Toge Schenck

Berlin Zyankali


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      2 - Katharina

      Auch der neue, sonnige Tag tat dem Wonnemonat Ehre; schon früh hatten die Zeitungsjungen die Mütze tief ins Gesicht ziehen und die letzten Zecher hatten sich blinzelnd zur nächsten U-Bahn tasten müssen. Jetzt, kurz vor acht Uhr früh dampften Berlins Strassen vor Hitze und Verkehr, als Zoller sein Büro betrat. Um neun sollte die Dienstbesprechung stattfinden und er wollte seinen Bericht noch etwas überarbeiten. Kriminaldirektor Hammann war als Pedant bekannt und er wollte jede mögliche Frage von ihm vorausschauend beantwortet haben, bevor er ihm Rede und Antwort stand. Die Befragung der Pensionsgäste war inzwischen durch die Schutzpolizei durchgeführt worden und hatte – wie zu erwarten war – keinen brauchbaren Hinweis ergeben, da die Gäste zum Todeszeitpunkt des Opfers nicht im Hause waren und in keinem Zusammenhang mit dem Toten standen. Mit Olga, der Angestellten von Isabel Hartmann wollte er heute persönlich reden. Auf der anderen Seite hatte er noch letzte Nacht Informationen aus München von diesem Benny angefordert. Die Bayern waren nicht unbedingt die Kooperativsten, doch kannte Zoller den Kommissar Alois Kammerlander persönlich, mit dem er einige Lahrgänge zusammen feucht und fröhlich abgefeiert hatte. An ihn konnte er sich immer wenden, wenn er Amtshilfe benötigte.

      Er legte seinen Bericht offen auf den Rand seines Schreibtisches und ging an die Durchreiche, wo seine Post und Faxe abgelegt waren. Er nahm den Bericht aus München zur Hand, setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl, schlug die Beine übereinander und begann zu lesen.

      Niemand hätte zu sagen gewusst, ob das kurze Anklopfen oder das schwungvolle Türöffnen zuerst kam: „Einen wunderschönen, guten Morgen!“ Ein Sopran schwirrte gutgelaunt durch den vorwiegend Bariton und Bass gewohnten Raum. Zoller hob, ohne aufzusehen, die Hand und grüßte wortlos. Wie selbstverständlich zog sie sich einen Stuhl zurecht und schaute mit großen Augen ob sie etwas in dem geöffneten Aktendeckel am Schreibtischrand erkennen könnte. Während Zoller noch seinen Satz zuende las, lehnte er sich weit über den Schreibtisch und klappte mit der freien Hand den Aktendeckel zu. Erst jetzt sah er auf: „Du sollst nicht immer in fremde Aktendeckel schauen, Katharina!“

      „Neugier ist mein Job, Hartwig, ich wäre sonst nicht Journalistin geworden, sondern Beamter, wie Du. Es gibt also einen neuen Fall!“, kam sie zur Sache.

      „Ja, in Kreuzberg, ein Mediziner aus München.“

      „Ein Tourist?“

      „Eher nein, er wollte sich hier niederlassen.“ Zoller wollte den Bericht aus München zuende lesen.

      „Und da kam ihm WAS in die Quere? Lass Dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“, drängte sie.

      Zoller gab das Lesen auf. „Möglicherweise ein Mörder?“, grinste er sie an.

      „Oder eine Mörderin!“, konterte Katharina.

      „Du meinst, weil es Gift war?“

      „Aha! ‚Giftmord in Kreuzberg!’“, sie betonte es wie eine Schlagzeile.

      „Ach, nun ist es mir doch rausgerutscht,“ er zwinkerte ihr zu, „aber es ist noch nicht amtlich! Der Befund steht noch aus, also keine Zeile von dir, bis es offiziell geworden ist!“

      „Aber Herr Hauptkommissar Zoller“, schmollte sie ihn an, „habe ich jemals etwas vor der Pressemitteilung und ohne deine Zustimmung veröffentlicht? Darüber hinaus: Mir fehlen doch noch fast alle Fakten.“

      „Die kriegst du nach der Dienstbesprechung und Studium des Befundes.“

      „Mit Dienstbesprechung meinst du wohl Euren allmorgendlichen Appell?“

      „Liebe Katharina Berger, wir sind hier nicht beim Kommiss, sondern in einer ‚Staatlichen Institution zur kriminologischen Investigation’, wie es Hammann ausdrücken würde.“

      „Verrätst du mir noch, wann und in welchem Hotel das passierte?“

      „Damit du wieder Deine Nase in den Fall steckst, bevor wir ausermittelt haben?“

      „Ohne Recherche kein guter Artikel“, schoss sie zurück.

