Tee krönen“, schlug Alan vor.
„Okay, aber ich habe nicht mehr viel Zeit!“
„Pas de problème! Wir schaffen das!“
Nachdem Juliennes Bikini durch die glühenden Strahlen der Sonne und dem heftigen Wind getrocknet war, hüpfte sie in ihr weißes Chiffonkleid, packte die Sachen ein.
Alan zog sich flink seine Couture an.
Entspannt schlenderten sie über den perlfarbigen Sand, an den Dünen vorbei, hinter welchen sich eine flache Landschaft aus weitläufigen Wiesen und vereinzelten Baumgruppen erstreckte.
„Wir können zum Schloss laufen oder wir fahren mit dem Auto hin. Was ist dir lieber?“
Alan blickte Julienne erwartungsvoll an. Sie betrachtete die flimmernden grünen Wiesen, die sich vor ihr erstreckten. In der Ferne entdeckte sie ein ausgedehntes Waldgebiet, zwischen dessen unzähligen Baumkronen ein granitfarbiges Türmchen hervorragte.
„Wenn es nicht zu weit ist, würde ich lieber laufen“, entgegnete Julienne, indes sie die für die Renaissance typische Form des Türmchens bewunderte. Gedanklich stellte sie sich den Rest des Schlosses vor. Sie liebte die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike, deren ausgewogene Architektur, Kunst und Literatur, vor allem Shakespeares Theaterstücke.
Mit jedem Schritt an der Seite dieses faszinierenden Mannes, fühlte sie, wie ihre Erregung wuchs.
„Dort vorn ist das Schloss“, unterbrach Alan ihre romantische Träumerei.
„Es ist wunderschön!“, schwärmte Julienne.
„Ja, das ist es“, pflichtete er ihr bei.
Alan lächelte Julienne an, die gegen ihre Nervosität ankämpfte. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, ob sie es wollte oder nicht. Die Gefühle für ihn schienen wie ein Schwarm wilder Hummeln durch ihren Körper zu schwirren, wirbelten ihre Gedanken durcheinander.
Trotz allem kamen in ihrem Bewusstsein Zweifel auf. War es nicht verrückt, worauf sie sich da einließ? Schließlich kannte sie ihn nicht, er war ein Fremder.
Dennoch konnte sie nicht bestreiten, dass sie irgendeine Kraft vorantrieb, ihm zu folgen. Sie empfand diese wachsende Zuneigung für ihn, gegen die sie außerstande war, sich zu widersetzen.
Kapitel 3
Die granitfarbigen Turmspitzen des Schlosses ragten hinter den üppigen Baumkronen in den Himmel.
Wortlos folgte Julienne ihrem Gastgeber, der selbstbewusst auf sein Ziel zu schritt. Der Waldweg endete am Schlossgarten, dessen geradlinig angelegten Wege zum Schlösschen führten. Julienne bewunderte die kunstvollen Säulen, die den Eingang markierten.
„Es ist wunder …, wunderschön!“, jubelte Julienne und kramte ihr mobiles Telefon aus der Tasche. „Darf ich?“, fragte sie aufgeregt, derweil sie den Bildsucher aktivierte.
„Bien sûr! Fais des photos!“
Julienne suchte den perfekten Ausschnitt für das Bild, visierte die Türmchen und das Dach an, dann drückte sie den Auslöser. Von der Architektur beeindruckt lief sie neben Alan durch den Torbogen.
„C’est magnifique!“
Begeistert strahlte die Schauspielerin ihren Verehrer an. Allmählich erinnerte sie sich an französische Redewendungen aus ihrer Schulzeit.
„Vraiment! Da hast du recht.“
Der Sechsundvierzigjährige lächelte Julienne an, während er ihre grazilen Gesichtszüge studierte. Ihre Augen funkelten im flackernden Licht.
Plötzlich bemerkte er die Ähnlichkeit. Wenn sie lächelte, sah er Giulietta, als wäre sie ihre jüngere Schwester. Warum fiel ihm das erst jetzt auf? Vermutlich fühlte er deshalb diese Sehnsucht seit ihrem ersten Brief.
„Komm, gehen wir in den Salon. Marie bereitet uns einen schmackhaften Tee und wir können noch ein wenig plaudern.“
Alan führte sie in die Eingangshalle, wo sie von einer Frau mittleren Alters und einem älteren Herrn in schwarzer Kleidung begrüßt wurden.
