Toge Schenck

Berlin Zyankali


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Sie mich?“ Die Stimme kam von der Seite. Zoller und Wanzke wandten sich um und blickten durch leicht geöffnete Flügeltüren in das Stockdunkel eines angrenzenden Raumes. Das Leuchten einer aufglühenden Zigarette verriet die Richtung, aus der die Stimme der Wirtin gekommen sein musste.

      „Rechts neben der Türe ist ein Lichtschalter.“

      Wanzke eilte sich, diesen zu finden. Zoller stand und beobachtete das rote Glühwürmchen, bis der Raum erleuchtet vor ihm lag. Es handelte sich offenbar um das Frühstückszimmer. Die Mehrzahl der Tische war bereits mit Frühstücksgeschirr eingedeckt. Am hinteren Ende lagerte die Dame des Hauses überaus ladylike in einem großen roten Fauteuil, den Kopf hinten angelehnt. Neben ihr stand ein scheinbar antiker Beistelltisch mit silbernem Aschenbecher, einer Glasschale mit Mozartkugeln und einem Glas Portwein. „Nehmen Sie doch Platz, meine Herren“, sagte sie in ruhigem Ton und wies auf die zwei kleineren ebenfalls roten Sessel, die diese Sitzecke abrundeten. Zoller setzte sich auf den Sessel ihr gegenüber. Wanzke zog es vor, sich in der Nähe von Zoller stehend aufzuhalten, Block und Bleistift in der Hand.

      „Nun“ sagte Isabel Hartmann, „fragen Sie!“ Zoller, der es gar nicht mochte, wenn ihm die Regie aus der Hand genommen wurde, zog langsam die Brieftasche aus dem Jackett und blätterte schweigend einige Zeit darin herum, als ob er etwas bestimmtes suchte, dann fragte er bedächtig: „Wie viele Gäste haben Sie derzeit?“

      Mit dieser Frage hatte Isabel Hartmann nicht gerechnet. „Hm, lassen Sie mich überlegen – neun.“

      „Seit wann war Herr -“, hier schaute Zoller auf den Ausweis, „Herr Mandelstein hier Gast?“ Mit spitzem Munde blies sie den Rauch der Zigarette aus, bevor sie antwortete: „Seit Montag letzter Woche.“

      „War er öfter hier Gast?“

      „Nein, das erste Mal. Ich hatte ihn zuvor nie gesehen.“

      Zoller blickte sie direkt an: „Ist Ihnen heute irgend etwas Besonderes aufgefallen, hatte er Besuch?“

      Sie antwortete rasch: „Kann ich nicht sagen, ich war heute tagsüber nicht im Hause; ich kam vor halb sechs und schickte Olga und Ursula nach Hause.“

      „Wer sind Olga und Ursula?“

      „Olga ist meine Tagesvertretung und Ursula ist der gute Engel, für Wäsche, Reinigung und diese Sachen zuständig.“

      „Wann können wir die Damen hier antreffen?“

      „In der Regel vormittags ab sechs.“

      „Auch morgen?“

      „Auch morgen.“

      Zoller sah aus den Augenwinkeln, dass Wanzke sich Notizen machte.

      „Sie haben Herrn Mandelstein aufgefunden. Schildern Sie mir bitte, wie das ablief.“

      Isabel Hartmann drückte geübt ihre Zigarette aus, während sie nachdachte. „Ja, es kam ein Anruf für ihn. Dr. Mommsen, der Notar, hatte versucht, ihn über Handy zu erreichen, mehrfach. Und als das ständig fehlgeschlagen war, rief er hier an, ich solle ihn verbinden, es sei sehr dringend. Aber Herr Mandelstein nahm nicht ab. Da ging ich ins Zimmer. Und da lag er, wie Sie ihn gesehen haben. Dann rief ich sofort die Polizei.“

      Wieder sah sie ihn mit ihren tiefdunklen Augen an und wartete, welche Frage nun folgen würde. Zoller wusste nicht genau, warum, aber irgendwie schien sein Puls schneller zu gehen.

      „Hatte er sonst irgendwelchen Besuch?“ Die Frage sollte routiniert klingen.

