Myron Bünnagel

Severin


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winkte ab. „Auch einschlägige Agenturen haben nichts ausgespuckt. Es gibt keinen, auf den Ihre Beschreibung passt.“

      „Es muss ihn geben! Sie müssen intensiver nach ihm suchen.“ Seine Finger gruben sich krampfhaft ineinander.

      „Wir werden nichts dergleichen tun.“ Dem Satz des Staatsanwaltes folgte ein beklemmendes Schweigen.

      Jacob sackte ein Stück weit in sich zusammen. „Sie … glauben mir nicht.“

      „Nein.“ Seine Hände trommelten leise auf die Kante der Tischplatte. „Und ich werde Ihnen sagen, warum, Severin. Da war niemand außer Ihnen und Ihrem Mordopfer.“

      „Ich habe Angelica nicht …“, begehrte er auf, aber der andere schnitt ihm das Wort ab. „Halten Sie den Mund. Ich habe mir Ihre Geschichte angehört, weil Ihre Familie nicht unbedeutend in dieser Stadt ist. Ich habe erlaubt, dass Kramer und Feldberg nach Ihrem Hirngespinst suchen. Aber jetzt genügt es. Ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Und ich will es auch nicht. Sie sind erledigt, Severin.“

      „Ich … bin …“

      „… erledigt“, ergänzte der Beamte und drückte vergnügt seinen Expander.

      „Nein. Nein! Die waren da, ganz bestimmt.“ Angst kroch aus ihm hervor, griff nach seiner Stimme und riss tiefe Wunden hinein. Schweiß lief ihm in Bahnen das Gesicht hinab, klebte seine Hose an der Sitzfläche des Stuhles fest. „Sie müssen mir glauben! Die wollen mich fertig machen. Die haben Angelica das angetan.“ Jacob zerrte an den unerbittlichen Stahlbändern an seinen Handgelenken.

      „Es gibt keine die. Nur Sie und die Tote.“

      „Meine Mutter! Meine Mutter kann bezeugen, dass sie da waren. Um Gottes Willen, fragen Sie sie!“ Severin sah sich gehetzt um, Tränen standen in seinen Augen, verschleierten das kleine Büro und die drei Männer, die ihn voller Abscheu musterten.

      „Ihre Mutter, Severin, ist auf Weltreise.“

      „Auf … Weltreise? Aber … Deshalb ist sie nicht hier.“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatte ihm nichts davon gesagt. Gar nichts. „Aber Sie können sie doch erreichen. Anrufen oder kabeln. Sie wird Ihnen alles sagen!“

      „Sie ist bereits seit drei Wochen auf Weltreise.“

      „Was?!?“ Severin sprang auf, krümmte sich aber gleich darauf wieder zusammen und fiel auf seinen Stuhl zurück, als hätte ihn ein unsichtbarer Hieb in den Magen getroffen. „Was erzählen Sie da für einen Unsinn, Mann?“, presste er heraus.

      Kramer verzog verwundert das Gesicht, aber in seinen Augen glitzerte es gefährlich. „Was erzählen Sie da für einen Unsinn, ist wohl die Frage.“

      Jacobs Wangen brannten wie Feuer. „Das … das kann nicht sein. Ich … sie war da an diesem Abend! Sie war da!“

      Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf. „Sie war weder vor zwei Tagen, noch vor vier oder sechs Tagen hier.“

      „Aber …“ Er starrte in ungläubigem Entsetzen den Mann hinter dem Schreibtisch an.

      „Ihre ohnehin schon bescheuerte Geschichte geht damit endgültig den Bach runter. Schade für Sie.“ Feldberg bemühte sich nicht, sein Vergnügen zu verbergen.

      „Nein! Ich könnte Angelica niemals etwas antun. Wir … Ich liebe sie noch immer, verstehen Sie? Ich war nur verbittert, weil wir uns getrennt haben.“ Jacob bekam kaum Luft. Der unnachgiebige Stahl der Handfesseln hatte sich wie ein brennendkalter Ring um sein Herz gezogen.

      „Ich sage Ihnen was, Severin: Sie haben sie gehasst. Nicht nur, dass Sie unerträglich eifersüchtig waren, Sie haben auch mit Morddrohungen um sich geworfen, als die Beziehung in die Brüche ging.“

      „Sie hat mich betrogen, Kramer!“

      „Deshalb bedroht man noch lange niemanden mit dem Tod.“

      „Wer hat …“

      Der Beamte winkte ab: „Wir haben so unsere Quellen.“

      Jacob sah bestürzt auf den Linoleumboden zwischen seinen Füßen. Die Maserung darin schmerzte in seinen vertränten Augen. Ein Bild stieg in ihm auf, floss langsam aus der Verschwommenheit zusammen. Er riss die Lider weit auf, ließ die stechende Helligkeit auf den Eindruck prasseln, aber er wurde dennoch deutlicher. „Ich hätte ihr niemals etwas getan. Niemals. Wir sind uns einfach aus dem Weg gegangen. Das ist alles.“ Seine Stimme war ein zerbrechliches Flüstern. Im Raum war es still genug dafür.