      Zoller lenkte ein: „Nun gut, das ist ja kein Geheimnis: ‚Pension Am Kreuzberg’ nennt sich das Etablissement, in der Großbeerenstrasse.“ Unbemerkt hatte sich die Türe geöffnet und ein grauhaariger Mann in den Fünfzigern in perfekt sitzendem Anzug (höchstwahrscheinlich Armani) trat ein: „Was höre ich? Großbeerenstrasse? Geben Sie etwa noch nicht freigegebene Informationen an die Dame des Gazettengewerbes preis?“ Übergangslos wandte er sich an Katharina: „Seien Sie gegrüßt, Frau Schriftstellerin! Die Zeit der Information ist noch nicht gekommen, ich muss Sie leider vertrösten bis nach der Dienstbesprechung. Wollen Sie danach nicht zu mir in mein Büro kommen, oder lieben sie es, die Auskünfte über die niederen Chargen zu empfangen?“

      Ohne auf Antwort zu warten, blickte er auf Zoller: „Sagen Sie, Hauptkommissar Zoller, in welcher Situation hatte ich Sie gestern am Handy eigentlich überrascht? Sie klangen de facto etwas gestresst.“ In das Zögern Zoller’s befahl er: „Nichtsdestotrotz! Auf zu neuen Taten! Dienstbesprechung Punkt neun!“, kehrte auf dem Absatz um und prallte mit Kommissar Schneider zusammen, der, einen Aktendeckel in der Hand, dem Direktor vergeblich versuchte auszuweichen und leise „Entschuldigung!“ murmelte.

      Katharina zog die Brauen hoch: „Was für ein Auftritt!“

      „Was für ein Abgang!“, echote Zoller. Kommissar Schneider setzte noch einen drauf: „Was für ein Rasierwasser!“ und übergab Zoller die Papiere. „Gerichtsmedizin, der Fall Mandelstein.“

      „Und?“ Zoller sah ihn an.

      „Digitoxin in Marzipan-Schokolade. Ein süßer Tod.“

      „Kommt immer auf die Dosis an“, meinte Zoller.

      „Selbstmord?“, fragte Katharina.

      „Dann hätte er nicht auf dem Bett gesessen, einen Stadtplan neben sich. Und warum sollte er vorher das Herzmittel in eine Mozartkugel geben?

      „Wenn es doch aber seine Lieblingspralinen waren?“, vermutete Katharina.

      „Genau das hat jemand ausgenutzt.“ Schneider war von der Idee entzückt.

      „Habt ihr schon Verdächtige?“

      „Es wird wohl eine Frau sein, bei Giftmord.“ Schneider gefiel auch diese Idee.

      „Pauschalurteile!“, rief Katharina, „Allerdings naheliegende“, gab sie zu.

      „Wetten, dass es eine Frau war?“ Zoller klang sehr überzeugt, „Gegen Statistik ist kein Kraut gewachsen.“

      „Gut, aus Spaß an der Sache. Ich halte dagegen!“

      „Schon verloren!“ Schneider war heute gut drauf.

      „Wir werden ja sehen!“

      Zoller schilderte Katharina in kurzen Worten die Vernehmung der Pensionswirtin, bevor Kollege Schneider ihm per Handzeichen klar machte, die Dienstbesprechung sei in Kürze.

      „OK! Ich lass von mir hören.“ Damit verabschiedete sich Katharina.

      3 – Die Pension

      Wenn Katharina die Wahl hatte zwischen Bus und U-Bahn, gewann immer der Bus, der zwar etwas länger für dieselbe Strecke benötigte als die Bahn, dafür aber dem Blick die Möglichkeit gab, an Farben, Sonne und dem turbulenten Leben auf Berlins Strassen teilzuhaben. Und so hatte sie sich in den großen Gelben mit der Nummer 119 Richtung Kreuzberg gesetzt und genoss die fünfzehn Minuten Fahrt. Dabei kamen ihr Bilder von anderen Großstädten in den Sinn wie München, Köln, Frankfurt und Hamburg, in denen sie jeweils kürzere oder längere Zeit gelebt hatte, doch dieses Berlin mit seinen quicklebendigen Menschen und ihrer einfallsreichen Sprache, seinen breiten, meist baumbestandenen Strassen, aus denen Geschichte atmet, hatte sie in ihren Bann gezogen, die alte, neue Hauptstadt, die große Kurtisane der kleinen und großen Herrscher Berlins. Und wie jede wirklich große Stadt