Michael Aulfinger

Sklave und König


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später ihre rechte Hand betrachtete, erkannte ich, dass sie durch diese ständige Tätigkeit in der Hitze ganz runzelig geworden war.

      So erhielten wir frisches Brot gebacken, welches wir uns gierig einverleibten. Dazu servierten sie uns Früchte und andere Erzeugnisse, die in ihrer Oase gediehen.

      Nun waren wir an der Reihe, uns dem Gastgeber vorzustellen. Ich hatte ein ungutes Gefühl dabei, ihn zu belügen, da er uns mit Essen versorgt hatte, doch widerstrebte es mir ebenso, uns ihm als Mörder und entflohene Sklaven zu offenbaren. Das Wort führte ich, weil Target wieder in seine stumpfe Schweigsamkeit verfallen war.

      »Mirza Mithrakas,« begann ich. Ich sprach ihn mit der allgemeinen persischen Bezeichnung Mirza für Herr an. Damit wollte ich ihn gütlich stimmen.

      »Dies ist mein Onkel Target und ich bin Luskin. Ich stamme aus Ekbatana und wir waren auf dem Weg nach Raga, wo ich auf Brautschau bin. Doch leider wurden wir unterwegs von Räubern überfallen. Sie raubten uns alles, was wir dabei hatten. Ein Pferd ließen sie uns. Wir konnten froh sein, dass sie uns das Leben schenkten. Mirza Mithrakas, wir sind dir jedenfalls sehr dankbar, dass du uns zu essen und trinken gabst. Wir wollen nicht undankbar sein, aber wir müssen bald weiter, da wir in Raga erwartet werden.«

      Mein Blick wanderte zu Mithrakas Augen. Ich war mir unsicher, ob er mir meine Lügengeschichte abgenommen hatte. Sie klang zwar plausibel und er selbst hatte ja von Räubervolk gesprochen, doch war ich ungeübt im Lügen. Lügen ist nämlich bei den persischen Völkern verhasst. Über die Wirkung meiner Geschichte war ich mir daher unsicher.

      Unbewusst fasste ich an mein Ohrläppchen. Doch fühlte ich zu meiner Beruhigung keine Kerbe darin. Denn mein Vater hatte mir oft als Kind davon erzählt, dass es in Assyrien Sitte war, den Sklaven eine Kerbe in das Ohrläppchen zu schneiden, als untrügliches Zeichen des Eigentums. Natürlich hatten trotzdem einige eitle Sklaven, freigelassene oder einfach entflohene Sklaven, es verstanden, diese Kerbe mit Wachs zu kaschieren.

      Aber so eine Kerbe oder ein anderes äußeres Zeichen wie ein Brandmal, trug ich genauso wenig wie Target. Merep hatte nie wert auf diese äußeren Zeichen des Besitzanspruches gelegt, weil ihm nie ein Sklave entlaufen war. Es war einfach nicht nötig gewesen.

      Trotzdem war es möglich, dass Mithrakas uns als entflohene Sklaven erkannt hatte. Es trieb mich, so schnell wie möglich diesen Ort zu verlassen, denn ich schämte mich innerlich, Leute zu belügen, die uns zu essen gegeben hatten. Mein schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort. Außerdem bestand auch die Möglichkeit, dass Daiaukas Häscher uns hier aufgriffen, und wir unsere Gastgeber somit in Lebensgefahr brachten.

      Mithrakas sah mich leicht lächelnd an. Es war mir unmöglich zu ergründen, ob er mich durchschaut hatte.

      »Wie du willst, doch könnt ihr die Nacht noch hier verbringen. Es ist hier sicherer als in den Bergen. Nicht dass ihr nochmal von Räubern überfallen werdet. Wir selbst haben hier nichts außer Wasser, was den Räuberbanden von irgendwelchen Wert sein könnte. Doch weiß man bei denen nie. Deshalb waren wir vorhin auch so vorsichtig.

      Ihr werdet auf euren Weg nach Raga durch ein hohes Gebirge kommen. Dort liegt die Stadt Tafresh, die wie eine Festung durch ihre Lage daliegt. Die Anhänger Zarathustras leben dort. Dort könnt ihr noch bekommen, was ihr für eure weitere Reise nach Raga benötigt. Ich werde euch noch Brot, Obst und Wasser für den beschwerlichen Weg dorthin mitgeben. Mehr kann ich nicht für euch tun.«

      »Du hast schon genug für uns getan. Aber eins verstehe ich nicht? Du sprachst eben von den Anhängern eines gewissen Zarathustra. Ich bin ja noch jung und in einigen Sachen sicherlich unerfahren, aber von diesem Mann habe ich noch nie gehört. Wer ist denn dieser Zarathustra?«

      »Ach, weißt du, Luskin, ich selbst bin ein einfacher Mann und habe meine persischen Götter, mit denen ich aufgewachsen bin und an die ich glaube. Dieser Zarathustra, von dem ich sprach, ist ein Prophet. Er behauptet, dass sein erster Gott Ahura Mazda, welches ‚weiser Herr’ bedeutet, ihm erschienen sei und zu ihm gesprochen habe. Ahura Mazda ist der Schöpfer der Erde und ein guter Gott. Sein böser Widersacher ist Angra Mainju und in der Finsternis des Nordens zu Hause, dort wo die Dämonen leben. Aber er besitzt die Eigenschaft, seine äußere Erscheinung zu ändern. In der Gestalt einer Eidechse, einer Schlange oder eines Jünglings bekämpft er alles, was gut ist, und versucht alle, sogar Zarathustra selbst, in sein Reich der Dunkelheit, der Täuschung und der Lüge zu locken.«

      »Ach«, wandte ich ein, als Mithrakas eine Pause machte. »Das ist mir neu. Erzähle mir mehr von dieser Religion.«

      Target hatte aufmerksam zugehört und wartete wie ich gespannt darauf, mehr von dieser unbekannten Gottheit zu erfahren, doch wurden wir enttäuscht. Mithrakas zuckte nur mit der Schulter.

