Michael Aulfinger

Sklave und König


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Blick sah ich meinen Herrn an, der nun ermutigend die Arme erhob.

      »Jetzt beruhigt euch erst einmal. Ich sagte euch doch schon, dass sich für euch nichts ändern wird.«

      »Das glauben wir aber nicht.«

      »Doch. Der neue Herr hat es mir zugesichert. Ich danke euch allen für die Dienste, die ihr mir und meiner Familie in all den Jahren geleistet habt. Nun geht in eure Häuser und dient ihm genauso hingebungsvoll, wie ihr mir gedient habt.«

      Mit gesenkten Köpfen trotteten wir Sklaven zurück in unsere Hütten und Häuser. Ich erblickte dabei meinen Vater und hielt ihn an. Meine Frage muss mir im Gesicht gestanden haben, denn mein Vater beantwortete sie mir, bevor ich in der Lage war, sie überhaupt zu stellen.

      »Wir bekommen einen neuen Herrn, mein Sohn.«

      »Aber warum? Merep gehört doch hier alles. Das ganze Tal zwischen den Bergen gehört unserem Merep. Seinem Vater und dessen Vater gehörte es auch schon. Sag mir Vater, was ist geschehen?«

      Borsip selbst wusste auch nur das, was Merep den Sklaven gesagt hatte. Das gab er jetzt an Target und mich weiter.

      »Merep hat alles verloren, alle seine Länder und seine Häuser. Ob er sein Gut beim Glücksspiel oder bei riskanten Geschäften verloren hat, kann ich auch nicht sagen. Vielleicht ist er auch in Ekbatana beim neuen König Astyages in Ungnade gefallen und muss deshalb verschwinden. Ich weiß es nicht. Jedoch werden er und seine Familie in zwei Tagen abreisen. Wohin er reist, weiß niemand. Jedenfalls wird in den nächsten Tagen der neue Herr ankommen. Sein Name ist Daiaukas. Er wird alle Sklaven übernehmen. Für uns soll sich nichts ändern.«

      Target fletschte hörbar die Zähne.

      «Und das glaubst du? Ich bin vorsichtiger. Warten wir es ab.«

      Mein Vater nickte. Auch er sträubte sich innerlich, bald einen neuen Herrn zu haben.

      »Uns kann es doch egal sein, wem wir dienen. Ein Herr ist wie jeder andere. Merep war zwar ein guter Herr, doch ähnlich sind sie sich alle. Wir sind nur Sklaven, das dürfen wir nicht vergessen. Wir müssen tun, was unsere Eigentümer sagen und ihnen gehorchen.«

      »Dann werden wir also weiterhin so gute Arbeit leisten wie bisher und nichts wird sich für uns ändern?«

      Mein Vater nickte, als er meine Frage vernahm. »Genau, Luskin, nichts wird sich für uns ändern.«

      Der nächste Tag wurde damit zugebracht, die Kutschen mit den Habseligkeiten von Mereps Familie zu beladen. Die Sklaven, die nicht mit dem Beladen beschäftigt waren, gingen ihren täglichen Arbeiten nach. Die Sklaven versorgten die Tiere wie ehedem und gingen auf die Felder. Dennoch war es an diesem Tage anders. Wegen der ungewissen Zukunft für alle hatte sich eine bedrückte Stimmung auf dem Gut verbreitet.

      Es war am Nachmittag, als plötzlich ein Reitertrupp auf dem Gut auftauchte und vor Mereps Haus anhielt. Der Anführer ließ seine sieben Männer absitzen, die ihre Pferde anbanden und sich dann in der Nähe aufstellten. Er selbst ging in das Haus, wo er von Merep empfangen wurde. Eine Stunde verging, ehe sie wieder hinaus kamen. Merep ließ sich sein Pferd bringen und ritt mit dem neuen Eigentümer und dessen Männern auf seinem Landgut, welches er für immer verlassen sollte, umher. In den Abendstunden kehrten sie gemeinsam wieder zurück. Inzwischen hatte der Koch den Männern ein Essen zubereitet worden. Anschließend wurde den Gästen gezeigt, wo sie die Nacht verbringen sollten.

      Ich selbst ging an diesem unseligen Abend mit einer dunklen Vorahnung ins Bett. Ständig ertappte ich mich dabei, wie ich nervöse Blicke zum Haupthaus warf und so versuchte, irgendwelche Informationen aufschnappen zu können. Natürlich vergebens. Aber ich konnte die innere Unruhe nicht ignorieren. Von meiner Unterkunft aus war nur ein Stimmengewirr zu vernehmen. Es hielt so lange an, dass ich in dieser Nacht keine Ruhe mehr fand. An Schlaf war nicht zu denken. Aber am nächsten Tag erfuhr ich, dass es auch anderen so ergangen war.

      Der Morgen graute. Bald waren alle Bewohner sowie die Gäste auf den Beinen. Wir hatten uns vor dem Haupthaus versammelt. Was würde nun mit uns geschehen? Mein Vater hatte recht, ging es mir durch den Kopf. Egal wer unser neuer Herr war, an unserer Situation würde sich dennoch nichts Grundlegendes ändern. Wir hatten zu gehorchen und zu arbeiten.

