Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2


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die Dame etwas Zeit, sich meine Geschichte der Reise zu den Kleinstaaten anzuhören. „Moment, das ist ja interessant. Sie haben Xavier zufällig in Montenegro getroffen und wollen ihn jetzt hier sprechen, einfach so? Warten Sie, ich rufe noch einmal bei der FAN an. Wir machen das jetzt offiziell.“ Gesagt, getan. Sie lässt sich mit Xavier Torrallardona Caceres verbinden, erzählt ihm, dass Manfred aus Deutschland hier sei, fragt ihn, wann und wo er Zeit für ein Treffen hat, bedankt sich für die Antwort und legt auf. „Xavier wollte nachher sowieso hierher kommen. Er kommt jetzt etwas eher, so in etwa 15 Minuten. Warten Sie oben am Eingang auf ihn.“ Na also, geht doch!

      Ich bin mir sicher, dass Xavier während des Telefonats nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wer denn hier eigentlich auf ihn wartet. Als er ins Sportzentrum hereinkommt und mich sieht, ist seinem Gesicht anzusehen, dass er krampfhaft versucht, mich zuzuordnen. Seine Mine klart dann aber schnell auf. Offensichtlich erinnert er sich daran, dass wir uns in Montenegro im Schwimmstadion trafen (zum Zwecke der Wiedererkennung trage ich natürlich mein gestern frisch gewaschenes Montenegro-T-Shirt). Ich stelle mich namentlich vor und reiche ihm meine Visitenkarte. „Reisen und Schreiben, Viajar y Escribir“, erläutere ich das Motto meiner Karte. „Setzen wir uns doch dort drüben hin“, fordert mich Xavier auf, „dort können wir in Ruhe reden“. Und da er nichts dagegen hat, dass ich unser Gespräch aufzeichne, kann ich feststellen, dass wir uns 28 Minuten und 58 Sekunden lang sozusagen offiziell und danach noch gute 15 Minuten lang „off-the-record“ unterhalten.

      Zuerst einmal beglückwünsche ich Xavier noch einmal zu den Bronzemedaillen in Montenegro und erfahre sogleich, dass eine der beiden Bronzemädels, nämlich Nadja Tudo Cubells, sogar noch eine Goldmedaille geholt hat. „Nadja hat übrigens einen deutschen Freund und wohnt in der Nähe von Stuttgart. Vorher studierte sie an einer Universität in den USA, aber in Deutschland hat sie sich zuletzt sehr verbessert.“ Mit der Schwimmszene in Deutschland kennt sich Xavier bestens aus. „Die deutschen Schwimmer sind ja leider nicht mehr so erfolgreich wie früher. Insbesondere in der DDR gab es hervorragende Strukturen.“ „Na ja, aber auch Doping, wie man so hört und liest“, wende ich ein. „Vielleicht ja auch Doping, aber die Grundlagen des Erfolgs waren die Strukturen. Talente wurden gezielt gesucht und gefördert. Alle jungen Schwimmerinnen und Schwimmer mussten die vier Schwimmstile trainieren, immer wieder. Erst später kam dann die Spezialisierung hinzu. So hat man sehr viele Erfolge erzielt, ich erinnere mich sehr gut an das Zentrum in Magdeburg, zum Beispiel. Insbesondere auf die Ausdauersportarten wurde viel Wert gelegt. Es gab an den Sporthochschulen in der DDR auch einen großen Austausch zwischen den Sportlern aus verschiedenen Sportarten, die alle mit Ausdauer zu tun haben. Schwimmen, Rudern, Radfahren, Leichtathletik. Die Ruderer waren wohl diejenigen, die technisch am weitesten entwickelt waren. Die Leute kritisieren heute alle das Doping, aber sie vergessen, dass es diese hervorragenden Strukturen gab.“

      „Und welche Rolle spielt dann das persönliche Talent?“ „Talent ist wichtig, aber auf der anderen Seite hat mir der damalige Cheftrainer des Schwimmverbandes der DDR, Wolfgang Richter, mal erzählt, dass es in der ganzen erfolgreichen Ära des DDR-Schwimmsports nur zwei Naturtalente gab. Stell Dir das vor. In ganz Deutschland nur zwei. Der eine war Roland Matthes und diese Schwimmerin, wie war noch der Name?“ Und während Xavier noch nachdenkt, kommt es mir zugute, dass ich zuhause regelmäßiger Konsument des deutschen Seniorenfernsehsenders ZDF bin. „Kristin Otto“, schlage ich vor, „die arbeitet jetzt beim Fernsehen.“ Bingo, es ist Kristin Otto. „Abgesehen von diesen beiden Talenten – der Rest war Arbeit, harte Arbeit.“

      Doch zurück zum Schwimmen in Andorra. „Nadia hat sich so sehr verbessert, dass sie jetzt die Norm für die olympischen Spiele geschafft hat und an der nächsten Olympiade teilnehmen kann. Sie hat jetzt gerade bei der Weltmeisterschaft in Korea einen 11. Platz belegt.“ Xavier ließ sich bei der Weltmeisterschaft übrigens von einem Kollegen vertreten. Zur gleichen Zeit fand ein vorolympischer Nachwuchswettbewerb statt, und für Xavier war es wichtiger, bei den ganz jungen Schwimmern zu sein. Der Katalane Xavier hat den Posten des Cheftrainers seit einem knappen Jahr inne und setzt ganz auf den Nachwuchs. Vorher arbeitete Xavier beim berühmten Schwimmclub Sabadell, „einem der erfolgreichsten Clubs von ganz Spanien, aber dort kam es im Zuge eines Präsidentenwechsels zu Verwerfungen, es passierten komische Sachen, die ich immer noch nicht verstehe, nun, es gibt in der Welt schlechte Menschen. Ich hatte einen Vierjahresvertrag, aber nach einem Jahr war Schluss, trotz guter Resultate.“

