Myron Bünnagel

Severin


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Sie.“ Zwischen den Sätzen das wiederkehrende Quietschen.

      „Ziemlich schlecht, Severin.“ Eine weitere Stimme drang auf ihn ein. Neben der geschlossenen Tür saß ein anderer Mann, die Beine übereinander geschlagen. Sein Anzug stand ihm besser als dem ersten, auch sein Gesicht war feiner ausgeprägt. Aber seine Augen strahlten dieselbe Härte und Unnachgiebigkeit aus. Um seine Mundwinkel lag ein brutaler Zug.

      Kramer und Feldberg. Severin erinnerte sich wieder an ihre Namen, an ihre Stimmen, die ihn mit endlosen Fragen bombardiert hatten. Fragen, Vorwürfen und Anklagen. Aber das alles war nur ein zäher Brei in seinem Kopf. Feldberg … war der an der Tür. Kramer der mit dem Expander. „Ich habe euch Bullen nichts zu sagen.“ In seinen Worten schwang Wut mit. Tiefe Wut über ihre Sturheit, ihre Engstirnigkeit, ihren Unwillen.

      Kramer grinste. „Haben wohl schlecht geschlafen in Ihrer Zelle.“ Er saß vorne übergebeugt, gaukelte Vertrautheit vor. „Sind ziemlich unbequem, diese Zellenbetten, was? Aber man gewöhnt sich daran.“

      „Sie müssen es ja wissen.“ Jacob lehnte sich in seinem Stuhl zurück, so weit es ging. Weg von Kramer und seinem stinkenden Aftershave. Fast wollte er den Bullen wegstoßen. Seine Hände … Severin ließ den Blick zu seinen Knien hinabwandern. Das harte Metall, blank poliert, voller unheilvoller Reflexionen, schnitt in seine Handgelenke. Er zerrte versuchsweise daran, aber der Stahl blieb unnachgiebig.

      „Warum so unfreundlich, Severin?“ Kramer schüttelte in gespielter Enttäuschung den Schädel. Seine Finger quälten das kleine Gerät in einer Abfolge schneller Bewegungen.

      „Nehmen Sie mir diese verfluchten Dinger ab!“ Er deutete mit dem Kinn auf die schweren Handschellen.

      „Tut uns wirklich leid, Severin, aber das können wir nicht tun.“ Feldbergs desinteressierte Stimme. Jacob sah zu ihm herüber. Der Beamte warf einen kleinen Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf.

      „Machen Sie mich los!“

      Der Mann schüttelte den Kopf, ließ den Schlüssel in der Seitentasche seines dunkelblauen Jacketts verschwinden und tätschelte sie überschwänglich. „Ihre Hände bleiben, wie sie sind. Immerhin sind es die Hände eines Mörders.“ In Feldbergs beiläufigem Ton schnitt der Satz wie ein Skalpell in Severins Gedanken. Das Wort fuhr glatt durch alles hindurch, trennte Wut und Verwirrung entzwei.

      „Ich bin kein Mörder!“ Seine eigene Stimme klang in der Stille des Raumes wie ein Paukenschlag. Die beiden Beamten blickten auf, zeigten gleichzeitig ein Lächeln, das unbarmherzig und kalt war, als übten sie für einen Wettbewerb in Synchronmimik. „Ich bin kein Mörder!“ Die Worte hallten durch seinen Kopf, schlugen gegen unscharfe Bilder, gegen all die Entgegnungen. Trafen Angst und Wut und Schmerz.

      „Ich …“ Angelica. „… bin …“ Tiefe Furcht kroch aus ihm hervor. „… kein …“ Es war nicht wahr. „… Mörder.“ Konnte nicht sein. Blut rauschte in seinen Ohren, Tränen überzogen den Raum mit einem verschwommenen Schimmer.

      Kramer sprang auf, sein Stuhl schwankte einen Augenblick, drohte zu kippen, tat es aber doch nicht. Der Expander in seiner Hand zuckte heftig. „Reden Sie keinen verdammten Mist, Severin.“ Sein Gesicht schob sich bedrohlich näher, die Nasenflügel bebten unkontrolliert. „Sie sind ein Mörder.“ Speicheltropfen wirbelten durch die Luft, besprühten Jacobs Gesicht. Kramers Atem strich über ihn hinweg. Er stank nach Zwiebeln und Magenbeschwerden.

      „Nein!“

      Die Faust schoss hoch, Severin zuckte in der Erwartung eines Schlages zurück. Aber er blieb aus. „Am liebsten würde ich ein Geständnis aus Ihnen herausprügeln, Sie eingebildetes Arschloch.“ Das Metall des Expanders bohrte sich in seine Wange. „Jedes einzelne Wort. Die ganze Scheiße aus Ihnen raus.“

      Jacob hob den Blick, stellte sich Kramers brennenden Augen. Sie quollen förmlich aus den Höhlen hervor, das milchige Weiß von roten Äderchen durchzogen. „Ich war es nicht!“

      Der Druck der Faust verstärkte sich. „Sie haben sie erwürgt, Severin. Erst haben Sie das Mädchen gevögelt und sie dann stranguliert. Mit einem Seidenstrumpf.“ Seine freie Hand fuhr sich in einer theatralischen Geste an den Hals.

