Kerstin Schmidt

Max das Deichschaf


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Die Hunde liefen auf Befehl des Schäfers mit lautem Gebell, in immer kleiner werdenden Kreisen um die Schafe herum, bis alle Schafe eng beieinanderstanden. Die Schafe ihrerseits blökten was das Zeug hielt, um ihren Unmut gegen diese Aktion kundzutun. Max amüsierte das ganze Treiben immer, denn ihn betraf es nie, da er ja bereits beim Schäfer stand und die Leckerlis mampfte, während er das Schauspiel beobachtete.

      Max ging auch zur Schule. Die fand immer nach dem Frühstück und am Nachmittag statt. Dann trafen sich alle Lämmer mit ihren Müttern und der Lehrerin Frau Dr. Müller-Schmidt. Frau Dr. Müller-Schmidt war eine tolle Lehrerin, die sehr viel wusste. Sie wurde vom Schäfer vor langer Zeit von einer reichen Familie gekauft, die sie, als sie noch ein Lamm war, allein auf einer Wiese gefunden hatten. Die reiche Familie nahm das kleine Lamm mit und zog es groß. Als Frau Dr. Müller-Schmidt ausgewachsen war, wollte die reiche Familie sie nicht mehr haben und verkaufte sie. Einen Namen hatte sie bis dahin noch nicht. Als sie dann auf der Weide in der großen Schafherde stand und sich ihr alle Schafe vorstellten, wurde auch sie nach ihrem Namen gefragt. Ihr fiel auf die schnelle nur der Familienname ihrer reichen Familie ein: "Mein Name ist Dr. Müller-Schmidt und ich bin ein gebildetes Schaf. Ich wuchs in einer reichen, gebildeten Familie auf. In dieser Familie wurde viel gelehrt. So habe ich sehr viel Wissen erlangt." Die anderen Schafe staunten und waren erst mal sprachlos über so viel Wissen und über die Sprach- und Ausdrucksweise von Frau Dr. Müller-Schmidt, sodass sie sie mit großen Augen und teilweise offenen Mündern anstarrten. Keines der Schafe sagte auch nur ein Wort; man hörte nur die Wellen der Nordsee die immer näher an das Ufer traten, als Zeichen dafür, dass die Flut wieder kam. "Großartig", hatte Eugen da gerufen, "ab sofort haben wir eine Lehrerin für die Lämmer in unserer Herde. Herzlich willkommen Frau Dr. Müller-Schmidt, mäh." Seither war Frau Dr. Müller-Schmidt offiziell Lehrerin und wurde von allen voll und ganz respektiert. Viele erwachsene Schafe ließen sich auch von ihr unterrichten, um ihren Horizont etwas zu erweitern.

      Von dieser Lehrerin erfuhr Max nun endlich, dass die Nordsee ein Meer, Greetsiel ein Fischerdorf, die Welt rund ist und vieles mehr. Die Antwort auf Ebbe und Flut war Max ganz wichtig, denn er erfuhr, dass man bei Ebbe nicht ertrinken konnte, wie Eugen einst behauptete. Bei Flut war das schon anders. Er wusste nun warum sich das Meer über Stunden verzog, um danach wieder zurückzukommen. Very Nice meinte einmal, dass das Meer sicher auch zur Schule gehen müsse, sich dann zurückzöge und nach Schulschluss wieder nach Hause käme. Ein anderes Lamm meinte hingegen, dass das Meer sich mit Absicht zurückziehe, um die Touristen zu ärgern, welche extra wegen des Meeres an die Nordsee kämen um Urlaub zu machen. Jedes Lamm hatte seine eigene Theorie für das Kommen und Gehen des Wassers. Die Lämmer lachten über die unmöglichsten Theorien ihrer Freunde und hatten sehr großen Spaß. Dass der Mond aber mit Ebbe und Flut zu tun hatte, auf die Idee kam keiner.

      Max lernte auch etwas darüber, was ein Deichschaf ist und verstand nun den Sinn seines tollen Namens Max das Deichschaf von der Nordsee aus Greetsiel.

       Die Nacht, die alles veränderte

      Es war eine stürmische, kühle Herbstnacht. Die Schafe rückten eng zusammen, um sich gegen den starken Wind zu schützen. Max war froh noch zu den Lämmern zu gehören, denn die durften zusammen mit ihren Müttern im Inneren des Schafskreises stehen, während die Tanten, Onkel und Väter den Außenring bildeten. Dort stand auch Eugen und war heute Nacht besonders aufmerksam. Sein Fell juckte heute schon den ganzen Tag. Ein sicheres Zeichen dafür, dass irgendwas passieren würde, etwas Schlimmes.

