Michael Aulfinger

Sklave und König


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Bewegung wahr. Segetan wurde mit einem großen Gegenstand am Kopf getroffen, wodurch er sogleich in seiner Bewegung erstarrte und aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Mit starrem Blick rollte er von mir herunter. Sein Dolch folgte dieser Bewegung, fiel aus seiner Hand in den Staub.

      Es vergingen einige Sekunden, bis ich begriffen hatte, was geschehen war. Mein Blick richtete sich auf Segetan, der bewegungslos dalag. Vor seinen Fingern lag der Dolch. Doch plötzlich bewegten sich seine Finger. Sein Arm streckte sich und gleich darauf hatte er den Dolch erneut in der Hand.

      Obwohl ich immer noch diesen lähmenden Schmerz im Schritt verspürte, versuchte ich sofort mich zu wenden, um ebenfalls in den Besitz des Dolches zu gelangen, doch ich kam zu spät.

      Als ich wenige Sekunden später den Dolch erneut auf mich zukommen sah, prallte ein weiterer Gegenstand mit einer solchen Wucht auf Segetans Schädel, dass ich den Knochen zerbersten hörte. Augenblicklich wusste ich, dass ich gerettet war und mir von Segetan nie wieder eine Gefahr drohte. Er hatte seine Überheblichkeit mit dem Leben bezahlt.

      Target hatte mir das Leben gerettet. Zuerst hatte der alte Sklave gebannt den wälzenden Kampf verfolgt, doch als er gesehen hatte, wie die Klinge des Dolches mir das Leben aushauchen sollte, hatte er ohne viel Überlegung einen großen Stein ergriffen und ihn auf Segetans Kopf geschmettert. Doch dieser erste Schlag hatte ihn nur kurzzeitig außer Gefecht gesetzt. Als Segetan erneut angriff, reagierte Target sofort. Diesmal war sein Schlag effektvoller, denn er ließ den großen Stein aus seinen beiden Händen gezielt mit großer Wucht auf den Schädel herniedersausen. Das Knacken der Schädeldecke hatte ich ja deutlich vernommen.

      Target hatte mir damit das Leben gerettet und uns beide aus dieser tyrannischen Sklaverei befreit. Vorerst jedenfalls, denn der Mord am Sohn unseres Herrn, Gebieters und Eigentümers sollte uns vor neue, fast unlösbare Probleme stellen.

      Nachdem meine lähmenden Schmerzen langsam meinen Körper verließen, stand ich auf und bedankte mich bei Target für seine Rettung. Was er für mich getan hatte, war nicht selbstverständlich. Für ihn hätte es die lohnende Alternative gegeben, Segetan zur Seite zu stehen. Dies hätte ihm Ansehen bei seinem Herrn und sicherlich auch eine große Belohnung eingebracht. Sein Leben wäre in Zukunft sicherlich angenehmer verlaufen. Aber aus Freundschaft zu mir hatte er sich anders entschieden. Dies war mein Glück. Das werde ich ihm nie vergessen.

      Nachdem ich ihm mit einer Umarmung gedankt hatte, kehrte die Nüchternheit in unsere Gedanken zurück. Was sollte jetzt geschehen? Ratlos sahen wir uns an.

      »Wir müssen ihn verschwinden lassen,« schlug Target vor.

      »Sicherlich. Am besten ist es, wenn wir ihn vergraben. Dann flüchten wir. Wir haben ja jetzt ein Pferd, das uns in der Dunkelheit weit bringen kann. Daiaukas und seine Männer werden sich morgen auf die Suche nach Segetan und seinem Pferd begeben. Doch sie werden beides nicht finden. Segetan bleibt vergraben und das Pferd hat uns schon lange aus dem Tal in die Freiheit und Sicherheit jenseits der Berge gebracht.«

      Meine Augen funkelten vor Freude angesichts der rosigen Zukunft, die sich mir eröffnete. Mir erschien die Lösung meiner Probleme so einfach. Doch dem war nicht so. Target hatte andere Pläne.

      »Du musst alleine reiten, Luskin. Ich komme nicht mit.« Leise klangen seine Worte. Die Unsicherheit war nicht zu überhören.

      »Aber warum denn nicht?«

      »Weil mir nichts passieren wird. Ich werde sagen, wie sich alles zugetragen hat und dass es Segetans Schuld war. Er hat dich gereizt, so dass du in deinem jugendlichen Leichtsinn nicht anders handeln konntest. Sein Tod ist aus Notwehr geschehen. Sorge dich nicht um mich. Mir wird schon nichts geschehen.«

      Target war so eine treue Seele. Er war nie aus dem Tal herausgekommen und wusste nichts von der wirklichen Welt dahinter. Ich war ebenfalls noch nie aus dem Tal herausgekommen, doch spürte ich instinktiv, dass Target einem naiven Irrtum aufsaß.