Behutsam tippelte Julienne über das glänzende Parkett, das ein Vermögen wert sein musste. Das Weiß der meterhohen Wände strahlte eine sagenhafte Frische aus.
Am unteren Ende der Wendeltreppe rekelte sich Aphrodite auf einem Marmorsockel, deren unverhüllter Körper im gedämpften Licht schimmerte, das durch die Bogenfenster hereinströmte.
Julienne hastete die Stufen zur ersten Etage hinauf, wo sich die Ahnengalerie befand. Alan bemerkte, wie sie die in Goldrahmen gefassten Ölgemälde bewunderte.
„Schau, das sind meine Urgroßeltern, die das Schloss von einem Grafen gekauft hatten. Ursprünglich war es nur als Sommerresidenz gedacht.“
Fasziniert vertiefte sich Julienne in die Gemälde, die im Stil der alten Meister gemalt waren. Die Porträtierten schienen aus dem Schatten des schwarzbraunen Hintergrundes ins Licht des Betrachters zu treten. Ihre leicht gebräunte Haut hob sich deutlich von dem dunklen Grund ab.
Alans Urgroßmutter trug ein schlichtes, lavendelfarbiges Kleid, das mit einem weißen Spitzenkragen versehen war. An ihrem schmalen Hals funkelte eine Perlenkette. Ihre Wangen schienen vor Aufregung zu glühen. Sie hatte sich das dunkelblonde Haar hochgesteckt, einzelne Löckchen umspielten ihr Gesicht.
Sein Urgroßvater trug unter dem eleganten schwarzen Anzug ein weißes Hemd. Das dunkelbraune Haar hatte er sich zurückgekämmt.
„Du hast also das Haar von deinem Urgroßvater! Er war ein gutaussehender Mann.“
„Tja, das ist wohl ein Erbstück aus dem Hause Moreau!“
Alan lächelte Julienne an. „Aber jetzt lass uns endlich Tee trinken! Marie hat schon alles im Salon angerichtet.“
Als sie hektisch an der Gemäldesammlung vorbeiliefen, fiel Julienne das Porträt einer etwa 35-jährigen Frau auf. Abrupt blieb sie stehen, um das Bild genauer anzuschauen.
Das wellige, rotbraune Haar fiel ihr über die Schultern, bedeckte die zierliche Brust. Ihr schmales Gesicht strahlte. Offensichtlich war sie glücklich. Die grünen Augen zogen sie in ihren Bann. Es kam ihr so vor, als ob sie die Frau kannte.
„Das ist Giulietta“, stellte ihr Alan die Schöne vor.
„Sie ist hübsch. Ist das deine Frau?“, fragte Julienne verwirrt. Im Restaurant hatte er noch behauptet, Single zu sein. Offenbar hatte er gelogen.
„Sie war es. Das ist schon einige Jahre her. Wie du weißt, lebe ich allein.“
„Wo ist sie?“, blieb Julienne beharrlich.
„Sie hat mich verlassen.“ „Warum?“ „Das erzähle ich dir ein anderes Mal.“
Ungeduldig schritt er den Flur entlang, an dessen Ende sich der blaue Salon befand.
Beim Betreten des Raumes blickte Julienne zuerst auf die königsblaue Tapete aus feinem Damast. An den Wänden hingen Landschaftsgemälde. Die nussbaumfarbigen Rokoko-Möbel waren im Zentrum des Raumes angeordnet. Am Fenster befand sich ein Flügel im gleichen Farbton wie der runde Tisch, auf welchem eine Teekanne und zwei Gedecke standen.
„Der Tee wird kalt, ma chérie!“
„Merci beaucoup!“, trällerte sie, bevor sie sich auf dem antiken Stuhl niederließ.
Alan lächelte zufrieden, bevor er den heißen Tee einschenkte, Julienne die Tasse reichte. „Das mach ich gerne. Avec plaisir!“
Auf einer Etagere lagen verschiedene Sorten Gebäck.
„Für den Fall, dass du wieder hungrig bist.“
Genussvoll trank Julienne den aromatischen Tee, dessen Duft den Salon erfüllte.
„Wie gefällt