      Eine Stunde später kam ein großer, dunkler Kastenwagen mit Anhänger zum Deich gefahren. Die Schafe am Außenring hoben die Köpfe in diese Richtung. Als dann der Motor des Kastenwagens ausgeschaltet wurde und zwei Männer ausstiegen, blökte Eugen zweimal mit tiefer Stimme: "Mäh, Mäh!" Das war ein Warnsignal an die anderen Schafe. Sofort war die ganze Herde in Alarmbereitschaft und Max bekam etwas Angst.

      "Verflixt und zugenäht, wieso müssen wir das heute bei diesem Mistwetter machen?", fragte einer der Männer.

      "Weil ich es sage und jetzt los, mach den Hänger auf, damit wir die Schafe reintreiben können", antwortete der andere.

      Max nahm die Witterung auf; die Männer rochen nicht nach dem Schäfer und sie wirkten auch nicht so gelassen und freundlich wie der Schäfer — eher angespannt und beinahe aggressiv. Was ist hier los?, fragte sich Max.

      "Wir packen zuerst dieses Schaf da und dann das da drüben", wies der fremde Mann an und zeigte auf Fiona, dann auf Isabella, den beiden hübschesten Zuchtschafen in der Herde.

      Der Schäfer war sehr stolz auf diese beiden Schafe, weil sie ihm schon einige Sach- und Geldpreise beschert hatten. Zudem wollte er mit ihnen weiterzüchten und so den Zuchterfolg voranbringen.

      Fiona und Isabella dachten gar nicht daran, sich einfach mal so fangen zu lassen, und wehrten sich. Doch bei diesen schlechten Wetterverhältnissen und noch dazu mitten in der Nacht hatten die Schafe keine Chance; die Männer trieben Fiona und Isabella gekonnt in den Hänger. Die anderen Schafe liefen jetzt vor Panik auseinander.

      "Jetzt noch das Schaf hier."

      Der Mann zeigte auf Nana, denn auch Nana war ein sehr hübsches Schaf. Sie erschrak, als die Männer auf sie zeigten und Max auch.

      "Bleib dicht bei mir", befahl Nana ihrem Sohn und stellte sich schützend vor ihn. Nana sah die Männer herausfordernd und angriffslustig an. Der Wind zerrte an ihrem Fell und sie wirkte dadurch furchterregend und gefährlich, bereit sich zu Wehr zu setzen.

      "Hey Mann", sagte der Mann, "das Schaf schaut so komisch, fast kampfbereit. Außerdem hat es ein Lamm."

      "Na und, was soll's. Das Lamm interessiert mich nicht, nur das Schaf. Los, komm jetzt, fangen wir es ein. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit."

      Die Männer traten von links und rechts an Nana heran und nahmen ihr immer mehr den Fluchtweg.

      "Los Max, lauf — jetzt!", schrie Nana Max an und sprang zwischen den Männern hindurch, Max hinterher. Einer der Männer fiel dabei um.

      Voll stark, dachte Max, das war toll.

      "Himmel noch mal", keifte der Mann der gestürzt war.

      "Steh' auf und beeil dich", sagte der andere ungerührt.

      Nana und Max zwängten sich in die Herde zurück, gefolgt von den Männern. Nana buckelte, schlug mit den Hinterbeinen aus und biss um sich.

      "Mistvieh", schrie einer der Männer. "Die hat mich gebissen."

      "Du stellst dich auch zu dämlich an. Mach endlich. Du kommst von rechts und ich von links und dann pack richtig fest zu!"

      "Okay", antwortete der andere.

      Nana wusste nicht wie ihr geschah, als plötzlich vier Hände sie packten und sie in Richtung Hänger zogen. "Mäh, mäh, mäh, määäh", brüllte sie.

      "Mähh, mäh", brüllte auch Max.

      Als Nana kurz vor der Rampe des Hängers stand, kam wie aus dem Nichts Eugen herangesprungen. Er war unglaublich wütend. Wie konnten diese Männer es wagen, seine Schafsdamen einfach so zu entführen? Jetzt wollten sie auch noch Nana, ein Mutterschaf — ihr Lamm würden sie einfach so zurücklassen. "Nee, nee meine Lieben, so nicht!" Eugen rannte die Männer in vollem Lauf um — erst den einen, dann den anderen. "Lauft!", befahl er Nana und Max. Und die liefen so schnell sie konnten davon.

      Etwas abseits des Treibens hielten sie außer Atem an. Eugen hielt derweil die Männer in Schach. Er blökte sie an, fletschte die Zähne, stellte sich auf die Hinterbeine und keilte dann mit den Vorderbeinen aus. Eugen war unglaublich groß in dieser Haltung und bereit alles zu tun, um seine Herde zu beschützen.

      Doch dann fehlte auf einmal einer der Männer. Der andere Mann wich vor Eugen zurück. Eugen selbst lief zu seiner Herde und befahl ihnen dicht beieinanderzubleiben.

      "He, ich hab eines", rief