      „Wir glauben etwas anderes: Sie haben Ihre ehemalige Verlobte in Ihre Wohnung eingeladen.“

      „Nein, es war das Loft meiner Mutter.“

      Kramers Entgegnung troff vor Sarkasmus: „Sie waren also ganz zufällig dort und unerwartet kam Ihre Verlobte vorbei, blieb zum Abendessen, sie haben miteinander geschlafen und sie spontan umgebracht. Danach schließlich noch die Leiche in Ihr eigenes Apartment geschleppt.“

      „Nein, so war es nicht.“

      „Oder Sie waren von Anfang an nur scharf darauf, sie zu vögeln. Haben ihr gesagt, dass sie sich mit ihr versöhnen wollten. Frauen stehen ja auf so etwas. Ein bisschen gutes Essen, etwas zu viel Wein und dann ab in die Kiste …“

      Jacob schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich habe nicht …“ Das Bild kam immer näher.

      „Nicht mit ihr geschlafen?“ Kramer wartete Jacobs Reaktion gar nicht erst ab. „Dann waren das wohl alte Spermaspuren von Ihnen, die wir da in der Toten gefunden haben?“

      „Ich …“ Es war Angelicas Gesicht, das nun deutlich vor ihm stand. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Ihr leicht geöffneter Mund, die sommersprossige Nase und ihre rehbraunen Augen, die einen Glanz in sich trugen, den er nur zu gut kannte. „Ich … wollte nicht … Die haben mich dazu gezwungen.“ Jacob spürte, dass weitere Erinnerungsfetzen aus der Dunkelheit aufstiegen. Eindrücke, die das Blut in seinen Ohren rauschen ließen. Sein Schwanz zuckte unruhig in seiner durchschwitzten Hose. „Die haben mich zu alledem gezwungen …“

      „Jetzt erinnern Sie sich also doch, mit ihr geschlafen zu haben?“

      Severins weit aufgerissene Augen tränten. Sein Atem ging schwer, rasselte in seiner pochenden Brust, aus der die Bilder emporstiegen. Angelica. Ihr Name rauschte in seinen Ohren, flutete durch seinen Schädel, erstickte alle anderen Gedanken. Er begann heftig zu zittern, spürte Ekel und hilflose Wut in sich aufsteigen. Ein zäher Brei, in den sich das Gift der Erregung schlich. Angelica. Ihr Name pulsierte durch seinen Körper. Das Glitzern brennender Lust in ihren Augen.

      Hitze. Das Lichtermeer der Kerzen verbreitete träge, schweißtreibende Wärme. Sein Glanz blendend, verschwommen. Die Luft geschwängert von einem zähen, süßen Duft. Hinter den Flammen, die unzählig wie die Sterne am Nachthimmel wirkten, verlor sich das Schlafzimmer in unklaren Schatten. Und über allem ein durchdringender Takt, stetig, bestimmend. Severin hörte den Pulsschlag, seinen Pulsschlag. Er lag über allem, erstickte Worte und Laute, das Rauschen der Seide, die klatschenden Berührungen der Leiber, die im unwirklichen Flammenschein wie gegossene Bronze schimmerten. Er spürte, wie das Pulsieren ihn durchdrang, jeden Winkel in ihm ausfüllte, ihn erzittern ließ. Vorwärts trieb. Sein Blick sog sie in sich auf, heftete sich erst auf ihre Brüste, folgte den deutlichen Rundungen, bis sie sein Blickfeld ausfüllten, monströse Ausmaße erreichten. Seine Hände nahmen die Schweiß bedeckte Haut in Besitz, umfassten das weiche Fleisch. Begannen, die Spitzen zu kosen, anfangs zögernd, bald grob und unbeherrscht. Unter dem Jagen seines Pulses hörte er ihr Echo, ein hastiges Keuchen, voller Lust und sachtem Schmerz. Seine Augen ließen schließlich davon ab, wanderten weiter hinunter, strichen über die makellose Wölbung ihres Bauches. Beschrieben einen Bogen, um sich ihrem Geschlecht von unten herauf zu nähern. Die empfindsame Haut ihrer Schenkel entlang. Glatte, zyklopische Säulen, deren Endlosigkeit in feuchter, geschwollener Erwartung endete. Geöffnete Blütenblätter, deren benetzte Geheimnisse riefen. Jacobs Hände glitten über die seidene Haut, um sich im nächsten Moment in die empfindliche