Thomas Arndt

Eine Geschichte über rein gar nichts


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usw. zu beschäftigen. Und die Dinge, Menschen und Angelegenheiten verstanden ihrerseits nicht, warum Jasmin sich nicht mit ihnen beschäftigte.

      Manchmal, als Jasmin längst um ihre Schönheit wusste, erinnerte sie sich, wie ein wenige Jahre älterer Junge auf brutale Weise diese Schönheit aus den Tiefen ihrer märchenhaft mädchenhaften Einfalt befreite hatte. Sie gefiel ihm und er sagte es ihr. Er machte ihr Avancen, wollte, dass sie seine Freundin werde und ließ lange Zeit nicht von ihr ab. Verstört hörte sie zum ersten Mal von einem fremden Jungen, wie wahnsinnig schön sie doch sei; seine Worte klangen so anders, so fremd, so ungewohnt, so hatte man ihr das noch nie gesagt.

      Jasmin, damals noch ein Kind, hatte nichts verstanden. Verwirrt berichtete sie ihrer leicht entsetzten Mutter, was sie aus dem Munde des Jungen vernommen hatte. Doch nach nur wenigen Wochen einer im Nachhinein vollkommen unberechtigten Unruhe gab Jasmin ihrer Mutter die mütterliche Ruhe zurück. Der Junge hatte das Interesse an ihr verloren, berichtete sie, und sich eine andere Freundin gesucht. Voller Aufrichtigkeit erklärte sie, dass er nichts mehr von ihr wissen wolle, weil sie nicht ein einziges Mal mit ihm gesprochen, ja ihn nicht einmal angesehen habe. Die Mutter wunderte sich über Jasmins Verhalten, die langsam das Alter erreichte, im dem die Mädchen mit den Jungs . . . doch dass es nicht dieser werden würde, beruhigte sie ungemein, schließlich war er wie viele Jahre älter? . . . zu viele!

      So war es wirklich: Jasmin verstand nicht, warum sie von aller Welt als schön empfunden wurde. Das beschäftigte sie so sehr, dass sie viel Zeit in die Lösung dieses Rätsels investierte. Dem anderen Geschlecht versuchte sie so weit wie möglich aus dem Wege zu gehen, wurde jedoch nach dem ersten erfolglosen Eroberungsversuch heftig belagert, als wäre dieser der Beginn einer nicht enden wollenden Kettenreaktion gewesen. Im Zuge dessen teilte Robert das Schicksal so vieler seiner Geschlechtsgenossen und wurde nicht nur zurückgewiesen, sondern nicht einmal im Entferntesten in Erwägung gezogen. Denn mittlerweile hatte sie zwei Kriterien aufgestellt, die ihr potentieller Freund erfüllen musste: er müsse so sein, dass sie ihn lieben könne und dürfte nicht weniger als vier Jahre älter sein als sie. Warum? Nun, auch dafür brauchte sie keine weitere Erklärung.

      Robert hatte keine Chance: Jasmin wollte nicht einmal mit ihm reden. Schlimmer noch: ihr verlangte nicht danach, ihn zu sehen, ihn überhaupt zu kennen, geschweige denn mit ihm zu verkehren. Doch auch ihre unmissverständliche Ignoranz gegenüber den Annäherungsversuchen des heranwachsenden Jünglings, der in Liebesangelegenheiten noch keine Erfahrungen gesammelt hatte, der nicht anders konnte, als ihr Briefchen zu schreiben, sie und ihre Freundinnen zu nerven und stets lauernd und gesprächsbereit um sie herum schlich, zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Der ob seiner unsinnigen Versuche stets belächelte Grünschnabel verbiss sich in die Vorstellung, Jasmin eines Tages doch zu erobern. Er ließ nicht locker und entwickelte eine geradezu unglaubliche Ausdauer, seine Angebetete zu umwerben, die schnell ihre lächerlichen Züge verlor, ehemals gescheiterten Konkurrenten Bewunderung abtrotzte und sich speiste aus einer Mischung aus Verzweiflung, Hoffnung, Fanatismus, Idiotie, Blindheit, Verliebtheit und Verlangen. All diese Regungen huschten mitunter gleichzeitig über Roberts Gesicht und verzerrten es zu einer unansehnlichen Grimasse.

      Jasmin wurde der plumpen Aufdringlichkeit ihres Mitschülers schließlich überdrüssig, verlor die Contenance und sagte eines Tages, dass er sie ein für alle Mal in Ruhe lassen solle. Sofern er ihrem Wunsch nicht nachzukommen gedenke, werde sie dafür sorgen, dass er von älteren Freunden (oder Verehrern; sie drückte sich nicht deutlich aus) eine solche Tracht Prügel erhalten werde, die ihm seine Mätzchen ein für alle mal austreibe. Außerdem schlug sie ihm einen Handel vor. Sei Robert bereit, von ihr abzulassen, könne sie ein gutes Wörtchen bei einer ihrer Freundinnen für ihn einlegen.

      Jasmin meinte es ernst. Robert blieb nichts anderes übrig, als sich ihrem Willen zu fügen. Nicht nur entging er dadurch großem Ärger, sondern fand sich schon bald an der Seite einer anderen Klassenkameradin wieder, mit der er einige Monate zusammen war. Darüber hinaus erlangte er Berühmtheit und Ansehen allein dadurch, weil er das Kunststück fertig gebracht hatte, nicht nur mit Jasmin gesprochen zu haben, sondern gar von ihr angesprochen worden zu sein, auch wenn der Anlass seiner Meinung nach durchaus ein besserer hätte sein können.

