„Weiß ich nicht. Je ne sais pas.“
Julienne zuckte ratlos mit den Schultern. Das Schloss war ihr zu abgelegen. Außerdem hatte er ihr seine Frau verschwiegen. Sie hatte keine Lust, ewig die zweite Geige zu spielen.
„Weißt du denn, ob du mich wiedersehen willst?“, fragte Alan enttäuscht.
„Auf jeden Fall!“
„Da bin ich beruhigt“, sagte er, streichelte ihre Hand.
„Schließlich kannst du nicht einfach so wieder aus meinem Leben verschwinden.“
„Das habe ich auch nicht vor.“
Er schaute ihr ins Gesicht, fixierte ihre grünen Augen, um Antworten zu finden. Bedeutete er ihr etwas?
„Ich muss jetzt gehen“, erinnerte sie ihn. Eine mehrstündige Autofahrt lag noch vor ihr.
„Ich begleite dich.“
Die lauen Strahlen der Sonne flimmerten durch das Blätterwerk der Bäume, als sie durch den Schlossgarten schlenderten. Am Wegesrand wuchsen Rosenbäumchen, deren Blüten im milden Licht schimmerten. In Kürze würde die Sonne am Horizont untergehen.
Zielstrebig liefen sie über den Waldweg, bis sie von Weitem die gelbgrünen Wiesen sahen, die sich bis zu den Dünen erstreckten.
Alan legte den Arm um Juliennes Schulter, indes sie über den weichen Boden tapsten.
„Ich hätte dir gern noch den Ausblick zum Meer vom Turm aus gezeigt“, bedauerte er.
„Das machen wir, wenn ich wiederkomme“, tröstete sie ihn.
„Du wirst mir fehlen.“
„Du mir auch.“
Alan blieb plötzlich stehen und umarmte sie. Er blickte ihr in die Augen, als ob es ihn schmerzte, dass sie fortging. Sacht küsste er sie auf den Mund. Sie spürte, wie seine Zungenspitze ihre Lippen berührte. Ein inniges Gefühl durchfuhr ihren Körper. Sie fühlte die Hitze, die in ihrem Innern brodelte.
„Ich habe mich in dich verliebt“, hauchte er, hielt sie fest in seiner Umarmung.
„Ich auch!“ Erregt strich sie sich über das verwuschelte Haar. Alles um sie herum schien auf sie einzustürzen.
Beunruhigt dachte sie an die Aufführung von ‚Ein Sommernachtstraum‘, für die sie noch den ellenlangen Text ihrer Rolle zu lernen hatte.
„Bleib doch noch!“, bat er sie.
„Ich würde gern, aber das geht nicht.“
Nervös stakste sie über den sandigen Weg, der bis zu dem Städtchen führte, wo ihr Auto für die Heimfahrt bereitstand.
Abgesehen von ihrer Panik, für die neue Rolle nicht ausreichend gelernt zu haben und sich auf der Bühne vor Peinlichkeit in Grund und Boden zu schämen, hatten sie sich erst kennengelernt. Um bei ihm zu schlafen, war es ihr zu früh.
Was, wenn er überhaupt nicht der war, für den sie ihn hielt? Und warum hatte er es so eilig?
„Danke für alles. Komme bald wieder!“, versprach sie ihm, bevor sie in den bordeauxfarbigen Kleinwagen stieg.
„Merci pour tout!“
Kapitel 4
Mittlerweile lag das Rendezvous mit Alan einige Tage zurück. Bei der letzten Aufführung von ‚Was ihr wollt‘ am Wochenende hatte Julienne unglaublich viel Spaß.
Hin und wieder war sie etwas unkonzentriert abgedriftet, wodurch sich ihre Zunge verhaspelte. Aber die kleinen Versprecher waren kaum aufgefallen.
Allerdings fühlte sie sich nach all den Unternehmungen in letzter Zeit völlig ausgebrannt. Um sich von dem Stress zu erholen und über die Beziehung zu Alan nachzudenken, war ihr nur der Montag geblieben.
Bei einer Tasse Tee hoffte sie, wieder in Form zu kommen, um sich den Text von der Rolle als Elfenkönigin irgendwie in den Kopf zu hämmern.
