Hermann Brünjes

Die Auferstehung des Oliver Bender


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recherchiere ich, ob es Florian nun passt oder nicht.

      »Oliver Bender«. Entgegen meiner Erwartung gibt es dazu diverse Einträge bei Google. Vor allem geht es um Bücher. Der Mann ist (oder war?) wie ich Schreiberling, wenn auch nur als Amateur und hobbymäßig. Es sind vor allem christliche Sachbücher, aber auch einige Romane, die der Mann geschrieben hat. Besonders erfolgreich war wohl keiner von ihnen – jedenfalls zeigt Amazon kaum Bewertungen an.

      Außer mit Büchern steht Oliver Bender noch in Verbindung zu dem Tagungs- und Gästehaus in Himmelstal und der Kirche. Er war bei der Kirche angestellt und hat auch diesen »Auferstehungsweg« mit dem Künstler zusammen installiert.

      Wieder überlege ich, ob das mit der angeblichen Auferstehung ein Werbegag sein kann. »PR-Aktion« steht schon auf meinem Zettel. Vielleicht für diesen Besinnungsweg? Oder für Benders Bücher? Wenn ja, hat Gerald Tönnjes seine Sache richtig gut gemacht – zumindest wenn er in einen Betrug involviert ist. Vielleicht war er selbst aber ja auch schon Opfer.

      Ich bin mir klar, dass ich erst einmal Fakten sammeln muss und erst dann zu Rückschlüssen auf Hintergründe komme.

      Ich lese einige Bibeltexte über die Auferstehung und bin schon erstaunt, dass fast alle Autoren im Neuen Testament ausführlich davon erzählen oder reflektieren. Sich das alles auszudenken ist kaum denkbar! Wie mag das damals gewesen sein. Auch da stand Jesus ja plötzlich wieder vor den Leuten. Sie hatten ihn leiden und sterben sehen, sie hatten ihn als Leichnam in diese Höhle gelegt und den dicken Stein davor geschoben. Und dann war er nach drei Tagen wieder da. Unglaublich!

      Und ganz wie bei Oliver. Oder umgekehrt.

      Vielleicht ist es auch eine Werbekampagne für die Christen und Jesus, ein grandioses Missionsprojekt. Ich nehme mir vor, mich nicht instrumentalisieren zu lassen, weder von Oliver Bender, noch von der Kirche oder diesem Tagungshaus und schon gar nicht von Jesus und seinen Anhängern. Da befinde ich mich mit meinem Chef ganz auf einer Linie.

      Wie dem auch sei, ich muss mit Experten über die Sache mit der Auferstehung reden. Es gibt da doch auch noch diese Reinkarnation, das Nirwana und so was. Ist das eigentlich dasselbe? Vermutlich nicht.

      Ich scrolle bei Google weiter nach unten. Dort taucht Oliver Bender auch unter der Adresse unserer eigenen Zeitung auf. Es ist die Anzeige seiner Beerdigung. »Ich lebe und ihr sollt auch leben!« Na, das ist ja ein guter Spruch für einen Auferstandenen! Es ist schon erstaunlich, dass seine Angehörigen gerade dieses Bibelwort ausgesucht haben. Oder hat er selbst das bereits vor seinem Tod getan? Manch ältere Leute bereiten sich ja intensiv auf ihr Sterben vor. Sie suchen dann Sprüche, Lieder und manchmal sogar die Farben und Sorten der Blumen vorher aus – obwohl sie davon doch nachher nichts selber sehen!

      Ansonsten gibt es nichts Besonderes an der Anzeige. Die Beerdigung war für Freitag, den 2. August angesetzt. Als Trauernde werden seine Frau, seine Kinder und ein Enkel namentlich aufgeführt. Statt Kränze möge man für Projekte in Indien spenden, werden die Leser und Trauernden aufgefordert. Mit Indien hatte der Tote offenbar viel zu tun. Einige seiner Bücher sind Indien-Krimis. Dieses Gästehaus ist auch mit Indien verbunden und sie unterstützen dort eine Kirche und Hilfsprojekte.

      Ich trinke vor dem Einschlafen noch ein Glas von meinem eigenen Whisky. Der schottische Single Malt ist 12 Jahre alt und um Längen besser als Florians Dimple!

      Am Abend dieses aufregenden Tages geht es mir wie selten oder sogar nie während meiner Zeit als Reporter. Ich spüre Aufregung. Es könnte DIE Story werden, auf die jeder Journalist wartet, manche ihr Leben lang. Vielleicht ist natürlich alles nur ein Flop und Florian behält Recht. Nüchtern besehen kann das alles nicht stimmen. Oliver Bender ist und war tot und wurde beerdigt. Schluss. Gerald und Corinna haben sich getäuscht. Logisch. Die Polizei war dort, weil irgendwer kuriose Falschmeldungen verbreitet hat. Vielleicht meinten sie auch, es habe sich ein Einbrecher an Benders Terrassentür zu schaffen gemacht. Der Pastor hat die Witwe besucht, um ihr in der Trauer zur Seite zu stehen. Für alles findet sich, genügend recherchiert, eine natürliche Erklärung.

