Michael Aulfinger

Sklave und König


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Vater niedergeschlagen vor sich hinsah. In seiner Hand hielt er seine wenigen persönlichen Gegenstände. Also wussten sie schon davon, dass ich verkauft werden sollte, redete ich mir währenddessen ein.

      »Vater, sag mir, wer wird verkauft? Es ist doch schon bekannt, oder?« Das Reden fiel mir schwer, als hätte ich einen Kloß im Hals. Aber es musste raus. Ich war bereit, das Unausweichliche zu vernehmen.

      »Ja, mein Sohn, es ist bekannt.«

      »Deine Mutter und ich werden verkauft. Du bleibst hier. Außerdem gehen noch vier andere. Wir werden hier nicht mehr gebraucht, weil wir zu alt sind. Wir werden zwar getrennt, aber im Geiste werden wir immer bei dir sein, Luskin.« Die letzten Worte schluchzte er hervor. Ich konnte es nicht fassen. Es kam ganz anders, als ich es mir gedacht hatte. Nicht ich, sondern meine Eltern mussten gehen. Das war eine ganz neue Situation, mit der ich erst einmal fertig werden musste. So oder so, das Ergebnis war trotzdem das Gleiche. Wir würden getrennt werden.

      »Was ist mit Simine?«

      Mein Pitar lächelte mich gequält an. Doch dann schüttelte er sich leicht, als wolle er wieder zu sich kommen. Nun klang seine Stimme wieder fester.

      »Sie bleibt hier bei dir. Bitte pass auf sie auf. Sie ist ein so zartes Geschöpf. Bei dir weiß ich sie in Sicherheit, jedenfalls soweit es in deiner Macht steht. Mehr kann ich leider nicht für sie tun.«

      »Ich werde für sie da sein, Vater.«

      Mehr sprachen wir nicht. Jedes weitere Wort an diesem Abend hätte die Wunde nur noch weiter vergrößert. Wir trauerten, ohne zu sprechen.

      Am nächsten Morgen erwartete uns die Sonne wie gewohnt. Der Sonne war es gleich, welches Schicksal – ob grausam oder erfreulich – ein jeder Mensch oder Sklave zu ertragen hatte. Sie ging am Morgen auf und am Abend verschwand sie wieder. Was in dieser Zeitspanne geschah, war außerhalb ihrer Macht und ihres Interesses.

      So war die Sonne nur ein stiller Beobachter, als Satepe die Kutsche vorfuhr. Danach ging alles ganz schnell. Die sechs Sklaven wurden mit ihren wenigen Habseligkeiten auf den Wagen beordert. Satepe führte den Sklaventransport an. Neben dem Kutscher begleiteten ihn noch drei von Daiaukas Männern. So waren für sechs Sklaven fünf Männer als Aufsicht abgestellt worden. Daiaukas wollte wohl sicher gehen, dass unterwegs kein Sklave flüchten und ihn somit um seinen Gewinn bringen konnte. Satepe hatte die nötigen Besitzurkunden bei sich, die er wohl verstaut an seinem Körper in einer Tasche trug. Auf dem Sklavenmarkt in Ekbatana würden die Sklaven jetzt noch einen erträglichen Preis erzielen. Auf dem Gut dagegen würden sie alt und vermutlich noch krank werden, und so nur noch mehr Kosten verursachen.

      Als der Wagen anfuhr, stand ich schon mit Target auf einer Anhöhe weit vom Transport entfernt. Wir waren vorher zu unserer Arbeit gescheucht worden. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, meine Eltern zum Abschied zu umarmen. So blieben wir zum Zeitpunkt der Abfahrt in weiter Entfernung auf dem Weg zur Arbeit einfach stehen und sahen zu, wie der Wagen anrollte. Wir sprachen nicht und standen unbeweglich da, bis der Wagen hinter dem Berg in südlicher Richtung verschwunden war. Uns war klar, dass jeden von uns dieses Schicksal hätte treffen können. Wir waren nur Eigentum, regelrecht Spielbälle, mit denen der Eigentümer machen konnte, was ihm in den Sinn kam. Auch Target hätte es treffen können, da er selbst schon zu den älteren zählte. So war er selbst berührt und schwieg. Was hätten unsere Worte zu diesem Zeitpunkt auch bewegen können.

      Am Abend war es ein seltsames Gefühl, als ich in unsere Hütte kam und die Leere mich empfing. Niemand fragte nach meinem Tageswerk, niemand nach meinem Befinden, oder ob ich großen Hunger hätte. Niemand war da, auch Simine nicht. Getreu dem Versprechen an meinen Vater, mich um meine Schwester zu kümmern, suchte ich sie sogleich. Dabei trieb mich nicht nur die Sorge um sie an, sondern auch mein Bedürfnis, mit einer Person meines Vertrauens sprechen und sie umarmen zu können. Doch war sie nirgends zu finden.

