Manfred Stuhrmann-Spangenberg

Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 2


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die Gibraltarer und erlebe meine erste Überraschung. Hatte ich doch vermutet, dass die Bewohner des britischen Überseegebietes ihre Jungs auf Englisch anfeuern würden. Aber außer des Basketball-Schlachtrufes „Defense“, also „Abwehr“, den ich ja schon aus Montenegro kenne und der immer dann lauthals gerufen wird, wenn der Gegner im Ballbesitz ist, höre ich nur spanische Anfeuerungsrufe. Auch untereinander sprechen diese Gibraltarer hier ausschließlich Spanisch! Diese Überraschung muss ich erst einmal verarbeiten. Die Pause nach dem zweiten Viertel nutze ich, um mich von einer der Spielermütter aufklären zu lassen.

      „Natürlich wird in der Schule auf Englisch unterrichtet, aber fast alle unsere Jungs hier sprechen zuhause und untereinander zumeist Spanisch. Wir sind eine Kolonie der Engländer, eine sehr spezielle Situation.“ Vielleicht habe ich ein Plus bei der Frau gesammelt, indem ich sie auf Spanisch angesprochen habe. Sie redet jedenfalls mit andalusischem Temperament auf mich ein und fächert sich dabei mit einem dieser typischen spanischen Fächer Luft zu. Hätte diese Frau kein „Gibraltar-Trikot“ an, dann würde sie das Klischee einer feurigen Andalusierin perfekt bedienen. „Wenn Sie nach Gibraltar kommen, dann werden Sie feststellen, dass wir eine ganz bunte Mischung sind. Das betrifft die Herkunft der Einwohner genauso wie die Religion. Bei uns leben Anglikaner, Katholiken, Juden, Moslems. Jetzt gibt es zum Beispiel auch eine neue Moschee. Diese Mischung finden Sie auch in unserer Mannschaft. Schauen Sie sich doch einmal die Nachnamen an!“

      Die Frau mit einem typisch spanischen Nachnamen hat natürlich recht. Die meisten der Spieler haben spanische Namen, gefolgt von ein paar englischen, arabischen und auch einem jüdischen Namen. „Unseren Spielern ist es völlig egal, woher die Mitspieler stammen. Sie sind ein Team und wollen als Team erfolgreich sein.“ Bisher hat die Mannschaft Gibraltars ein Spiel gewonnen und eins verloren. Heute muss also ein Sieg her, um die Chancen zu wahren. „Ihr Sohn spielt ja sehr erfolgreich und hat bisher schon viele Körbe erzielt. Da müssen Sie doch sehr stolz sein“, schmeichele ich meiner Gesprächspartnerin ein wenig. „Natürlich bin ich stolz. Aber Sie sollten mal sehen, mit wie vielen blauen Flecken der Junge nach den Spielen nach Hause kommt. Das Wichtigste ist, dass er sich nicht verletzt und gesund bleibt.“ Welche Spielermutter hätte mir eine andere Antwort gegeben? Ich sollte weniger schmeicheln und intelligentere Fragen stellen. Aber ehe ich dazu komme, werde ich meinerseits gefragt, wie mir denn Andorra gefalle, denn „das ist doch hier ein wunderschönes Land, so viele hohe Berge, die schöne Natur, das milde Klima. Bei uns ist es jetzt brütend heiß.“

      Stimmt, „Andorra ist sehr schön, auf jeden Fall in den Bergen“, diese Antwort fällt mir sehr leicht. Wäre es hier so heiß wie in Andalusien, dann wäre meine Wanderung im Nationalpark Sorteny auch eine ziemliche Qual gewesen. „Aber wenigstens einen Berg haben Sie ja auch in Gibraltar.“ „Und den sollten Sie auf jeden Fall besuchen. Passen Sie auf, die Affen dort können ganz schön aggressiv werden. Aber die Ortschaften unten am Meer sind auch einen Besuch wert.“ „Und wie lebt es sich ansonsten so in Gibraltar?“ Jetzt setzt die Dame eine strenge Mine auf. „Wir leben in einem Mafia-Staat. Diese ganze Tax-free-Geschichte sorgt dafür, dass der Schmuggel blüht. Und das geht bis hoch in die obersten Kreise der Gesellschaft. Unsere Banken haben früher viel Geld ins Land geholt. Das ist seit ein paar Jahren vorbei.“ Das kommt mir jetzt sehr bekannt vor, so dass ich einwerfe, dass dieses Problem viele der kleinen Staaten betrifft. „Ja, andere Länder haben auch das Problem, dass Steueroasen jetzt ausgetrocknet werden. Aber wir haben noch ein riesiges zusätzliches Problem.“ Und etwas vorlaut unterbreche ich die Frau und nenne das Problem beim Namen: „Brexit“. Unschwer zu erraten, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe.

      Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass meine Gesprächspartnerin und die anderen Spielereltern hier auf der Tribüne beim „God save the Queen“ lauthals und enthusiastisch mitsingen würden, aber vielleicht liege ich ja auch falsch. „Auch falls wir das Spiel doch noch verlieren sollten, wäre es auch so schon eine tolle Sache für unsere Spieler, überhaupt bei so einem Turnier dabei zu sein. Diese Reise hierher ist auf jeden Fall ein einmaliges Erlebnis für uns alle.“ Ein schönes Schlusswort. Noch ein Foto? „Nein, nein, nicht mit mir. Aber ich mache gerne ein Foto von Ihnen mit unserer Fahne.“ So soll es sein. Wir verabschieden uns herzlich voneinander und widmen uns wieder dem Spiel.

