Toge Schenck

Berlin Zyankali


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ist es.“

      „Dann könnten Sie gestern von den Vorfällen einiges mitbekommen haben.“

      „Oh, eine ganze Menge!“

      Das ist bei Zeugen meist der Fall, wenn sie sich wichtig machen wollen, dachte Zoller. In der Regel haben Zeugen nichts gesehen und nichts gehört, aus Angst, in den Fall mit hineingezogen zu werden.

      „Allerdings, mit einer Einschränkung“ fuhr Hauser fort „nur bis viertel nach fünf, denn fünf Uhr einunddreißig ging mein Bus.“

      „Und was haben Sie gesehen und gehört?“

      „Herr Mandelstein, der sich so gerne ‚Doktor’ nennen ließ, hatte eine deftige Auseinandersetzung mit seinem kleinen Freund, dem Benny. Unsere beiden Fenster waren gekippt, so dass ich recht gut verstehen konnte, um was es ging, nämlich Mandelstein hielt dem Benny dessen Promiskuität vor und Benny glaubte, von Mandelstein enterbt zu werden. So hörte es sich jedenfalls an.“

      „Hat er das Wort enterbt benutzt?“

      „Sicher. Mehrmals. Er sei so enttäuscht, dass er enterbt würde, da er doch so viel für ihn getan hätte, er solle nur einmal daran denken, wie er in München für ihn gelogen hätte, ja einen Meineid geschworen, und jetzt solle er enterbt werden. Genauso hat es der Benny mit weinerlicher Stimme vorgetragen.“

      „Vorgetragen?“

      „Teils gefleht, teils ihm ins Gesicht gebrüllt, wie ein waidwundes Tier.“ „Und was antwortete Herr Mandelstein?“

      „Er sprach ruhiger, doch manchmal auch entschieden und laut. Er sagte, es sei nicht wahr, er wolle ihn nicht enterben, sondern nur seine Kompetenzen beschneiden, da er, der Benny, sich öfter rumtreibe und besaufe und sie doch schließlich eine sensible Mission hätten.“

      „Sensible Mission?“

      „Ja, wörtlich, sensible Mission.“

      „Sagte der ‚Doktor’?“

      „Sagte der ‚Doktor’.“

      „Es fielen noch Worte wie ‚Notar Mommsen’ und ‚Kinderkrippe’ und ‚auffliegen’, doch ohne Zusammenhang.“

      „Was geschah dann?“

      „Dann sah ich, dass der Benny seine Sachen packte, Mandelstein ihn zurückhalten wollte, es aber nicht schaffte und Benny laut brüllend das Zimmer verließ.“

      „Und damit die Pension“, sagte Zoller zu sich und laut: „Wann genau geschah all dieses?“ „Das muss so in der Zeit zwischen vor vier bis kurz nach vier gewesen sein.“

      „Also verließ der Benny vor Ihnen das Haus?“

      Hauser nickte.

      „Haben Sie den Benny danach noch einmal wieder gesehen?“

      „Nein.“

      „Was geschah anschließend?“

      Hauser machte eine Denkpause. Zoller dachte mit.

      „Dann kam der Anwalt der beiden, von diesem Gespräch bekam ich nichts mit, da es sehr ruhig geführt wurde. Ich bereitete mich auf die Lesung vor und verließ das Haus kurz vor halb sechs.“

      „Sie sprachen von Lesung. Hielten Sie die selbst ab, oder . . .“

      „Nein, im Haus der Dichter las ein begnadeter junger Schriftsteller aus seinen Werken.“

      „Wenn ich fragen darf: Was sind Sie von Beruf?“

      „Oh, das ist nicht leicht zu beantworten. Genau gesagt, übe ich derzeit keinen Beruf aus. Ich ruhe. Und sehe mich um.“

      Zoller mochte nicht, wenn er keine klare Antwort bekam, sonderlich auf Fragen, deren Beantwortung normalerweise keine Probleme aufwerfen sollten. Was hielt diesen Herrn im Morgenmantel ab, ihm seine Berufsbezeichnung oder Tätigkeitsfeld zu nennen? Er sah einen Mann in den besten Jahren vor sich und konnte sich nicht vorstellen, dass dieser gebildet erscheinende und gut aussehende Mann ohne Beschäftigung sein sollte.