      „Nein!“ Jacob spürte Panik in sich aufsteigen. Bilder drangen aus dem Schatten nach vorne, legten sich wie ein schmieriger Film über seine Sicht. Ihr Gesicht, Angelicas Gesicht: Sommersprossen, Rehaugen, weiche Lippen. Und das Rauschen in seinen Ohren. Ein blutiges, unruhiges Meer im Klang seines Pulses. „Nein!“

      Plötzlich ließ Kramer von ihm ab, seine Hand sackte herab, der Expander beruhigte sich wieder, verfiel erneut in seinen monotonen Rhythmus. Im Gesicht des Beamten zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln ab. „Aber wissen Sie was? Ich muss es gar nicht aus Ihnen herausprügeln. Sie müssen es nicht einmal gestehen.“ Er schob seinen Stuhl zurecht und ließ sich schwer darauf fallen.

      „Ich werde nichts gestehen. Ich war es einfach nicht.“

      Kramer zuckte gleichgültig die Schultern. „Erzählen Sie nur wieder Ihren Quatsch, Severin. Unsere Beweise sind eindeutig. Aber der Herr Staatsanwalt hört sich Ihr Hirngespinst gerne an. Dafür sind wir ja überhaupt hier.“

      Jacob wandte seine Aufmerksamkeit von dem Polizisten ab und sah zum Mann hinter dem Schreibtisch hinüber. Er war hager und jung, mit wachsamen Augen und einem Mund, dessen Winkel nach unten deuteten, auch wenn er redete. Sein Anzug war teuer, ihm aber etwas zu weit. Das Haar trug er streng nach hinten gekämmt. Die feingliedrigen Finger gegeneinander gedrückt, die Lider halb geschlossen, beobachtete er Jacob. „Nun, erzählen Sie mir Ihre Geschichte.“ Die Linke deutete eine einladende Geste an. Seine Stimme war sanft und leise genug, dass man sich anstrengen musste, ihm zuzuhören.

      „Warum? Sie glauben mir doch ohnehin nicht.“ Jacob schob sein Kinn vor und starrte den Staatsanwalt an.

      „Trotzdem haben Sie die Möglichkeit, mir Ihre Version zu erzählen. Das wollten Sie doch, oder nicht?“

      „Ich will, dass man mir glaubt!“

      Der Mann legte die Stirn in Falten. „Sie stehen unter Mordanklage …“, setzte er an, doch Jacob unterbrach ihn: „… aber ich bin unschuldig!“

      „… und die Beweislast ist erdrückend.“

      „Scheiß auf Ihre Beweise! Ich war es nicht. Ich habe Angelica nicht …“ Seine Worte zerbröckelten.

      „… umgebracht?“

      Severin stieß gequält die Luft aus: „Nein, habe ich nicht.“

      „Sondern?“

      Jacob zuckte müde mit den Schultern und schwieg. Der Staatsanwalt beugte sich vor, stützte die Arme auf der blanken Tischplatte ab und sagte: „Hören Sie, Severin, strapazieren Sie meine Geduld nicht. Ich höre mir Ihre Geschichte an. Was wollen Sie mehr?“

      „Haben Ihnen diese beiden Clowns nicht bereits meine Aussage gegeben?“ Kramer richtete sich auf, ließ sich auf den Wink des Staatsanwaltes aber wieder zurücksinken.

      „Ich tue das hier nicht, weil es mir Spaß macht, sondern weil Ihre Mutter jemand ist in dieser Stadt.“

      „Warum ist sie nicht persönlich gekommen, um mir zu helfen?“, fragte Jacob unsicher.

      „Erzählen Sie es mir. Erzählen Sie mir, was passiert ist. Ich fordere Sie nicht noch einmal auf.“ Der hagere Mann lehnte sich zurück, die Lider halb geschlossen. Severin fragte sich, ob seine Finger manikürt waren. Die Nägel glänzten wie poliert, kein Härchen auf den Handrücken.

      „Spucken Sie es schon aus, Mann, oder sollen wir Sie in Ihre Zelle zurückbringen?“ Feldberg redete drängend auf seinen Rücken ein.

      „Ich … ich kann mich kaum erinnern“, brachte Jacob hervor. Die Angst war wieder da, schnürte ihm die Kehle zu.

      „Können nicht, oder wollen nicht?“

      „Ich kann nicht, verdammt! Die Einzelheiten sind verschwommen. Als … als