      Die Trainingsbedingungen für den Nachwuchs seien nicht schlecht in Andorra. „Allerdings ist das nationale Schwimmbad kürzlich abgebrannt. Bis es wieder aufgebaut ist, müssen wir außerhalb Andorras trainieren.“ Für das Fürstentum Andorra spielt der Schwimmsport keine allzu große Rolle. „Wir müssen die Mentalität ändern, auch die der Eltern. Wir brauchen mehr Unterstützung.“ Ein besonderes Problem sieht Xavier auch darin, dass es in Andorra nur äußerst begrenzte Möglichkeiten gibt, zu studieren. „Die 18-jährigen Talente ziehen alle weg und studieren im Ausland. Hier in Andorra kann man nicht studieren und gleichzeitig unter professionellen Bedingungen trainieren. Dazu gehört auch ärztliche Betreuung, Physiotherapie und so weiter.“ Mir kommt der Gedanke, dass man ja vielleicht ein paar gute Schwimmer einbürgern könnte, die dann für Andorra Medaillen holen könnten, aber Xavier sieht dafür keinerlei realistische Möglichkeiten. „Um Andorraner zu werden, müssen Ausländer mindestens 20 Jahre in Andorra leben. Nach drei Jahren in Andorra kann man hier zwar an nationalen Meisterschaften teilnehmen, aber nicht für die Nationalmannschaft schwimmen.“

      Xavier berichtet dann auch, dass es ein Problem bereitet, dass immer mehr Menschen nach Andorra zögen. Die Preise für Mieten würden immer höher klettern. „Ich arbeite in Ordino aber wohne in La Massana, weil dort die Mieten nicht so hoch sind.“ Die hohen Lebenshaltungskosten in Andorra würden dazu führen, dass immer mehr Andorraner ins Ausland zögen. „Sie ziehen nach Frankreich oder nach Barcelona.“ Die Zeiten, als Andorra noch ein Steuerparadies war, seien jetzt vorbei. „Natürlich sind die Einkommen in Andorra immer noch sehr hoch, aber die Kosten auch.“

      Ein Thema liegt Xavier dann noch besonders am Herzen. „Andorra ist das einzige Land der Welt mit Katalanisch als Landessprache.“ Und auf meine Frage, was er denn von den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien hält, antwortet Xavier wie aus der Pistole geschossen: „Ich bin Katalane!“ Das bleibt aber nicht seine einzige Antwort. „Es macht mich traurig, dass Menschen ins Gefängnis müssen, weil sie ihre Meinung äußern. Das ist eine sehr außergewöhnliche Situation in Spanien. Die Regierung versteht einfach nicht, wie die Katalanen denken, dass wir mit Spanien unzufrieden sind. Viele Unterstützer der Unabhängigkeit sind der Meinung, dass sie ausgeraubt werden, dass die spanischen Politiker sehr schlecht sind, sehr unsensibel, und dass sie die Leistung Kataloniens nicht anerkennen. Ich glaube, dass Katalonien ein wirtschaftlicher Motor Europas ist, so wie ja auch Deutschland mit Bayern einen Motor hat.“ „Na ja, Baden-Württemberg ist auch nicht schlecht“, wende ich ein, aber Xavier redet schon weiter: „La Merkel hilft Bayern, weil Bayern für Deutschland wichtig ist. Aber in Spanien ist das anders. Die Spanier verstehen nicht, wie wichtig Katalonien ist. Und dazu zählt auch unsere Sprache. Katalanisch ist unsere Muttersprache!“

      Xavier ist nicht nur Schwimmtrainer. „Ich bin fast Doktor. Ich habe studiert und meinen Master gemacht. Ich habe sogar zwei Master und ein Diplom für ‚weiterführende Studien‘. Außerdem habe ich ein Doktorat absolviert. Ich habe nur keine Zeit gefunden, die Doktorarbeit zu schreiben.“ Jetzt ist Xavier 56 Jahre alt, da wird es wohl nichts mehr mit dem Doktortitel. Trotzdem arbeitet er auch wissenschaftlich. Nicht nur über das Schwimmen, auch über Radfahren und Rudern. Er arbeitet mit an einer Internetplattform für Trainingsmethoden. Aber seine Hauptaufgabe ist natürlich die Nationalmannschaft der Schwimmerinnen und Schwimmer Andorras. „Und was erhoffen Sie sich von den nächsten Olympischen Spielen?“ „Nichts, gar nichts.“ „Keine einzige Finalteilnahme?“ „Nein, davon sind wir weit entfernt. Es wäre aber sehr schön, ein B-Finale zu erreichen. In Andorra haben wir gerade einmal etwa 200 Aktive in sieben Clubs. 13, 14 Schwimmerinnen und Schwimmer sind in der Nationalmannschaft. Seit ich hier bin, haben wir eine regelmäßige Trainingsgruppe. Vorher war hier…“ Xavier macht eine Geste, die nicht missverstanden werden kann. Offenbar gab es hier viele Missstände zu beseitigen.

      Aber Xavier ist Optimist. „Ich fordere immer ein wenig mehr,