Michael Aulfinger

Sklave und König


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zurecht. Sie lieferten ihre Arbeit ordentlich ab und verhielten sich nicht aufsässig. Mit rebellischen Leibeigenen wurde nicht zaghaft umgegangen. Nicht selten endete ihr Dasein mit aufgerissener, blutiger Haut, nachdem sie für ihren Ungehorsam mit der Peitsche bestraft worden waren.

      So kam es, dass sich Nakina und Borsip immer häufiger in ihrer Freizeit trafen. Bald entdeckten sie ihre Gefühle füreinander, die dann nicht mehr zu verheimlichen waren.

      An einem kalten Wintertag, der in dem bergigen Mederland umso intensiver zu fühlen war, fasste sich Borsip ein Herz und trat zu Satepe. Fest in der Stimme, doch unsicher im Innern, brachte er dem Aufseher sein Anliegen hervor. Satepe wollte beinahe nicht mit dem Lachen aufhören, als er den irritierten Borsip vernahm. So hatte mein Vater den Aufseher niemals zuvor erlebt. Das steigerte seine Unsicherheit und sein Unbehagen zusehends. Aber Satepe schlug seinen rechten Arm um den kleineren Sklaven und ließ den aufgewühlten Borsip wissen, dass er schon lange auf diese Frage gewartet hatte. Ihm waren die verliebten Blicke nicht entgangen.

      Satepe wies darauf hin, dass Merep, als ihr Eigentümer, seine Zustimmung geben musste. Mein Vater nickte verstehend. Wohl war ihm nicht bei dem Gedanken. So begaben sich die beiden ungleichen Männer auf den Weg zum Gutsbesitzer.

      Sein Haus war weiß getüncht und ausreichend groß für einen Gutsbesitzer mit Familie. Nachdem sie gewartet hatten, fand Merep Zeit, sich um Borsips Anliegen zu kümmern. Merep lachte nicht, sondern sah meinem Vater fest in die Augen. Dieser hielt dem Blick stand, und versuchte Mereps Gedanken zu lesen. Doch das war nicht einfach. In dem durch den Bart verzierten Gesicht war keine Gefühlsregung zu erkennen. Auch seine Augen verrieten nichts von den Gedanken, die ihn beherrschten. Nach endlos scheinenden Sekunden des Verharrens drehte sich Merep abrupt um, während er in dieser Bewegung seinen Kopf zum Sklaven noch einmal nach hinten drehte und diesem seine Entscheidung knapp mitteilte.

      »Meinen Segen habt ihr.«

      Damit war diese Angelegenheit für ihn erledigt. Aber nicht für meine Eltern. Sie konnten ihr Glück nicht fassen. Die Hochzeit wurde relativ ausgiebig gefeiert, schließlich waren sie Sklaven. Selbst Merep und Satepe kamen und brachten Geschenke mit.

      Nach zwei Jahren kam, mit meiner Schwester Simine, die erste Frucht dieser Ehe auf die Welt. Sie war ein lebensfrohes Kind und ungetrübt in ihrem Gemüt. Es sollten noch einige Jahre vergehen, ehe ich das Licht der Welt erblickte. Ich wurde als Sklave geboren, aber einem Säugling ist das egal.

      Als unbedarfter Junge lief ich zwischen dem Gutshaus, den Ställen, Pferchen und Unterkünften der Sklaven umher, als sei die ganze Welt ein einziger Spielplatz. Ich kannte keine Grenzen, wo es in dieser Welt doch auch so viel Spannendes zu entdecken gab.

      Andere Sklaven hatten auch Kinder bekommen, so dass ich genügend Spielkameraden hatte. Dementsprechend wuchs ich in einer großen Familie auf. Der Zusammenhalt untereinander war deutlich. Es gab wenig Grund zur Klage.

      Merep behandelte uns alle gut und gerecht, so dass wir uns nicht über ihn zu beklagen brauchten. Dass ich das Kind von Sklaven war, spürte ich von keiner Seite. Mereps Familie und Satepe, nahmen mich ab und zu zur Seite und behandelten mich wie einen von ihnen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mich Satepe einmal vom Pferd aus mit seinem langen Arm ergriff und mich mit einem Ruck zu sich auf das Pferd zog. Er setzte mich vor sich auf den Rücken des Pferdes. Damals war ich sechs Jahre alt. Stolz blickte ich zum ersten Mal in meinem Leben von einem Pferd auf die Welt herab. Es erfüllte mich ein Gefühl, als wenn ich sie beherrschen würde. Wie jauchzte ich vor Glück, als Satepe das Pferd zum Galopp antrieb. Die Erde raste unter den ausgreifenden Beinen des Pferdes dahin. Die Geschwindigkeit berauschte meine Sinne. Ich empfand unendliche Freiheit. Von da an liebte ich das Reiten. So einem Tag sollten noch viele folgen. Eigentlich kann ich rückblickend sagen, dass ich eine glückliche Kindheit hatte.

