seine Frau ihn dort untergebracht hat?«
Ich zucke mit den Achseln. Ja, das habe ich in Erwägung gezogen. Es wäre logisch, wenn man eine allemal bei solch seltsamen Dingen neugierige Öffentlichkeit heraushalten will. »Nein. Soviel ich weiß, ist dieses Haus hier Benders einzige Immobilie. Einen Wohnwagen habe ich hier nur bei den Nachbarn unten an der Hauptstraße gesehen. Benders waren auch nie länger weg, mal abgesehen von einzelnen Urlaubsreisen.«
Wir kommen also nicht weiter. Ich bedanke mich, vor allem für den herrlichen Eintopf und bitte sie, mich sofort anzurufen, wenn Frau Bender wieder in ihrem Haus ist. Gerald begleitet mich zur Haustür.
»Herr Jahnke, das mit der ›Witwe‹ ist ja jetzt wohl nicht mehr haltbar.« Irritiert schaue ich ihn an.
»Ja, Sie haben vorhin nach der Witwe gefragt. ›Ex-Witwe‹ wäre ja wohl eher zutreffend!«
Er grinst und lässt mich nachdenklich in meinen Golf steigen.
*
Mich juckt es in den Fingern, schon für die Montagsausgabe etwas zu schreiben. Vermutlich würde ich meinen Kollegen, den Ressortleiter der Online-Ausgabe, auch auf meine Seite ziehen. Allerdings fehlen noch belastbare offizielle Stellungnahmen. Bei der Polizei, den Medizinern und wer immer aus der Stadt noch bei der Exhumierung vom letzten Dienstag dabei war, kann ich heute am Sonntag nichts erreichen. Wohl oder übel muss ich bis morgen warten.
Am Abend lese ich weitere Auferstehungstexte der Bibel. Wenn das damals alles wirklich so passiert ist, wäre es tatsächlich »die Story« überhaupt. Genaugenommen war sie das ja auch. Welche andere Geschichte erzählt man sich noch über 2.000 Jahre später auf der ganzen Welt? Wären Markus, Lukas, Matthäus oder Johannes Reporter gewesen, hätten sie mehr als den Pulitzer-Preis oder den Nobelpreis für Literatur verdient. Wären sie meine Kollegen beim Kreisblatt gewesen, hätte mein lieber Chef sie lebenslang mit Dimple abgefüllt.
»Von den Toten auferstanden« als Headline. Das ist revolutionär! Stimmt es, wäre die Sehnsucht nach ewigem Leben erfüllt. Wäre es wahr, müsste man den Tod nicht mehr fürchten – und welche Angst speist sich nicht zu guter Letzt aus der Angst vor dem Tod? Man müsste vor nichts mehr Angst haben. Unglaube, Zweifel, Abwehr, »vernünftige« Gegenargumente und Verdrängung waren übrigens auch damals schon geeignete Mittel, das Undenkbare loszuwerden. Ich glaube nur, was ich sehe. Das hat auch damals so lange geklappt, bis dann mehrere Zeugen auftraten, die Jesus mit eigenen Augen gesehen hatten.
Montag, 12.8.
Gestern Abend habe ich beschlossen, heute erst am Nachmittag in die Redaktion zu gehen. Notfalls melde ich mich krank. Ich bin innerlich aufgewühlt. Was bedeutet es, wenn mit Oliver Bender passiert, was damals mit Jesus Christus geschehen ist? Ich habe mir bereits eine Liste angelegt, die immer länger wird. Eine solche Nachricht wird begeisterte Freunde aber auch erbitterte Feinde finden. Vielleicht entsteht sogar eine neue Religion daraus ... keine Ahnung. Traditionalisten wie dieser Rübezahl in Himmelstal mögen sich bedroht fühlen. Andere wiederum, Menschen wie Irene oder Kojak, wären voller Hoffnung auf einen Neuanfang.
Mein Handy klingelt. Schorse ist dran, mein Freund bei der Lüneburger Polizei. Wir kennen uns schon aus der Schule, waren zusammen bei den Pfadfindern und seit er in Lüneburg bei der Kripo ist, treffen wir uns gelegentlich auf ein Bierchen. Ich habe ihn gestern Nachmittag über seine Privatnummer angerufen und ihn um Hilfe gebeten.
»Also, Jens, du bist dir ja klar darüber, dass ich dir nichts Offizielles sagen darf.«
Ich bestätige. Natürlich, Polizei und Verschwiegenheit, das gehört zusammen wie ... na ja wie Topf und Deckel? Nur, dass in meiner Singleküche die Deckel meistens nicht so richtig auf die gerade verfügbaren Töpfe passen.