      Anja: seine erste Freundin! Aber warum zum Teufel hatte er sich auf diesen Kuhhandel eingelassen? Die Antwort ist geradezu unglaublich banal und zeigt Robert in all der Unerfahrenheit, Unbekümmertheit, Naivität und Sorglosigkeit, die ihm und seinen Altersgenossen eigen war und sie lautet: warum denn nicht, wenn es keine bessere Lösung gibt?!?

      *

      Mit Anja erlebte Robert ein paar stürmische Monate. Beide wussten, dass es keinen wirklichen Grund für eine Beziehung gab. Sie waren nicht verliebt und empfanden entsprechend wenig füreinander. Lediglich eine unsinnige Neugier verband sie. So war die Ursache ihrer ersten schüchternen Berührungen, ihrer sich wie zufällig treffenden Hände, der ersten Umarmung und ihres ersten Kusses in ihrer jugendlichen Vorstellung zu suchen, dass man solche Dinge tut, wenn man einen Freund/eine Freundin hat.

      Natürlich blieb es nicht bei harmlosen Küssen und Expeditionen über die Oberfläche des menschlichen Körpers. Schon bald sahen sich die beiden mit Schwierigkeiten konfrontiert, über die sie noch vor Wochen herzlich gelacht oder entsetzt gestaunt hatten, hörten sie Freunde darüber berichten. Ihrem theoretischen Wissen zum Trotz genügte eine einzige Nacht, um zu beweisen, dass sie allem Anschein nach nichts verstanden hatten. Ihr Miteinander gipfelte in zwei zermürbenden Wochen voller Bangen, Hoffen, Warten und endlosen Gebeten an einen Gott, an den sie nur in der Not glaubten und den sie anflehten, Anja möge nicht schwanger sein. Kurz nachdem sich ihre Menstruation eingestellt hatte und ihr Körper so tat, als sei nichts geschehen, trennten sich ihre Wege in vollkommener Eintracht, ohne dass auch nur ein einziges böses Wort ihre Trennung trübte. Verblüfft darüber waren Anja und Robert der Meinung, ihr Auseinandergehen war sozusagen der Höhepunkt ihrer Beziehung.

      Dennoch war es nichts anderes als Liebe, die Robert bei Jasmin gesucht und bei Anja nicht gefunden hatte, der er aber weiterhin nachstellte. In diesem Licht betrachtet erscheint seine erste, nur wenige Monate dauernde Beziehung in der Tat nur als eine kurze, folgenlose und unbedeutende Episode, der keinerlei Bedeutung beizumessen ist – wie jedenfalls Robert dachte. Doch er irrte sich. Und in diesen Irrtum verfiel er, da er nach dieser Beziehung ohne zu zögern die Liebe als solche idealisierte und ihr einen Wert beimaß, den die durch einen Kuhhandel zustande gekommene Liaison mit Anja freilich nicht aufweisen konnte. Durch Anja gelangte er in den Besitz des nötigen Rüstzeugs, um seinen zukünftigen Erfolg bei Frauen zu sichern. Er lernte, wie man mit ihnen umgeht: wie man sie küsst, berührt, spricht, aufs Bett legt, auszieht, wieder berührt und überredet, bestimmte Dinge zu tun.

      Robert idealisierte also die Liebe. Nur darf man sich nicht allzu viel darunter vorstellen. Im Grunde genommen handelte es sich lediglich um ein Gefühl, das irgendwo in ihm heranwuchs, größer und stärker wurde und ein nahezu grenzenloses Verlangen im Schlepptau hatte, dass den sich zu einem Mann entwickelnden Jüngling zu allen möglichen Mädchen hinzog. Robert suchte Liebe und kein Individuum. Sein Ideal fand er in den Gesichtern hübscher Mädchen.

      Robert machte Bekanntschaft mit vielen jungen Frauen, die meist schneller als er dahinter kamen, dass er nicht sie suchte, sondern etwas ganz anderes, worüber sie sich jedoch bis auf wenige Ausnahmen keinen Reim machen konnten. Oft ertrugen sie nicht, dass er ihnen nicht viel mehr als das Gefühl gab, von ihnen enttäuscht worden zu sein. Sie verließen ihn in Scharen und Robert bedauerte es nicht, wurde ihm dadurch doch bewiesen, dass er die Liebe bei ihnen nicht finden könne. Und diejenigen, die ihn wirklich liebten, wurden über kurz oder lang von ihm verlassen. Es war einfach nicht möglich, ihn so zu lieben, wie er es sich vorstellte.

      Ein ums andere Mal sah Robert seine idealisierte Liebe nicht angemessen erwidert. Von Zeit zu Zeit kam ihm der Gedanke, dass er sich womöglich falsche Vorstellungen machte. Er ging in sich und versuchte endlich die Worte zu finden, die auszudrücken vermochten, was er wirklich fühlte. Doch bis auf wenige scheinbar passende Phrasen wollten sich keine Erfolge einstellen. Es half ihm auch nicht, darüber mit Freunden zu diskutieren, und auch die Mädchen, denen er sein Herz zu öffnen bereit war, verstanden ihn nicht und brachten ihn nicht weiter.

      Je länger er jedoch seiner ominösen