      „Bevor Sie etwas Falsches denken, ich gehöre nicht der sozialen Gruppe abhängiger Bürger ohne Anstellung an, ich partizipiere nicht an öffentlichen Geldern. Ich benötige keine Anstellung, bin mein eigener Herr und lebe von“ er zögerte unmerklich, „Ersparnissen.“

      Noch so eine Undeutlichkeit. „Gut“ sagte Zoller leicht verschnupft, „belassen wir es dabei. - Noch ein letzte Frage: Kannten Sie den Toten?“

      „Eher weniger.“ Hauser schien Unklarheiten gepachtet zu haben, vielleicht liebte er Geheimnisse. Auf Zollers Frage, was er denn damit meine, antwortete er, er kenne ihn, wie man einen Hotelgast, den man hin und wieder sah, grüßte, ein paar Worte mit ihm wechselte eben kenne. Zoller liebte solche obskuren Bemerkungen nicht, hatte derzeit keine Lust mehr auf solche Spielchen und ging zur Tür. Hauser bemerkte wohl die Verstimmung.

      „Falls mir noch etwas einfallen sollte, was für Sie eventuell von Belang sein könnte, werde ich mich selbstverständlich an Sie wenden.“, sagte Hauser, als er Zoller die Türe öffnete.

      „Für mich ist alles von Belang“ antwortete jener „besonders das Eventuelle. Und falls Sie, eventuell, vorhaben zu verreisen, lassen Sie auch dies mich wissen. Guten Tag.“

      Er spürte den Blick Hausers im Rücken, als er den Gang entlang ging, bis er um die Ecke bog. Da blieb er kurz stehen und hörte, wie Hauser seine Türe schloss. Er wohnte genau gegenüber dem Tatzimmer, konnte vieles gehört und gesehen haben, was zur Klärung dieses Falles beitragen könnte, möglicherweise auch an den Tagen vor dem Mord. Hatte er alles von Relevanz erzählt? Zoller nahm sich vor, Hauser genauer unter die Lupe zu nehmen.

      Er traf Olga und Ursula in der Küche wieder, wo sie Tee tranken und sich unterhielten. Zoller klopfte an den Rahmen des Durchganges. Ursula sprang auf und bot ihm eine Tasse Tee an, die er dankend annahm. Olga führte ihn in das kleine Büro hinter der Rezeption. Es hatte die Größe einer Abstellkammer. Der Schreibtisch quoll über, auf einem Monitor schwankte das Windows-Emblem wie trunken und stieß sich an den Kanten taumelnd ab. Durch das offene Fenster drang Musik. Olga setzte sich auf den Hocker und überließ Zoller den Bürostuhl. Zoller schob einige Papiere beiseite und stellte seine Teetasse auf den Schreibtischrand.

      „Mozart, sagte sie. Unser Herr Hauser, liebt Mozart. Soll ich lieber Fenster schließen?“ Zoller verneinte mit einer Geste, die Akustik des Hofes faszinierte ihn.

      Er stellte die üblichen Fragen zur Person und zu den Geschehnissen vor der Tat. Er erfuhr von dem seltsamen Auftritt eines jungen Russen, der vor Tagen recht aufgebracht am Empfang nach Mandelstein gefragt hatte, sie daraufhin Mandelstein telefonisch vom überfallartigen Auftauchen informierte und Mandelstein mit dem Russen aus der Pension verschwand. Nein, sie kenne diesen Russen nicht, habe ihn noch nie vorher gesehen und habe bislang dieser Sache nicht viel Gewicht beigemessen, aber nun, da ja eine Tat verübt sei, könne dies vielleicht hilfreich sein. Sein Name? Sein Vorname sei Boris. Der Nachname? Irgendetwas wie Worno, Worenz oder Wonzeff, nein Woronzeff, genau. Zoller machte sich Notizen. Auf die Frage, warum sie seinen, Zollers, Besuch bei Hauser ungebeten angemeldet habe, geriet sie leicht ins Stocken, erklärte dann, Hauser dusche immer ausgiebig und sie wollte ihn aus der Dusche klingeln, damit er das Klopfen hörte und den Hauptkommissar empfangen könnte. Nach dem Beruf Hausers befragt, antwortete sie, sie habe sich nicht darum gekümmert, aber vielleicht sei er Kunstkritiker oder Journalist, im Meldeformular stünde nichts. Zoller tastete sich langsam vor, indem er ihr zunächst bedeutete, er hielte den Herrn Hauser für einen sehr feinsinnigen, gebildeten und gutaussehenden Mann, andererseits er ihn aber als nicht gerade entgegenkommend und kooperativ, ja regelrecht als undurchsichtig ansah. Ihre Mimik applaudierte im ersten Fall, im zweiten wurde sie wirsch und Olga meinte ausdrücklich, Herr Hauser sei immer sehr freundlich, wobei sie das Wort ‚sehr’ deutlich unterstrichen, mit vielen E’s und einem besonders schönen R am Ende aussprach.

      „Könnte es sein, dass Sie ihm - sehr zugetan sind?“, fragte er. Sie errötete, zum einen, weil sie die Falle nicht erkannt