»Folglich sage ich dir nun was Inoffizielles.«
»Hauptsache, Schorse, du sagst mir überhaupt etwas!«
Er lacht. »Ich werde doch meinen alten Freund nicht hängenlassen, zumal nicht mit einer Story aus Tausend und einer Nacht!«
»Was hast du denn nun herausgekriegt?«
»Okay. Ein Kumpel von der Lüneburger Kripo und ein Beamter aus Hannover waren bei der Exhumierung dabei. Die Kollegen haben zu Protokoll gegeben, dass der Sarg von diesem Oliver Bender leer war.«
Mir fällt kein Kommentar ein. Das ist der Hammer!
Der Sarg war also tatsächlich leer!
»Bist du noch dran? Oder hat es dich umgehauen?«
Ich stottere: »Oh, entschuldige«, und gebe zu, dass ich überrascht bin – auch wenn ich es bereits entgegen jeder Logik geahnt habe. Schorse erzählt weiter.
»Ich habe vorhin mit dem Kollegen von hier gesprochen. Er ist überzeugt, dass der Leichnam entnommen wurde. Eine andere Erklärung fällt ihm nicht ein. Nur warum und wozu weiß er nicht.«
»Ist denn überhaupt sicher, dass Oliver Bender im Sarg gelegen hat? Vielleicht war alles eine Farce.«
»Du meinst, schon bei der Beerdigung war der Sarg leer?«
»Ja, kann doch sein.«
»Nee, kann nicht sein. Sie haben ihn in der Kapelle offen aufgebart. Alle Trauergäste haben ihn gesehen. Auch das steht im Protokoll. Nee, wahrscheinlicher ist, dass der Leichnam gestohlen wurde.«
»Haben sie Spuren gesichert?«
»Das ist das Seltsame. Das Grab war völlig unversehrt, als sie mit der Öffnung begannen. Kränze und Gestecke lagen dort wie nach der Beerdigung hingelegt.«
»Also keine Spuren, auch nicht am oder im Sarg?«
»Richtig. Keine Spuren. Im Sarg lag nicht einmal mehr die alte Bibel, die sie dem Toten mitgegeben hatten.«
Das mit der Bibel höre ich zum Ersten mal.
»Gibt es irgendwelche Hinweise auf Täter?«
Schorse lacht wieder.
»Wie denn? Die Zeugen in der Nachbarschaft des Grabes sind alle tot!«
Er hat wirklich einen köstlichen Humor, finde ich. Die BILD hätte so einen Satz sicher veröffentlicht. Ich jedoch kann nichts von dem Gehörten in die Zeitung bringen, ist es doch noch keine offiziell bestätigte Information.
»Kommt da noch eine offizielle Ansage von euch?«
»Vermutlich. Dann wird sie von Spiekermann kommen, dem Polizeisprecher. Der wohnt übrigens in diesem Himmelstal – hey der Name des Kaffs passt ja gut zu deiner Story!«
Ich muss das erst einmal verdauen. Nicht, dass der Polizeisprecher ausgerechnet in Himmelstal wohnt – das könnte sogar hilfreich sein – sondern dass der Sarg tatsächlich leer war und es letztlich keinerlei Indizien für eine Schändung oder einen Grabraub gibt. Aber ein paar mehr Fakten brauche ich dennoch.
»Ist der Staatsanwalt eingeschaltet? Wer war noch bei der Exhumierung?«
»Immer langsam. Ja, sie haben tatsächlich eine Akte angelegt und gehen der Sache nach. Lauf ihnen also bei deinen Recherchen nicht unbedingt in die Arme – und wenn, du weißt von nichts!« Schorse hat ein wenig Angst um seine Anonymität. Verständlich.
»Ist klar. Aber sag, wer weiß noch davon und wer war dabei?«
»Gemeldet hat den Verdacht auf Unstimmigkeiten an diesem Grab der Pastor von Himmelstal.«
»Pastor Klaus Kerber?«
Ich weiß nicht, ob es mich wirklich überrascht.
»Ja, genau der. Kerber hat zu Protokoll gegeben, dass Gerüchte den sozialen Frieden in Himmelstal stören und man deshalb nachweisen müsse, dass die Leiche noch im Sarg liegt. Mit bei der Ausgrabung waren außer zwei Arbeitern des Betriebshofes Lüneburg und die zwei Kollegen nur noch der Pastor und ein Mediziner.«
»Kennst du seinen Namen?«
»Ja.