      »Tut mir leid, aber mehr kann ich auch nicht dazu sagen. Ich bin nur ein einfacher Bauer. Wenn ihr mehr wissen wollt, müsst ihr die Magier fragen. So nennen sich seine Priester. Ihr findet sie in Tafresh, wenn ihr auf dem Weg nach Raga dort durchkommt. Ihr müsst euch genau nach Osten halten, dann kommt ihr nach wenigen Tagesmärschen in ein hohes Gebirge.«

      Wir blieben noch die eine Nacht, denn die Befürchtung von Daiaukas Häschern erwischt zu werden, schwand zusehends unter dem Einfluss des Weins. Wir tranken am Abend den Wein, den Mithrakas selbst angebaut und gekeltert hatte. Seine Söhne leisteten uns dabei Gesellschaft. Es wurde zusehends lustiger und viel gelacht und es zeigte sich, dass wir in einer herzlichen Familie gelandet waren.

      Am nächsten Morgen, noch bei den ersten Sonnenstrahlen, bedankten wir uns für die erwiesene Gastfreundschaft und machten uns auf den Weg. Die prall gefüllten Wasserschläuche und die Esswaren, hatten wir an dem Pferd festgemacht. Wir gingen zu Fuß und führten das Pferd in der Mitte. Bis Tafresh würden wir keinen Hunger und keinen Durst leiden.

      Als wir nun den Fuß des Gebirges verlassen hatten, erstreckte sich anfangs noch spärlicher Grasbewuchs vor uns. Weit am Horizont erkannte ich eine mächtige Gebirgskette, die so unwirklich weit entfernt erschien. Darum machte ich mir jedoch noch keine Gedanken. Erst einmal lag es an uns, dieses vor uns liegende riesige Tal zu durchqueren.

      Wir schritten weiter voran. Nach einigen Farsach jedoch endete die Vegetation abrupt. Dahinter erschloss sich heller Sand in einer Breite von ungefähr zwei Farsach. Dieser Sand lag tiefer und war einmal das Bett eines ausgetrockneten Flusses gewesen. Die Beschaffenheit des ehemaligen Flussbettes war jedoch als unregelmäßig zu bezeichnen. Dies erkannte ich, je näher wir kamen. Als wir die Mulde und den dort vorherrschenden Sand durchschritten hatten, wurde der Boden wieder grüner. Wir erkannten dort eine Anzahl von Lehmhütten. Mithrakas hatte uns schon vorher darauf hingewiesen, dass wir durch den Ort Mejalerd kommen würden. Wir umgingen das Dorf aber in ausreichender Entfernung. Zu groß war die Angst, als Sklaven erkannt und festgehalten zu werden. So wenig Menschen wie möglich sollten uns zu Gesicht bekommen.

      Das Grün, welches nun folgte, war nur von kurzer Dauer. Dahinter erstreckte sich bis zu dem Gebirge, wo Tafresh liegen sollte, nur unfruchtbarer Boden in Form von Sand, Gestein und Geröll, eingebettet in einem sandfarbenen Einheitston. Allmählich hob sich der Boden. Wir gingen immer mehr bergauf.

      Am zweiten Tag unserer Reise, seit wir Mithrakas Bauernhof verlassen hatten, wurde die Gegend immer undurchsichtiger. Immer mehr hohe Berge, die trostlos und unbesteigbarer erschienen, türmten sich vor uns auf. Sie drängten uns südlich ab, wo wir auch einen Pfad fanden. Die Farbe der Felsen änderte sich. Von einem hellen Braun bis hin zu Schwarz türmten sich die immer höher werdenden Schluchten vor uns auf. Wenn wir aus einer Schlucht traten und uns anhand des Sonnenstandes den weiteren Weg suchen wollten, starrten wir auf den wolkenlosen Himmel. In dieser Verfassung der Orientierungslosigkeit war es nicht verwunderlich, als wir plötzlich von anderen Reisenden überrascht wurden. Ich hatte ja schon erwähnt, dass wir uns auf einem Pfad befanden. Selbstverständlich mussten wir immer mit reisenden Menschen rechnen, denen gänzlich auszuweichen, war schwer. So versuchten wir, aus dieser Not eiligst herauszukommen, indem wir zwar freundlich grüßten, uns aber nicht auf lange Gespräche einließen. Einige Reisende, die sich nach Gesellschaft und einer zwanglosen Plauderei gesehnt hatten, sahen leicht verärgert hinter uns her, weil wir kurz angebunden waren und uns auf kein Gerede einließen.