Hermann Brünjes

Die Auferstehung des Oliver Bender


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steht jetzt auf und reicht mir die Hand. Auch ich erhebe mich. »Ich habe für Sie mitbezahlt. Falls Sie nun trotz meiner Argumente doch etwas schreiben wollen, lassen Sie mich unbedingt aus dem Spiel. Und denken Sie an meine Warnung und die Hitlertagebücher. Sie machen sich im besten Fall nur lächerlich, im schlimmsten riskieren Sie nicht nur Ihren Job, sondern auch den guten Ruf Ihrer Zeitung ...!«

      Dr. Semmler biegt bei der Drogerie um die Ecke und ist verschwunden.

      Ich bleibe noch einen Moment sitzen, um das Ganze zu sortieren. Irgendwie hat er ja recht. Wenn wir uns im täglichen Leben nicht am Sicht-, Greif- und Erklärbaren orientieren, rutschen wir ganz schnell in eine Scheinwelt hinein und werden zudem leichte Opfer für alle möglichen Scharlatane. Aber irgendwie trifft Semmler es auch nicht! Wenn wir Wirklichkeit nur über die sichtbaren und messbaren Dinge definieren, entgeht uns unglaublich viel. Liebe, Sehnsucht, Vertrauen, Hoffnung ... dies und mehr ist alles andere als unserer begrenzten Logik und Wissenschaft unterworfen. Dr. Semmler, Sie mögen klug sein – aber gleichzeitig auch ziemlich begrenzt in Ihrem Denken.

      Immerhin rundet sich für mich jetzt das Bild. Wenn meine Zeugen nicht allesamt Psychopaten sind, hat Frau Bender ihren Mann ebenfalls gesehen, ihn sogar gesprochen. Ob sie genau deshalb so schwer anzutreffen ist? Weil sie genau weiß, was passiert ist, darüber jedoch nicht sprechen will – oder darf? Das Gutachten von Dr. Semmler wird zuletzt von Psychosen reden, egal was noch passiert. Es ist doch immer gut, schon vorher zu wissen, was hinten herauskommt!

      *

      Als ich am Nachmittag in die Redaktion komme, hat sich dort nichts verändert. Während ich es mit der Überwindung des Todes zu tun hatte, mit Auferstehung und leeren Gräbern, befassen sich die Kollegen mit der Feuerwehr, dem Verkehrsbericht, einer entkommenen Riesenschlange und anderen Sensationen.

      In der Sportredaktion sitzt heute niemand. Die Kollegen vom Sport standen gestern nicht nur auf staubigen Fußballplätzen, sondern auch unter Stress. Die Montagsausgabe besteht zur Hälfte aus dem Sportteil. Ansonsten herrscht normaler Redaktionsbetrieb. Der Chef ist nicht da. Angeblich ist er mit zwei Ressortleitern im Büro in der Altmark. Also muss ich mein spätes Erscheinen nicht begründen und kann mich friedlich an meinen Schreibtisch setzen.

      Ich rufe bei Gerald Tönnies an, den Auslöser meiner Recherche. Vielleicht ist Frau Bender ja inzwischen von der Arbeit zurück und ich kann noch einmal hinfahren, um mit ihr zu reden. Fehlanzeige. Der Abstellplatz ist leer. Langsam habe ich den Eindruck, Frau Bender ist auch gestorben ... Sie scheint sich ganz bewusst zu isolieren. Und wo mag ihr Mann nun sein? Noch einmal wurde er nicht gesehen, jedenfalls habe ich keine weiteren Zeugen. Folglich entzieht er sich seit Sonntag der Öffentlichkeit – oder sein gestohlener Leichnam wird irgendwo versteckt gehalten. Fragt sich nur, warum und wozu.

      Es ist ein komplizierter Fall.

      Ich kaue auf meinem Kugelschreiber herum und tippe wahllos auf die Tastatur meines Computers. Was soll ich tun? Vielleicht könnte ein Artikel im KB neue Entwicklungen in Gang setzten. Manchmal muss man etwas stochern, damit Bewegung entsteht. Allerdings scheuche ich so auch Florian Heitmann auf. Der stochert dann mit seinen dicken Fingern in meiner ohnehin nicht stattfindenden Karriere herum. Was also tun?

      Ich spreche mit dem Ressortleiter für die Online-Ausgabe. Er vertritt den Chef bei Abwesenheit. Mit ihm verstehe ich mich bestens und weiß, dass er die Strategien und Vorstellungen Florians nur selten teilt. Ich frage ihn, ob ich eine Spalte im regionalen Teil auch ohne einen Beschluss der morgigen Redaktionssitzung kriege und auch ohne das Okay des Chefs. Er meint, Florian und die anderen sind nicht da und ihm ist es egal.

      »Wenn du eine Spalte beim Setzer kriegst, mach es ruhig. Ich kann es online bringen, auch wenn es die bekloppteste Meldung ist, die mir je untergekommen ist.«

      Ich muss also den Setzer fragen und für meinen Artikel gewinnen. Ich kriege ein »Kein Problem, muss sowieso noch was füllen!« und schreibe meinen kleinen Artikel.

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