In ihren Gedanken herrschte das totale Chaos. Abgelenkt überflog sie die Zeilen ihrer Rolle. Titanias Worte schwirrten ihr durch den Kopf. Sie bemühte sich, die ersten Verszeilen zu rezitieren.
„Wie? Oberon ist hier, der Eifersücht’ge? … Elfen schlüpft von hinnen. Denn ich verschwor sein Bett und sein Gespräch … So muss ich wohl dein Weib sein; doch ich weiß die Zeit, dass du dich aus dem Feenland geschlichen, … Tage lang als Corydon gesessen, spielend auf dem Haberrohr, und Minne der verliebten Phyllida gesungen hast.“
Der Elfenkönig hat offenbar mehrere Eisen im Feuer, grübelte Julienne. Typisch! Aber wehe, wenn seine Elfenfrau auswärts nascht!
Shakespeare hatte so eine herzerfrischende Art, die Narrheiten und Schwächen seiner Zeitgenossen zu veralbern.
Hatte sich bis heute viel geändert? Wie war es bei Alan? War er wie Oberon und liebte aller paar Tage eine andere?
Sie hatte das Gefühl, als stände jemand zwischen ihnen. War er tatsächlich über seine Frau hinweg, wie er behauptete? Oder ging es ihm nur ums auswärts Naschen?
Gleich nach ihrer Heimreise hatte er angerufen und gefleht, sie solle so bald wie möglich zurückkehren.
Dummerweise fehlte ihr die Zeit, um das Versprechen in naher Zukunft einzulösen. Ihr Terminkalender platzte aus allen Nähten.
Warum sollte sie überhaupt so mittelalterlich leben? Das Schloss fand sie zwar traumhaft, für Shakespeares Dramen eine brillante Kulisse, aber darin wohnen wollte sie einfach nicht.
Queen Elizabeth II lebt in einem luxuriöseren Schloss. Aber du bist ja auch keine Adlige, sinnierte sie.
Was das Schloss betraf, hatte Alan die Wahrheit gesagt. Aber warum hatte er seine Frau verschwiegen? Beim Anblick ihres Porträts überkam sie das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben, eine Art Déjà-vu. Jedoch hatte sie den Namen Giulietta Moreau noch nie gehört!
Schon bei ihrer Begegnung in dem italienischen Restaurant fühlte sich Julienne so aufgeregt wie ein verknallter Teenager, wenn Alan sie anschaute oder berührte. Diese Zuneigung beraubte sie jeglicher Vernunft.
Sein Kuss war das Allerbeste, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte. Ein prickelnder Schmerz durchfuhr ihren Bauch, wenn sie an ihn dachte.
Trotz allem befielen sie Zweifel, ob diese Liebe gut für sie war. Ihre Erwartungen schienen in unterschiedliche Richtungen zu streben.
Nachdenklich klebte Julienne an ihrem Text, ohne ihn wirklich aufzunehmen. Bis zur Premiere am Samstag hatte sie jede Menge Arbeit vor sich. Entweder gelang es ihr endlich, das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen oder ein Wunder musste geschehen! Im selben Moment kam ihr eine bewährte Technik in den Sinn, wie sie den Text effektiv lernen könnte.
Sie rannte ins Arbeitszimmer, wo sie die Skripte ihrer bisherigen Theaterstücke aufbewahrte und suchte nach ihrem Diktiergerät. Wenn sie sich jeden Abend den aufs Band gesprochenen Text anhörte und rezitierte, spürte sie sogar noch einen Funken Hoffnung.
Kapitel 5
Todmüde quälte sich Julienne aus dem Bett, nachdem der Wecker sie aus dem bizarren Traum gerissen hatte. Von den seltsamen Bildern völlig ausgelaugt, begab sie sich ins Bad.
Unter der Dusche perlten die lauwarmen Wassertropfen über ihr Gesicht, rannen über ihre nackte Haut. Der aromatische Schaum bedeckte das lange Haar. Verträumt seifte sie ihren Körper ein. Damit der Schaum nicht in den Augen brannte, schloss sie die Lider.
Unmittelbar kam ihr der Traum wieder in Erinnerung. Alan und sie laufen über eine Wiese. Die gleißenden Strahlen der Sonne tauchen die wilden Rosen in ein Meer aus Licht. Alan legt seine Arme um sie, indes er sie anlächelt. Verknallt