      „Ja, bis heute noch von seinem Freund Benny, aus München, der hier ein paar Tage bei ihm übernachtete, ansonsten ein-, zweimal von Dr. Mommsen.“

      „Dieser Benny aus München, hatte der sich als Gast eingetragen?“

      „Ja, die Daten kann ich Ihnen geben. Eigentlich wollte er länger bleiben, doch die beiden stritten sich wohl wieder einmal und heute zog Benny aus.“

      „Woher wissen Sie das mit dem Streit?“

      „Das hat Olga mir erzählt. Und Herr Hauser.“

      Auf seinen fragenden Blick sagte sie: „Ein Gast hier. Dauergast.“ Wanzke machte sich Notizen. „War er während des Nachmittags anwesend?“

      „Ich glaube schon, Olga machte so eine Bemerkung.“

      „Was ist er von Beruf?“

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Er erzählt nicht viel von sich, aber fragen Sie mal Olga, oder besser ihn selbst.“

      „Was wissen Sie über Herrn Mandelstein, zum Beispiel: Was machte er in Berlin, war er Tourist?“

      Isabel nahm einen Schluck Portwein, bevor sie antwortete. „So weit ich weiß ist er Krankenpfleger und angehender Arzt und wollte nach Berlin ziehen. Er ist wohl hier geboren und aufgewachsen. Sie suchten eine Wohnung und Geschäftsräume. Sie wollten zusammen eine Ambulanz oder Physiotherapie aufmachen, etwas Medizinisches.“

      „Wer - sie?“

      „Nun ja, er und der Benny und wohl noch eine Dame aus München. Es war auch schon notariell geregelt.“

      „Ah, deswegen Dr. Mommsen.“

      „Ja. Ich glaube, sie haben eine GmbH gegründet oder vorbereitet.“

      „Was war Herr Mandelstein für ein Mensch, wie hat er auf Sie gewirkt?“

      Isabel blickte zu Boden, als ob sie dort die Antwort fände und sagte: „Oh!“ Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch zur Decke, bevor sie fortfuhr: „Arrogant, aufgeblasen. Ein Macho der Sonderklasse. Er nahm sich sehr wichtig, kam sich vor wie in einem Sechssternehotel. Solche Gäste liebt man nicht, man behandelt sie sehr zuvorkommend, wenn Sie wissen, was ich meine.“

      Zoller ahnte entfernt, was sie meinen könnte. Er stand auf und ging ein paar Schritte, dann fragte er: „Haben Sie irgendwelche Medikamente im Hause?“

      „Gift? Ja sicherlich. Unten, in der Zyankali-Bar!“, antwortete sie prompt und lächelte breit. Dann plötzlich ernst: „Ist er vergiftet worden?“

      „Es sieht so aus.“

      „Dann muss er jemanden sehr geärgert haben“, sagte sie voller Sarkasmus, „kein Wunder! Es gibt eben Leute – “, sie unterbrach sich.

      „Ja-?“, hakte Zoller nach, aber sie zuckte die Achsel. Zoller blickte ihr in die Augen: „Selbstmord würden Sie also ausschließen?“

      „Der und Selbstmord? Niemals! Eher würde er seine gesamte Umwelt umbringen, als sich selbst.“

      Zoller reichte ihr die Hand: „Vielen Dank! Geben Sie meinem Kollegen bitte noch die Daten von Benny und den Angestellten. Ich denke, wir sehen uns morgen noch einmal, wenn ich Ihre Angestellten und diesen Hauser befrage.“

      „Gerne!“, antwortete sie lächelnd und sandte ihm einen Blick zu, den er von irgendwo her sehr genau kannte.

      Im Wagen knipste er das Leselicht an und besah sich die Brieftasche des toten Herrn Mandelstein. Neben dem Personalausweis fand er eine Karte, die ihn als Krankenpfleger in einem Krankenhaus in München auswies, einen Führerschein, einen Studienausweis des Medizinstudiums, eine Kreditkarte in Gold, die Visitenkarte von Dr. Mommsen und einen fein zusammengelegten Zettel mit verschiedenen Notizen, untereinander gegliedert wie ein Einkaufszettel, in Kleinstbuchstaben und in der ziselierten Handschrift eines Pedanten. Das mehrere Male auftauchende B. konnte Benny bedeuten, das M. Mommsen, dann waren dort einige Anschriften und weitere Abkürzungen, die derzeit noch nichtssagend für ihn waren.

      Als Wanzke den Wagen bestieg und Zoller sein Lächeln sah, sagte er mit Nachdruck: „Bitte, Fritz, sag es nicht!“ Fritz sah verständnislos zu ihm herüber: „Tolle Frau! Erinnert mich an Deine Eva.“ Beim Blick in Zollers Augen sagte er leise: „Tschuldige!“

      Hinter ihnen lärmten übermütig jugendliche Besucher der Zyankali-Bar.

      Im