      Jetzt hat auch schon das dritte Viertel begonnen und ich setze mich direkt hinter die Bank der Spieler Gibraltars. Auch der Trainer gibt seine Ansagen auf Spanisch, aber das überrascht mich jetzt nicht mehr. Und es sieht gut aus für seine Jungs. Die Halbzeit-Führung kann bis zur Schlusssirene verteidigt, ja sogar noch ausgebaut werden. Am Ende steht für Gibraltar ein 69:59-Sieg gegen Malta zu Buche. Die Spieler und ihre Eltern sind überglücklich. Die Mütter und Väter kommen hinunter an den Rand des Spielfeldes und herzen und drücken ihre Söhne. Davon mache ich jetzt doch ein Foto, aber natürlich so, dass weder Mutter noch Sohn zu erkennen sind. Ich bin doch kein Paparazzo!

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      Beglückwünschung nach dem Spiel

      Zu Besuch bei den (Halb-)Inselaffen

      Ich bin bestens vorbereitet. Gestern habe ich mir in der Touristeninformation die notwendigen Informationen für die Kletterei am Felsen besorgt. Und danach in der Main Street während der happy hour ein Gratis Pint San Miguel gesichert. Danach bin ich wieder aus Gibraltar ausgereist, denn in Spanien wohnt man deutlich günstiger als in Gibraltar. Heute reise ich wieder nach Gibraltar ein und marschiere mit den anderen Fußgängern über die Start- und Landebahn des Flugplatzes in die Stadt. Am Busbahnhof nehme ich den Bus Nummer 2 und fahre bis zur Station „Garrison Gym“. Hier beginnt mein Aufstieg. Während ich die Windmill Hill Road hinauf zum jüdischen Tor laufe, werde ich von einigen Ausflugsbussen überholt. Natürlich kann man auch eine Tour buchen, gleich hinter der Grenze. Wer nicht gut zu Fuß ist, dem sei das auch empfohlen, es sei denn, er oder sie nimmt die Seilbahn, die auch auf den Berg hinaufführt. Auch auf die Gefahr hin, dass mein Buch jetzt zu einer Art Wanderführer ausartet: Je nach Lust, Laune und Ausdauer kann man am Felsen von Gibraltar unter vier verschiedenen Wanderwegen auswählen: Der zu den verschiedenen Forts führende „History Buff“ und der wahrscheinlich populärste Weg, der „Monkey Trail“, werden als mittelschwere Wanderwege angegeben, der „Nature Lover“ gilt als einfacher Wanderweg, führt aber nicht bis nach oben zu den Affen, und dann gibt es noch den „Thrill Seeker“, der als schwer gilt und laut Beschreibung perfekt ist für Adrenalin-Junkies und Fitness-Enthusiasten.

      Entweder wollte die junge Dame in der Touristeninformation mich auf den Arm nehmen, als ich ihr gestern sagte, dass für mich natürlich der „Thrill Seeker“ die passende Wahl sei und sie mir daraufhin anerkennend gratulierte, oder sie hat schlechte Augen und einfach nicht erkannt, dass ich als Ü60er vielleicht nicht unbedingt in die Zielgruppe der „Thrill Seeker“ falle. Ich meinte es aber selbstverständlich ernst, denn die Wegbeschreibung ist einfach zu verführerisch: „Mediterranean Steps, Skywalk, Charles V wall und Windsor Bridge“. Gleich am jüdischen Tor, dem Südeingang des Naturschutzgebietes „Upper Rock“, beginnt der erste Teil des „Thrill Seeker“-Wanderweges, die mediterranen Stufen. Dass diese allerdings vom kleinen jüdischen Friedhof und einer Vogelbeobachtungsstation aus erst einmal wieder abwärts führen, das hatte ich nicht unbedingt erwartet. Nun, es ist ja erst kurz nach 10.00 Uhr vormittags, die Sonne steht also noch schön im Osten. Habe ich schon erwähnt, dass sich die mediterranen Stufen am Osthang des Felsens befinden? Nach einigen Windungen hinab geht es jetzt endlich bergauf. Ich schaue nach links oben und sehe eine steile Felswand. Ups, mein Etappenziel, die „O´Harra´s Battery“, muss dort irgendwo ganz oben liegen.

      Eines kann ich hier verraten. Für Fußlahme und Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sind die mediterranen Stufen nicht gemacht. Die unzähligen Stufen werden nur selten von kleinen Abschnitten halbwegs ebenen Weges abgelöst. Wie gut, dass die Sonne kräftig scheint, da brauche ich nicht zu frieren. Es ist anstrengend, Stufe für Stufe nach oben. Ein einziges Mal unterbricht ein kurzer Tunnel die Tortur und spendet Schatten. Am Beginn des besonders steilen Schlussanstieges mache ich Platz für einen etwa fünfzigjährigen Bergsprinter. Der Mann nimmt die mediterranen Stufen wirklich sportlich und zieht an mir vorbei. Ich sehe ihn immer mal wieder vor mir