      »Das glaubst du doch selbst nicht. Du wärst sofort des Todes. Daiaukas ist es bestimmt völlig egal, wer die Schuld am Tod seines Sohnes trägt. Ob du ihn getötet hast, ob ich es tat oder es in Notwehr geschah. Das ist ihm egal. Sein Sohn ist tot, das ist das Entscheidende. Jemand wird dafür büßen müssen. Und wenn du dich ihm selbst auslieferst, wirst du den nächsten Morgen nicht erleben. Er wird für deinen qualvollen Tod sorgen. Da wird dir deine Ehrlichkeit wenig nützen. Target, mach keinen Fehler und komme mit mir. Nur so kannst du den morgigen Tag überleben.«

      Spürbar war seine Verunsicherung, die meine Worte verursacht hatten.

      »Meinst du wirklich?«

      »Da bin ich mir ganz sicher. Wir haben nur eine Chance zu überleben, wenn wir augenblicklich flüchten. Lass uns die Leiche vergraben. Im Schutz der Dunkelheit können wir mit dem Pferd über die Berge. So haben wir viele Stunden, wenn nicht sogar Tage Vorsprung, bis sie unsere Fährte aufgenommen haben. Ich will nicht erleben, wie mir bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird. Mein Vater hat mir erzählt, wie das vor sich geht. Er hat es einmal in Ninive gesehen. Und ich möchte dies nicht an uns beiden praktiziert sehen. Also lass uns jetzt keine Zeit verlieren. In einer Stunde wird es dunkel sein. Außerdem müssen wir immer damit rechnen, dass Daiaukas Männer auf einem Kontrollritt sind.«

      Meine Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Ich, der Jüngling, hatte dem mehr als doppelt so alten Mann die Augen geöffnet und vor einem Fehler bewahrt. Langsam sah er ein, dass meine Worte sinnvoll waren und er ließ sich zu der Flucht überreden.

      So gleich begannen wir auf der anderen Seite der Steinmauer ein Loch zu graben. Segetans Leiche legten wir, ohne weitere Worte zu verlieren, hinein und bedeckten sie mit Sand und Steinen. Schnell war das Loch wieder zugeschüttet, und die überschüssige Erde gleichmäßig in der Umgebung verteilt. Die Spuren hatten wir gut verwischt. Ständig wanderte unser sorgenvoller Blick nach Westen, dorthin wo Daiaukas Männer zu erwarten wären. Doch niemand ließ sich blicken.

      Die Dämmerung setzte ein. Der Zeitpunkt war gekommen, um aufs Pferd zu steigen und unsere bisherige Heimat und den Ort des Verbrechens zu verlassen. Über die Richtung hatten wir uns schnell geeinigt. Nach Westen konnten wir nicht, weil da Daiaukas Gut lag. Nach Süden wären wir in die medische Hauptstadt Ekbatana gelangt. Das wäre für entlaufene Sklaven einem Todesurteil gleichgekommen. Auch nach Norden konnten wir nicht reiten, da uns hinter einer Bergkette ebenfalls ein Gut erwartete, auf dem Slaverei herrschte. Folglich blieb für uns nur die Flucht nach Osten. So verließen wir im Schutz der beginnenden Dunkelheit das Tal meiner Kindheit und Jugend. Von nun an sollte ich meine jugendliche Unbekümmertheit verlieren. Jene, welche ich im Schutze meiner Eltern und Satepes erleben durfte. Ein neues Leben begann für mich und Target.

      Kapitel 3

      »Lass uns eine Pause machen.« Target wirkte erschöpft. Seit Stunden liefen wir in der Dunkelheit durch das Gebirge. Die Schritte setzten wir vorsichtig einen nach dem anderen, jederzeit darauf wartend, dass uns ein falscher Schritt eine schmerzliche Erfahrung widerfahren ließe.

      Zuerst waren wir noch geritten, weil wir genügend Distanz zwischen uns und Daiaukas Männer bringen wollten. Dies ging auch noch in der Dämmerung, doch dann ließen wir davon ab, weil die Verletzungsgefahr für das Pferd zu groß war. So führten wir es sicher am Zaumzeug haltend durch das steinige Geröll, über Hügel und durch Bergschluchten. Mit unseren dünnen Sandalen stolperten wir über lose und feste Steine. Uns selbst hatten wir bis dahin keine Pause gegönnt. Dennoch holte uns die Ermattung ein. Target lief der Schweiß in kleinen Bächen den Körper hinunter. Das Mondlicht schien auf seine müde Gestalt, die mit herabhängenden Schultern Mitleid bei mir erheischte.

      »Ich kann nicht mehr,« stöhnte er erschöpft.

      Mein jugendlicher Enthusiasmus drängte mich zwar weiter, aber achselzuckend gab ich seinem Wunsch schließlich nach.

      »Na gut, dann lass uns hier eine Pause machen, bis die Sonne aufgeht. Dort in der Felsspalte können wir uns gut verstecken.«

      Im schummrigen Mondlicht schlenderten wir die wenigen Schritte zu der Felsspalte. Dort angekommen,