      Ratlos lief ich einige Zeit umher und fragte andere Sklaven in der Nachbarschaft, doch niemand konnte mir eine befriedigende Auskunft geben. Als ich am Brunnen vor dem Gutshaus vorbeikam, war gerade eine Bedienstete des Haushalts des Daiaukas dabei, mit einem Eimer Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Durch sie erhielt ich eine Antwort, die mich erst völlig verwirrte und dann in den Zustand extremer Wut versetzte.

      »Segetan, der Sohn von Daiaukas, hat sie zu seinem Kebsweib auserwählt. Sie wird jetzt immer das Bett mit ihm teilen.«

      Nachdem meine erste Verwirrung vorüber war, hakte ich weiter nach.

      »Aber war es denn ihr Wunsch? Wollte sie es?«

      Sie sah mich mitleidig an, als hätte ich eine widersinnige Frage gestellt.

      »Fragt uns jemand danach, was wir wollen?«

      Mit diesen einfachen, aber alles erklärenden Worten verschwand sie mit ihrer schweren Last in dem Gutshaus.

      Augenblicklich ergriff mich die Wut auf Segetan. Daiaukas Sohn war mir bis dahin nicht besonders aufgefallen. Ich erinnerte mich an einen jungen Mann mit pechschwarzem Haar und dünner Gestalt, der bei Daiaukas kurzer Rede neben ihm gestanden hatte. Das musste sein Sohn gewesen sein. Sein Alter schätzte ich auf Anfang zwanzig und somit war er ein paar Jahre älter als Simine. Sein schwarzer Bart war noch nicht so füllig. Das Gesicht wies keine besonderen Merkmale auf, außer dass er den entschlossenen Blick seines Vaters geerbt zu haben schien.

      Ratlos stand ich da. Wie lange weiß ich nicht mehr. So bekam ich auch nicht mit, als die Sonne hinter den Bergen versank und die langen Schatten das Tal überzogen. Mit den letzten Sonnenstrahlen betrat ich die Hütte, die ich nunmehr alleine bewohnen würde. Meine Eltern waren verkauft und meine Schwester von einem von Geilheit getriebenen jungen Mann in sein Bett geholt worden. Sie würde erst wieder aus dem Gutshaus herauskommen, wenn er ihrer überdrüssig geworden war. Wann das aber geschehen würde und was dann aus meiner kleinen, zierlichen Schwester geworden sein würde, konnte niemand vorhersagen. Meine Sorgen um Simine wuchsen ins Unermessliche.

      Ich hatte mich in meine Hütte, die mir so unendlich groß und leer vorkam, zurückgezogen und versuchte Ruhe zu finden. Doch stellte sie sich nicht ein.

      Es war noch mitten in der Nacht, als mich die Ungeduld hochfahren ließ. Mein Lager gewährte mir nicht die Ruhe, die ich brauchte. So stand ich unvermittelt auf und trat langsam zum Gutshaus hinüber.

      Natürlich war es den Sklaven untersagt, nachts ohne Grund herumzuschleichen, und schon gar nicht in der Nähe des Herrenhauses. Aber dies war mir zu diesem Zeitpunkt egal. Die Sorgen, die ich mir um Simine machte, trieben mich voran.

      Ich hatte bereits meine Eltern verloren, also fühlte ich mich dazu verpflichtet, meine Schwester zu beschützen. Dieser Beschützerinstinkt ließ mich nicht mehr los. Kein Mensch war in dieser nächtlichen Stunde zu sehen. Anscheinend hatte Daiaukas keine Wachen aufgestellt. Jedenfalls sah ich keine. Auch brannten keine Fackeln. Dies alles ließ mich unvorsichtig werden, so dass ich mutig an die Hauswand treten konnte, an der ich Segetans Räume vermutete. Ich presste mich an die Wand und lauschte. Worauf ich wartete, wusste ich selbst nicht genau. Vielleicht auf irgendein Lebenszeichen von Simine. Es war schon eine gewisse Zeit vergangen, als ich es schließlich doch vernahm. Ein schluchzendes Weinen. Unverzüglich zogen sich meine Muskeln zusammen.

      Simines Weinen erstarb jedoch gleich, nachdem ich mehrere klatschende Geräusche vernommen hatte, gefolgt von der herrischen Stimme eines Mannes. Seine genauen Worte waren nicht zu verstehen, dennoch konnte ich sie mir denken. Meine Faust ballte sich zusammen. Zorn stieg in mir auf, als ich ein rhythmisches und quietschendes Geräusch vernahm. Da ich damals jünger als meine Schwester war, wusste ich noch nicht genau, was dort auf der anderen Seite vor sich ging. Aber mit Sicherheit gefiel es Simine nicht. Es irritierte mich so sehr, dass ich mich zügig von der Hauswand löste und zurücktorkelte wie ein Mann, der zu viel Gegorenes getrunken hatte, unschlüssig, was ich nun tun sollte. Ein Gefühl der Ohnmacht stieg in mir auf. Es war niemand da, um mich festzuhalten. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann hatte ich meine Hütte wieder erreicht und war auf mein Lager gefallen. Es dauerte zwar eine Weile, aber schließlich übermannte mich der Schlaf doch.

      Am nächsten Tag merkte ich, dass Target schlechte