      Merep trat auf die Stufen, die zu seinem Haus führten. Seine Familie stand regungslos etwas abseits. Der neue Eigentümer hatte sich links von Merep aufgestellt. Mereps Stimme klang beschlagen, als er das Wort an uns richtete.

      »Männer und Frauen, ihr habt mir in all den Jahren gut gedient. Dafür möchte ich euch danken. Dies ist euer neuer Herr, Daiaukas. Seid ihm genauso gute Diener, wie ihr es mir und meiner Familie ward. Ich wünsche euch ein langes Leben.«

      Das waren die letzten Worte, die ich von Merep vernahm. Er verabschiedete sich von Daiaukas und schritt mit gesenktem Kopf, gefolgt von seiner Familie, zur Kutsche. Er drehte sich nicht noch einmal um, als die Kutsche anfuhr und er sein ehemaliges Gut mit all seinen Habseligkeiten verließ. Wie fühlte es sich wohl an, das Land seiner Ahnen zu verlieren?

      Im Gedenken an die gute Zeit mit dem gerechten Herrn Merep hatte sich bei uns Sklaven Wehmut im Herzen breitgemacht. Einige Frauen hatten Tränen in den Augen. Jeder fühlte den Verlust eines guten Menschen. Allen erging es so, bis auf Daiaukas und seinen Männern. Er war es auch, der uns aus unserer sentimentalen Träumerei an vergangene Zeiten in die Realität zurückholte. Daiaukas war ein Mann der Tat. Er verlor keine Zeit. Das sollten wir alsbald erfahren.

      Daiaukas war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Stark und kräftig gebaut stand er vor uns. Seine Hände hatte er mit den Handflächen nach außen in den Seiten verschränkt. Sein voller Bart zeigte erste grauen Strähnen auf. Die Augen funkelten wie die eines Tigers, der zum Sprung bereit war. Er machte den Eindruck eines Mannes, der genau wusste, was er wollte. Imposant war seine Erscheinung, die darauf schließen ließ, dass er keine Widerrede dulden würde.

      »Sklaven, hört mich an. Ich bin euer neuer Herr Daiaukas. Gestern habe ich das Gut von Merep übernommen und mir einen ersten Eindruck vom Zustand des Anwesens gemacht. Und ich muss euch sagen, dass mir nicht gefallen hat, was ich sah. Ihr seid ein faules Pack, doch das wird sich bald ändern. Ab heute werden hier andere Seiten aufgezogen. Es gibt zu viele Sklaven, deren Mäuler gestopft werden müssen. Einige von euch werde ich morgen in Ekbatana verkaufen.«

      Abrupt drehte sich Daiaukas um und wandte sich an seine Männer, um ihnen Anweisungen zu geben. Derweil wurden wir zur Arbeit getrieben. Getrieben war das richtige Wort, denn mit dem gemütlichen Gang war es nun vorbei.

      Den ganzen Tag über hingen meine Gedanken an der ungewissen Zukunft, die vor uns lag. Es dünkte mich, dass großes Unheil auf uns einströmte. Ein Gefühl der Schwäche und Hilflosigkeit hatte mich deshalb ergriffen und beinahe gelähmt. Denn die Unfähigkeit, nicht zu wissen, was in solchen Situationen das Richtige ist, führt zur Untätigkeit.

      Schweigsam verbrachte ich mein Tageswerk. Target, der mit mir zusammen arbeitete, war ebenfalls in sich gekehrt. Nur einmal blickten wir auf, als zwei Reiter, die wir als Daiaukas Männer erkannten, zu uns kamen und unsere Arbeit beobachteten. Sie sprachen kein Wort, sondern sahen nur wenige Minuten zu und verschwanden bald darauf. Sie verschafften sich wohl einen Überblick über die Sklaven und deren zugewiesenen Arbeiten. Sobald sie weg waren, mutmaßte ich, dass sie mich wohl als unbrauchbar einstuften und dies Daiaukas mitteilen würde. Für so einen jungen, starken Mann wie mich, würde er auf dem Sklavenmarkt bestimmt einen guten Preis erzielen. Ich sah mich bereits entfernt von meiner Familie und dem Ort meiner Kindheit. Angesichts dieser Zukunft, die ich mir einredete, verdüsterte sich mein Gemütszustand zusehends. Aber wen interessiert schon der Gemütszustand eines Sklaven?

      Später als sonst machten Target und ich uns auf den Heimweg. Es drängte uns nicht danach, die unausweichlichen Entscheidungen zu hören. Wir wollten sie zumindest hinauszuzögern. Andererseits ergriff mich auch die Furcht, dass sie nach uns suchen würden, wenn wir zu lange fortblieben. Also ergaben wir uns in unser Schicksal und betraten unsere Hütten.

      Wie ich erwartet hatte, waren meine Eltern zu Hause und ihr Minenspiel verhieß mir nichts Gutes. Meine Matar, meine Mutter, sah