      Samstag, 10.8.

      Es waren gestern wohl doch ein oder zwei Whisky zuviel. Jedenfalls schlafe ich recht lange. Seit ich wieder Single bin, muss ich auf niemanden Rücksicht nehmen. Das ist der Vorteil – alles andere beim Singledasein sind eher Nachteile. Gegen neun hole ich mir beim Bäcker um die Ecke zwei Roggenbrötchen, koche mir zwei Eier und frühstücke ausgiebig. Das Mittagessen werde ich einfach ausfallen lassen. Meine Artikel habe ich gestern spätabends noch per E-Mail losgeschickt. Sie werden bereits heute in der Samstagsausgabe erscheinen.

      Ich lese mir meine Oliver-Bender-Notizen durch. Inzwischen sind es bereits mehrere Blätter. Heute habe ich frei und kann meine privaten Recherchen weiterführen. Ich werde gleich noch etwas im Internet recherchieren. Dann will ich wieder nach Himmelstal fahren, mit Zeugen wie dieser Corinna sprechen und mir die Dinge vor Ort anschauen. Vielleicht ergibt sich dann bereits ein Bild vom Ganzen.

      Gegen elf komme ich in Himmelstal an. Ich muss unbedingt jemanden fragen, wieso dieses Dorf Himmelstal heißt. Ich kenne Himmelstür oder Himmelpforten. Dorthin schreiben die Kinder zu Weihnachten ihre Briefe ans Christkind. Aber Himmel und Tal – das liegt recht weit auseinander. Der Himmel ist oben, das Tal unten. Wie soll das zusammenkommen? Na ja, in Himmelstal scheint manches möglich, was andernorts nicht funktioniert, Überwindung des Todes zum Beispiel. Vermutlich liegt der Ort einfach im Tal. Während ich das gestern nicht bemerkt habe, geht es heute vom Ortschild an bis zu einem Teich und einer Wassermühle bergab. Logisch, dieser Bach bildet ein Tal.

      Der Friedhof ist leicht zu finden. Ich parke neben dem Feuerwehrhaus, direkt am Eingangstor zum Friedhof. Hier steht eine weitere Station des Auferstehungsweges. Sie haben das Schild mit dem Steinbrecherbild eines leeren Grabes und grüner Lebensbäume direkt vor den Friedhof gestellt. Vielleicht wollten sie sagen: Schaut, dieser Friedhof ist kein Ort der Trauer, sondern der Freude. Das Leben siegt!

      Ich gehe an den Gräbern entlang. Wie auf allen Friedhöfen gibt es hier große, kleine, gepflegte, überwucherte, kahle, bewachsene, schöne und hässliche Grabanlagen. Auf den ebenso unterschiedlichen Grabsteinen stehen Namen und Daten der Verstorbenen und Bibelsprüche. Manchmal sieht man Engel, Tauben, Madonnen, Kreuze ... Dieser Ort bildet mit seinen Namen wahrscheinlich das ganze Dorf ab, ist Himmelstal in klein. Für die meisten Dorfbewohner verkörpert er allerdings vermutlich nicht primär den Himmel, sondern eher das Tal.

      Auf der anderen Seite versperrt eine hohe Hecke den Blick. Dahinter muss die Straße liegen, auf der ich gestern gekommen bin. Wegen der Hecke hatte ich den Friedhof nicht bemerkt.

      An der Kapelle steht Olivers Spruch: »Ich lebe und ihr sollt auch leben!« Vielleicht haben er oder seine Familie sich hier inspirieren lassen.

      Eine alte Frau, tief gebeugt stehend, kratzt mit einer kurzen Harke am Boden vor einem Grabstein herum. Neben dem Grab steht ihr Rollator. Als ich die Frau grüße, richtet sie sich ein wenig auf und lächelt freundlich. Ich frage nach dem Grab von Oliver Bender. Sie stützt sich auf ihre Harke und schaut mich prüfend an.

      »Oliver? Er war mein Nachbar.«

      Danach hatte ich nicht gefragt.

      »Ich suche sein Grab. Er ist doch hier beerdigt worden?«

      Die Alte schaut mich kritisch an und streicht sich nachdenklich durch ihre weißgrauen Haare.

      »Aber Sie waren nicht bei seiner Beerdigung!«

      Es klingt wie ein Vorwurf, ist vielleicht aber auch nur eine Feststellung. Die Frau macht trotz ihres kritischen Blickes einen netten, mütterlichen Eindruck. Wahrscheinlich sind die Leute vom Dorf zunächst immer ein wenig zurückhaltend.

      »Nein, ich habe erst jetzt erfahren, dass er gestorben ist.« Ich will mich noch nicht als Journalist zu erkennen geben. Diese Frau ist vermutlich nicht auf Publicity aus, wie manch jüngere Leute und könnte eher ablehnend reagieren. »Deshalb komme ich erst jetzt und möchte von Oliver Abschied nehmen.«

      »Kommen Sie,