      Dass ich das Kind von Sklaven war, die eigentlich aus dem einst großen Assyrien stammten, wurde mir jedes Mal bewusst, wenn ich abends mit meinem pitar, meinem Vater im Kerzenschein sprach. Von den großen und stolzen Königen sprach er, als wären sie immer noch lebendig. In seinen Geschichten und Gedanken waren sie es wohl auch noch. Seufzend und wehmütig berichtete er mir von dem ehemals herrlichen Ninive. Wie stolz diese Stadt doch einst strahlte. Sie bestand aus herrlichen Bauten und breiten Straßen. Die Frauen trugen schöne Kleider und schmückten ihr gepflegtes Haar. Fröhliche Kinder spielten in den Straßen.

      Ninive war gänzlich von riesigen Mauern umgeben. Darin lebten Assyrer, die mit stolz geschwellter Brust umhergingen. Kein anderes Volk hatte es je mit Assyrien aufnehmen können, bis ... ja, bis ...!

      Die unauslöschlichen Bilder aus seiner Kindheit konnte er nicht vergessen, immer wieder brachen sie aus ihm hervor. Auch ich konnte die Geschichten aus seiner Heimat nicht vergessen. Mein Leben lang haben mich die Erinnerungen meiner Eltern so fasziniert und bewegt, dass sie mich immer in Gedanken begleiteten. In meinem Herzen habe ich mich – egal wem ich gerade diente – immer als Assyrer gefühlt. Zusätzlich war ich anhaltend stolz darauf, ein Sohn des Gottes Assur zu sein. Niemand konnte mir meine Herkunft verleiden.

      Die Jahre gingen ins Land. Allmählich wuchs ich heran. Die Zeit der unbeschwerten Kindheit, in der das Spielen das Wichtigste war, verging und wich zusehends der Arbeit, in die ich gedrängt wurde.

      Was ich vom Landgut nicht schon vom Umhertollen kannte, wurde mir auf einem Rundgang gezeigt, damit ich ein guter arbeitender Sklave wurde. Da waren die Kornspeicher, daneben die Gebäude mit ihrem kühlen Keller und die vielen Ställe. In Tonkrügen, die in der kühlen Erde eingegraben waren, lagerten Bier und Most. Hühner und Gänseherden liefen herum und pickten die Getreidekörner auf, die auf dem Boden lagen. Schafe, Rinder und Pferde weideten auf den verschiedenen Wiesen.

      Dahinter zogen sich Felder bis zu den Bergen hin, auf denen Gerste und Hirse wuchsen. Dieses ganze Land gehörte Merep, der mein Herr und Gebieter war.

      Wenn dieser ausritt, brauchte er drei Stunden, um die Obst- und Weingärten, die gepflügten und ungepflügten Äcker, die Weideländer und die nötigen Bewässerungskanäle seines Landgutes zu besichtigen.

      Eines Tages trottete ich mit dem Sklaven Target zurück von den Feldern, auf denen wir tagsüber unsere Arbeit verrichtet hatten. Target war ein ausgewachsener Mann von ungefähr vierzig Jahren, ich hingegen war gerade mal sechzehn. Wenige Haare bedeckten seinen Schädel. Seine Nase hing wie ein Haken in seinem Gesicht. Aber das war bei den Völkern, die im großen Bereich des Zweistromlandes wohnten, keine Seltenheit.

      Er war genau wie ich auf dem Gut geboren, allerdings noch unter Mereps Vater. Mit Target verstand ich mich gut. Er war ein ruhiger Mensch und mit seinem Los als Sklave zufrieden. Wenn ich ihm sagte, dass wir keine freien Männer wären, entgegnete er mir stets:

      »Was willst du denn noch? Bekommst du nicht etwa genug zu essen und hast du kein Dach über den Kopf? Wenn du ein sogenannter freier Mann wärst, müsstest du Tag für Tag dafür Sorge tragen, dass du nicht verhungerst. Vor allem, wenn du noch Familie hast, ist es schwer. So wird uns die Sorge wenigstens abgenommen, denn der Herr muss für uns sorgen. Ich kann mich jedenfalls nicht beklagen.«

      Auf dieses Argument konnte ich wegen meiner geringen Erfahrung nichts entgegnen, und so beließ ich ihn bei seiner Meinung.

      Wir sprachen ständig miteinander und er brachte mir viel über das Bauernleben bei. Wir waren tagsüber damit beschäftigt gewesen, eine neue Mauer zu errichten, damit das weidende Vieh nicht auf die neu ausgestreute Saat des Nachbarfeldes trampelte.

      Als wir an dem Tag, der mein Leben für immer verändern würde, auf dem Gut ankamen, wollte ich sofort zu meiner Mutter ins Haus gehen, die bereits mit dem Essen auf mich wartete. Aber so weit kam ich nicht. Durch ein Stimmengewirr angelockt, traten Target und ich um die Sklavenunterkünfte herum und schritten auf die Ansammlung von Menschen zu, die sich vor Mereps Gutshaus aufgetan hatte. Alle dreißig Sklaven waren versammelt. Target und ich waren nun die Letzten, die hinzutraten. Wir waren ahnungslos über den Grund der Versammlung. Aus den durcheinander rufenden Stimmen war nichts Konkretes zu erfahren.

      Merep war mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern auf den Stufen, die zu seinem Haus führten. Neben ihm stand Satepe mit verschränkten Armen. In seiner