte ihre Wirkung auf uns beiden nicht. Kinder spielten lachend auf den staubigen Straßen. Fuhrwerke wurden von starken Ochsen oder Gäulen gezogen. Kaufleute und Händler gingen ihrem Lebensunterhalt nach.

      Niemand trat auf uns zu und schimpfte uns Sklaven. Niemand verlangte von uns, uns auszuweisen und Rechenschaft über unsere Herkunft abzugeben. Dies gefiel mir. Ich fühlte mich gleich heimisch und glaubte, dass dies ein Ort sein könnte, an dem ich glücklich zu sein vermochte. Dies hoffte ich zumindest.

      Nur ein Anblick verwunderte mich. Am Rande der Stadt erblickte ich einen Turm. Dies wäre an sich nichts Besonderes, wenn mir nicht ein Schwarm Geier aufgefallen wäre, der erst abwartend über dem Turm kreiste, um dann im kollektiven Sturzflug, wie auf ein geheimes Zeichen hin, auf dem Turm zu landen. Die Geier waren aus meinem Blickfeld verschwunden, so dass ich den Grund ihres Tuns nicht erkennen konnte. Sie blieben auch weiterhin meinem Blick entzogen, so dass ich kopfschüttelnd weiterging und dieses Rätsel für den Moment ungelöst blieb.

      Unsere Vorräte waren zu Ende, doch noch hungerten wir nicht. Dennoch war es unerlässlich, baldigst für Nachschub zu sorgen. Dafür brauchten wir Silberstücke. Also war unser erstes Bestreben, so schnell wie möglich Arbeit zu finden, damit unsere weitere Reise gesichert war. Auf dem Marktplatz fragten wir nach Arbeit. Die Männer, die wir fragten, waren zwar alle nett und freundlich, doch konnten wir uns dafür nichts kaufen. Alle verneinten kopfschüttelnd. Wir gaben jedoch nicht auf und klapperten alle Läden und Handwerker ab. Die Zartoshti – wie sich die Anhänger Zarathustras selber nennen – waren ein fröhliches Volk. Sie lachten viel und waren immer wohl gelaunt. Dies machte sie mir sympathisch. Doch an unserem Umstand änderte es recht wenig.

      Der Tag ging allmählich zur Neige und wir hatten immer noch keine Bleibe gefunden, als wir in ein Gebäude traten, welches eine Gerberei beherbergte. Zuerst kam uns der eindringliche, aber angenehme frische Geruch von Leder entgegen. Ein untersetzter Mann kam auf uns zu und rieb sich die Hände, während er fragte, was wir wünschten. Er witterte wohl ein Geschäft. Ich entgegnete ihm, dass wir auf der Suche nach Arbeit waren. Target verhielt sich wie immer still im Hintergrund und überließ mir das Reden.

      »Kommt mit. Mein Herr befindet sich im Hof.«

      Wir folgten dem dicken Mann und traten in den Hof. Angewidert drehte ich meinen Kopf gleich zur Seite, doch half es nichts. Der Gestank drang in meine Nase. Hier im Hof war ein anderer Geruch vorherrschend. In einer Grube liefen drei, bis auf einen Lendenschurz bekleidete Männer herum, die in einer Flüssigkeit herumwateten und Tierfelle weich traten. Die Flüssigkeit bestand hauptsächlich aus abgestandenem Urin, aus welchem sich Ammoniak gebildet hatte. Daher der stechende Geruch.

      Der Besitzer der Gerberei trat auf uns zu.

      »Ihr sucht Arbeit? Ich könnte noch ein paar kräftige Männer gebrauchen.« Er zeigte lächelnd mit einer Handbewegung auf die Grube, in der sich die drei Männer immer noch gleichmäßig stampfend bewegten. Dies taten sie den ganzen Tag. Woche für Woche. Den Gestank wurden sie wohl nie wieder los. Waschen war nutzlos. Wie sollte sich jemals eine Frau für sie interessieren?

      »Nein, danke. Nach dieser Arbeit sehne ich mich nicht. Aber sagt, Herr, habt ihr eine andere Arbeit für uns, oder wisst ihr jemanden, der uns gebrauchen könnte?«

      Aufgrund meiner raschen Ablehnung lachte der Besitzer zunächst. Aber dann umfasste er mit seiner rechten Hand seinen Bart, den er zu massieren schien. Das war seine Art nachzudenken.

      »Eine andere Arbeit kann ich euch nicht anbieten. Aber mir fällt gerade ein, dass ein Lieferant von mir jemanden sucht. Sagt, könnt ihr hirten?«

      Target und ich sahen uns an und nickten gemeinsam.

      »Ja, das können wir. Um was für Tiere handelt es sich denn?«

      »Wie ich schon sagte, hat ein Lieferant von mir große Herden. Es handelt sich dabei um Schafe. In der Grube, befinden sich auch Schafsfelle, die ich von ihm bezogen habe. Aber ich will jetzt nicht abweichen. Dem Schafzüchter ist nämlich vor wenigen Tagen sein Hirte unerwartet gestorben. Er fasste sich plötzlich an die Brust und fiel einfach um. Ein schneller Tod. Jedenfalls hat er nicht lange leiden müssen. Ihr habt doch sicherlich die Geier gesehen?«

      Mich wunderte zwar, was die Geier mit dem Tod des Hirten zu tun haben sollten, doch fragte ich nicht nach. Es war für mich wichtiger, dass wir Arbeit fanden.

      Der Gerber nannte uns den Namen des Schafzüchters. Er zeigte uns die Richtung an, in die wir gehen sollten. Noch im Tageslicht erreichten wir eine große Schafsherde, die am Stadtrand graste. Dennoch befand sie sich einen Farsach von den Häusern entfernt. Wir steuerten direkt auf den Hirten zu.

      »Wir suchen den Schafzüchter Paudashti? Kannst du mir sagen, wo wir ihn finden?«