Kerstin Schmidt

Max das Deichschaf


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war aufsässig. Keines — außer jetzt dieser Max! Unglaublich, dieser Lümmel! Machte ein Angstwässerle, gab aber dennoch einem Leithammel Kontra. Das ging ja gar nicht. Diesen Lümmel musste er im Auge behalten, wer weiß, was der noch so alles anstellte.

      Plötzlich musste Eugen grinsen. Max erinnerte ihn an sich selbst — früher, als Eugen noch jünger war. Auch er hatte am ersten Tag seines Lebens seine Mutter verloren, weil er damit beschäftigt war, sich den Menschen zu präsentieren. Er liebte das. Und auch er hatte, wie heute Max, dabei seine Mutter aus den Augen verloren. Und … ja auch er stand damals dem Leithammel so gegenüber, wie Max ihm heute gegenübergestanden hatte. Eugen lachte laut. Ja, eindeutig, Max war sein Sohn. Wer weiß, vielleicht würde Max sein Nachfolger werden und als Leithammel später diese Schafherde führen?

      "Pass gut auf ihn auf, Nana", sagte Eugen, "der Kleine da ist in der Lage bei Ebbe in der Nordsee zu ertrinken." Eugen lachte noch lauter. Diesen Spruch hatte er noch loswerden müssen. Dann drehte er sich um und ging davon.

      "Hast du ihn gefunden?", fragte Emma.

      "Ja", antwortete Nana. "Max hat gerade die Bekanntschaft seines Vaters gemacht und er war dabei wohl etwas vorlaut."

      "Mann, Junge, du traust dich was. Sei froh, dass du noch lebst, das hätte ins Auge gehen können. Als Lamm einem Leithammel alleine gegenüberzutreten ist ja schon gefährlich genug. Ich will gar nicht wissen, was du zu ihm gesagt hast", meinte Emma keuchend zu Max. "Was hast du denn gesagt?"

      "Ach, so wild war's gar nicht", erwiderte Max und spielte sich auf. Max fand sich voll cool und er erzählte Emma alles ausgiebig.

      "Schluss jetzt mit dem Unfug", tadelte Nana ihren Sohn. "Emma hat recht. Dem Leithammel als Lamm gegenüberzustehen ist nicht ungefährlich. Geh' ihm zukünftig aus dem Weg, hörst du?"

      "Ja, Mama", sagte Max kleinlaut.

      "Das rate ich dir auch, Max. Und pass' zukünftig mehr auf deine Mutter auf. Ich persönlich finde, ein Lamm, das seine Mutter gleich am ersten Tag verliert, ist etwas blöd", äußerte sich Emma.

      Oooh … Max war empört und sagte schroff: "Und ich finde, du bist viel zu dick. Ich rate dir mal abzunehmen. Sieh dir doch nur mal deinen dicken Bauch an!"

      "MAX!", riefen Nana und Emma gleichzeitig und sahen ihn entsetzt an.

      Max wurde sofort bewusst, dass er Emma beleidigt hatte — das wollte er nicht. Er war nur so unglaublich wütend. "Entschuldigung Emma, das wollte ich nicht sagen, tut mir leid", entschuldigte Max sich, ehe er sich verschämt in Nanas Fell versteckte.

      Der Tag ging vorüber und die Nacht kam. Der Wind nahm zu und dunkle, schwere Wolken zogen über den Himmel. Später fing es an zu regnen und die Schafe rückten enger zusammen. Max drückte sich ganz an seine Mutter heran. Regen, das wusste Max sofort, Regen hasste er! Es wurde ja alles nass! Das Fell seiner Mutter, das Gras und überhaupt — warum musste es regnen? Wer brauchte so was? Max verkroch sich noch tiefer in Nanas Fell und hoffte, dass es bald aufhören würde zu regnen.

      Spät in der Nacht hörte Max ein Schaf schreien. "Mäh, määäähhh, määääähhhh." Max erschrak und es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. Die Schreie hörten sich ja schrecklich an, so als ob jemand starke Schmerzen hätte. Immer wieder und sehr lange hörte Max die Schreie in dieser Nacht. Die Schafe um ihn herum wurden unruhig, auch Nana — vor allem Nana. Max bekam es mit der Angst zu tun, was war hier los? Plötzlich erklang zwischen den Schreien ein lautes erleichtertes Stöhnen, danach war es ruhig. Keine Schreie mehr. Nach einer Weile kam ein anderes Schaf zu Nana rüber: "Es ist alles in Ordnung" sagte das Schaf und ging weiter. Nana entspannte sich daraufhin und atmete einmal tief durch. Zärtlich leckte sie über Max' Fell. Danach schliefen Mutter und Lamm endlich ein.

      "Max, aufwachen! Komm, wir besuchen Emma." Liebevoll weckte Nana ihren Sohn. Sie wollte so schnell wie möglich zu ihrer Freundin.

      Doch Max war ein Morgenmuffel. Er brauchte, um wach zu werden, erst mal einen großen Schluck von der Milchbar.

      Danach gingen beide zu Emma. Auf dem Weg dorthin träumte Max seinen Traum vom Leithammel. Er wollte unbedingt ein Leithammel werden, was anderes war nicht akzeptabel. Er war so in seinem Traum versunken, dass er Emma gar nicht erkannte, als er vor ihr stand. Das konnte doch nicht Emma sein!? Aber sie roch wie Emma und als seine Mutter fragte: "Emma, wie geht es dir? Ich habe mir heute Nacht solche Sorgen um dich gemacht", da wusste Max mit Sicherheit, dass es Emma war. Aber Emma war total schlank! Kein Bauch mehr da, alles weg! Na, die hat ja schnell abgenommen, dachte Max.

      "Alles in Ordnung, Nana", sagte Emma. "Die Geburt war sehr anstrengend. Ich bin noch etwas schwach auf den Beinen, aber sonst geht es uns gut", und Emma betonte das uns.

      Uns?, fragte sich Max.

      "Komm hervor, meine Tochter, und zeig dich", lockte Emma, den Blick auf ihr Fell gerichtet.

      Ganz schüchtern kam unter dem dichten Fell von Emma ein kleines, beigefarbenes Lamm mit schwarzem Kopf und schwarzen Beinen zum Vorschein. Unglaublich zart und hübsch, mit wunderschönen braunen Augen und langen geschwungenen Wimpern. Wow — Max verschlug es die Sprache! Er hatte dieses süße Wesen sofort in sein Herz geschlossen. Auch Nana stieß einen entzückten Schrei aus, woraufhin Max erschrak.

      "Darf ich vorstellen? Das ist meine Tochter Very Nice. Very Nice, das sind Nana und ihr Sohn Max", stellte Emma ihre Tochter vor.

      "Hi, Max", begrüßte Very Nice ihn.

      "Hi Very Nice", sagte Max zärtlich und beide lächelten sich an.

      Als Nana mit Max zur Wassertränke lief, fragte Max: "Mama, wo kommt Very Nice denn so plötzlich her und warum ist Emma auf einmal so schlank?"

      Nana lachte und antwortete nur: "Noch nie was von einer Blitzdiät gehört?"

      Also doch, dachte Max! Emma hatte über Nacht eine Diät gemacht und dabei sogar noch eine Tochter bekommen. Schon wieder war Max stolz auf sich, denn er hatte wieder ein Problem gelöst — nicht seines, sondern Emmas Problem mit dem Gewicht. Durch seinen Vorschlag abzunehmen war Emma jetzt wieder schlank. Na bitte, wer sagt's denn. Geht doch. Fragt einfach mich, denn ich bin schließlich Max das Deichschaf aus Greetsiel. Und Max lief den Rest des Tages anmutig wie ein König über den Deich.

       Die Tage vergehen

      Max lernte in den nächsten Wochen sehr viel dazu. Er lernte den Schäfer mit seinen Hütehunden kennen, und dass man vor ihnen keine Angst zu haben braucht. Der Schäfer war ein sehr netter Zweibeiner, der für Max und die anderen Schafe nur das Beste wollte. War eines der Schafe krank, so versorgte es der Schäfer gut. Hatte sich ein Schaf mal einen Stein in den Huf getreten, was äußerst schmerzhaft war, so entfernte er den Stein vorsichtig aus dem Huf. Anschließend reinigte und desinfizierte er die Stelle. Dabei sprach er mit ruhiger und gelassener Stimme mit den Schafen. Die Schafe wussten alle, dass der Schäfer ihnen niemals etwas Böses antun würde und alle ließen sich gerne von ihm streicheln und heilen.

      Der Schäfer war in diesem Sommer besonders stolz. Es hatte in seiner Schafherde sehr viele hübsche neue Lämmer gegeben. Von all den vielen Lämmern mochte der Schäfer Max am liebsten, denn Max hatte schnell kapiert, dass der Schäfer immer ein paar Leckereien dabei hatte wenn er zum Deich kam. Die bekamen die Schafe aber nur, wenn man ganz nah an den Schäfer herantrat und sich dann auch noch streicheln ließ, denn dabei konnte der Schäfer sofort sehen, ob eines seiner Schafe oder Lämmer krank war.

      Max liebte die Leckereien über alles, genauso wie die Streicheleinheiten und das Kraulen. So sprang er sofort mit einem freudigen "Määäh" dem Schäfer entgegen, sobald er ihn sah. Dies wiederum gefiel dem Schäfer sehr. Er lachte jedes Mal darüber. Noch nie hatte er ein Lamm gehabt, welches ihm stets so freudig entgegen sprang. Die Hunde des Schäfers — Zongo und Joschi — waren auch super. Sie trieben die Schafe zusammen, damit der Schäfer einen besseren Überblick über die Herde hatte oder wenn die Herde weiterzog, zu frischem Gras. Die Hunde passten dann auf, dass keines der Schafe sich verirrte oder zurückblieb.